Das Vermächtnis eines Lesers
Jörg Drews’ Untersuchungen zu Arno Schmidt, herausgegeben von Axel Dunker
Von Natalie Moser
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUnter dem Titel „Im Meer der Entscheidungen“ hat Axel Dunker Aufsätze des Literaturwissenschaftlers und -kritikers Jörg Drews zum Werk von Arno Schmidt neu herausgegeben. Dunker trat bereits 2004 als Mitherausgeber einer Festschrift für seinen ehemaligen Universitätslehrer Drews in Erscheinung. Die im Januar 2014 veröffentlichte Aufsatzsammlung dokumentiert nun Drews’ jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem vor hundert Jahren geborenen Schmidt. Es handelt sich um eine Sonderlieferung des „Bargfelder Boten“, den Drews 1972 gründete und bis zu seinem Tod 2009 herausgab. Dass zentrale Bestandteile von Drews’ Lebenswerk, das unmittelbar mit Schmidts Werk verbunden ist, in diesem separaten Band veröffentlicht wurden, ist eine Dankadresse an den unermüdlichen Wegbereiter der Schmidt-Rezeption und somit eine doppelte Jubliäumsausgabe: 100 Jahre Arno Schmidt und (fast) 50 Jahre Drews’sche Forschung zu Arno Schmidt und anderen wie zum Beispiel James Joyce, die wiederum als Vorbilder Schmidts fungierten, gilt es zu feiern.
Jörg Drews’ Arbeit zu Schmidts Werk ist in mehrerlei Hinsicht einzigartig, wovon die einzelnen Aufsätze und Schriften zeugen. Der vorliegende Band versammelt siebzehn Texte, die mit Ausnahme des Funkessays „Schwülsdick und spitzfündig“ bereits andersweitig publiziert wurden. Unter den Aufsätzen befinden sich zum Beispiel Texte, die für die 1977 erschienene Arno Schmidt-Nr. von TEXT+KRITIK entstanden. Die Bandbreite der Publikationsorte der Drews’schen Aufsätze reicht von einer studentischen Zeitschrift bis hin zu einem Nachwort zur französischen Fassung von Schmidts „Alexander oder Was ist Wahrheit“. Dunkers chronologische Anordnung der Aufsätze folgt den Publikationsdaten der Erstveröffentlichungen, was den retrospektiven Aspekt der Sonderlieferung des „Bargfelder Boten“ – die einzelnen Aufsätze wurden in ihrer ursprünglichen Form belassen – betont.
Die Aufsätze von Drews stellen einen unerschöpflichen Fundus von Untersuchungen bereit, welche die Praktiken und Strukturen des Schmidt’schen Schreibens ausmachen. Drews’ Spagat zwischen Close Readings, intertextuellen Einordnungen von Textbausteinen und der historischen Bedeutung Schmidts innerhalb der deutschen Nachkriegsliteratur und der europäischen Moderne gewährleistet einen profunden Zugang zu Schmidts Texten und ihren Kontexten. Indem Drews sowohl als Literaturwissenschaftler, als Literaturkritiker als auch als begeisterter Schmidt-Leser argumentiert, sind seine Ausführungen instruktiv, kritisch und persönlich zugleich. Dunker hält in seiner Vorbemerkung fest, dass Drews keine (Lese-)Anleitungen schrieb, sondern eine „Hilfestellung beim Navigieren“ in den Untiefen von Schmidts Oeuvre leistete.
Die Aufsatzsammlung dokumentiert zudem die Entwicklung des prominenten Schmidt-Forschers. In den frühen Aufsätzen Drews’ lag der Fokus auf der Dechiffrierung intertextueller Verknüpfungen, während in den späteren Aufsätzen kulturwissenschaftliche Perspektivierungen hinzukamen. Dass am Ende der frühesten Publikation (1963) Schmidt „der bedeutendste deutsche Prosaschriftsteller unserer Zeit“ genannt wird, ist nicht nur eine Schwärmerei von Drews, sondern zeugt auch von einem persönlichen Antrieb, die Qualitäten von Schmidts Prosa bekannt und einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Drews’ Analysen wahren allerdings stets eine kritische Distanz zu ihrem Gegenstand, egal, ob einzelne, oftmals auch nur wenige Worte vor allem zu Beginn eines Schmidt-Textes analysiert werden, eine Entwicklung innerhalb des Gesamtwerks anhand einzelner Texte veranschaulicht oder mit Blick auf die literarische Moderne eine historische Kontextualisierung von Schmidts Schreiben vorgenommen wird.
Die Erstdrucknachweise am Ende der Aufsatzsammlung zeugen indirekt und in Ergänzung zur chronologischen Abfolge von Drews’ Aufsätzen von einer lange anhaltenden philologischen Auseinandersetzung mit Schmidt, die ohne Drews’ unermüdliche Forschungs- und Publikumsarbeit nicht in der heutigen Form existieren würde – man denke an seine publizistischen und stilistischen Qualitäten, den „Bargfelder Boten“ als Publikationsorgan oder dessen Schnittstellenfunktion als Bindeglied zwischen der akademischen Schmidtforschung und den lokalen beziehungsweise internationalen Schmidt-Lesern. Axel Dunker ist es zu verdanken, dass Drews’ Überlegungen nun gesammelt zur Hand genommen werden können.
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