Schwierige Freiheit

Georg Münzels Wettbewerbsbeitrag „Hiroshimaplatz“

Von Nils DemetryRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nils Demetry

„Eigentlich suche ich, das hört sich jetzt vielleicht komisch an, nach einem Zustand der völligen Freiheit.“ Diese Suche nach Freiheit, die Protagonist und Hartz-IV-Bezieher Horst in Georg Münzels Wettbewerbsbeitrag „Hiroshimaplatz“ betreibt, ist mit Rückschlägen verbunden: Als er anfängt, vor einem Supermarkt zu betteln, soll ihm der Hartz-IV-Regelsatz gekürzt werden. Dabei ist das Betteln für die immer etwas phlegmatisch wirkende Figur lediglich ein Mittel zu dem Zweck, seinem Leben einen Rest von Struktur zu geben.

Münzel hat, nach eigener Aussage, mit „Hiroshimaplatz“ versucht, der Frage nach der Motivation der Behörden nachzugehen: Warum reduziert man einem Menschen, der ohnehin fast kein Geld zur Verfügung hat, seinen Hartz-IV-Satz wegen eines „Nebenverdienstes“, der kaum der Rede wert ist? Entlang dieser Grenze zwischen Recht und Gerechtigkeit entfaltet sich das Stück, in dem alle Figuren auch durch ein diffuses Gefühl des Nicht-Angekommen-Seins verbunden sind. Bisweilen ist dieses ein wenig zu grell gezeichnet, jedoch wirkt gerade diese Überzeichnung im Stück wie eine Parallele zur üblichen Hysterie, mit dem der Boulevard Fälle von Sozialschmarotzertum und Behördenwillkür in verkaufbare Geschichten presst. Dementsprechend spielt die mediale Verwertung von Horsts Schicksal in einer späten Szene eine zentrale Rolle.

Interessanterweise ist der Verursacher für die eigentlich ja absurde Kürzung des Arbeitslosengeldes nicht die etwas hysterisch wirkende Abteilungsleiterin in der Agentur für Arbeit, Doris, die sich privat von Affäre zu Affäre hangelt und Horst zunächst aus scheinbar purer Boshaftigkeit malträtiert. Nein, es ist die etwas hilflose Nonchalance, mit der Horst seinen Rückzug aus den Zwängen von Arbeit und Familie inszeniert, um seinen „Zustand der völligen Freiheit“ zu erreichen. Auf diesen Ausstieg kann sein unter vielfältigen Zwängen stehendes Umfeld (Agentur für Arbeit, Ex-Frau) eben nur in dieser Weise reagieren.

Die (wie in fast allen anderen Darbietungen des „Stück auf!“-Festivals auch) die formalen Grenzen einer szenischen Lesung sprengende, wunderbar pointierte Darbietung hatte zwar in ihrer Verkürzung an gesellschaftspolitischer Brisanz verloren, gewann aber trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – den Publikumspreis.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen