Aus Licht und Chaos
Ein Blick auf die Arbeit von Anne-Kathrin Heier
Von Lisa-Marie George
Schreiben heißt bei Anne-Kathrin Heier vor allem: Chaos stiften, sich Regeln und Gebrauchsanweisungen widersetzen, sich ganz und gar dem Rhythmus der Sprache fügen, und das, obwohl sie Kreatives Schreiben studiert und Erzählen somit als Handwerk erlernt hat. Sie auf eine Ausdrucksmöglichkeit zu reduzieren, würde ihrer Vielseitigkeit nicht gerecht. So arbeitete Heier bereits mit einem Kontrabassisten für eine Vortragsreihe zusammen und war als Drehbuchautorin und Journalistin tätig. Sie schrieb für die Hildesheimer Literaturzeitschrift „BELLA triste“; in „Sprache im technischen Zeitalter“ veröffentlichte sie einen Textauszug, daneben eine Erzählung im Sammelband „Eiszeit. Sommergeschichten“. Darüber hinaus war sie vier Jahre lang als Lektorin im Berlin Verlag tätig und betreibt die Textagentur „Dancing Fingers“.
Diese Vielseitigkeitskünstlerin hat Burkhard Spinnen nun zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur 2014 nach Klagenfurt eingeladen. Ihr erster Roman „Intempesta“ ist in Arbeit. Eine Unbekannte ist sie jedenfalls nicht: Die Preise und Stipendien in ihrem Lebenslauf gleichen gar einer kleinen Sammlung, aufgereiht im Setzkasten des Literaturbetriebs: Teilnahme an der Akademie Solitude, Stipendien des literarischen Kolloquiums Berlin 2008, des Künstlerdorfes Schöppingen 2010, außerdem das Berliner Senatsstipendium 2010 und der Gorgonza Arts Award 2013. Derzeit unterrichtet sie am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft der Universität Hildesheim.
Woher Heier kommt, kann nur wenig Auskunft darüber geben, wohin sie geht. In ihren Erzählungen fällt aber zumindest eine Konstante auf: Sie ‚fotografiert‘ mithilfe sprachlicher Beschreibung winzige Details. Körperwahrnehmung und Materialität sind die zentralen Gegenstände ihres Interesses, etwa in „Koma Keflavík“, jenem Prosatext, der auszugsweise in „Spritz“ veröffentlicht wurde: „Wie in einer schwarzen Box, ohne zu wissen, wo oben und wo unten ist, ging sie voran und stieß sofort gegen die massive Schädelwand. Ihre Hand begann zu zucken, sie hätte sie gern an ihre Stirn geführt, aber alles an ihr war bleischwer: der Kopf, die Schultern, die Glieder, die sie im Einzelnen gar nicht spürte, die einfach so an ihr herabhingen wie die nicht mehr verlässlich verankerten Teile an einem alten Puppenkörper.“
Als Autorin des Geburtsjahrgangs 1977 bewegt sich Anne-Kathrin Heier – was das Alter der Teilnehmer*Innen anbelangt – bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur 2014 im Mittelfeld und könnte, so wie einige andere, aus ihrem im Entstehen begriffenen Roman lesen. Doch worum es darin gehen wird, das verrät auch nicht das Videoporträt der Autorin auf der Website des Bachmannpreises. In das Licht mehrerer gesammelter Scheinwerfer getaucht, stellt sie für sie vermeintlich wichtige Gegenstände aus – und beweist auch hier ihr Auge fürs Detail. Ebenso wie in ihrer Prosa bringt sie dabei Dinge zum Vorschein, holt sie ans Licht. Es bleibt abzuwarten, in welchem Licht, in welchem Rhythmus die Autorin ihren Text beim Bachmannpreis präsentieren wird. „What Are You Waiting For? I’m waiting for the artists. I’m waiting for crazy people. I’m waiting for the past. D’you know what I mean?” (Waiting for Crazy People)
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen