Hätten Sie wohl ein wenig Salz für mich?
Christopher Eckers Roman Die letzte Kränkung fehlt nicht nur der Plot, sondern auch die Würze
Von Pia Soldan
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWäre Christopher Ecker ein Koch – und kein Philosophielehrer und Literaturkritiker –, würde ich Salz und Pfeffer bestellen und mir eine heißere Suppe kommen lassen. Fad schmeckt „Die letzte Kränkung“, ein Roman über eine schemenhafte Männerfigur in Frankreich zur Zeit der deutschen Besatzung. Der Namenlose weiß selbst nicht mehr, wer er ist, und so wird es für Ecker leicht, einen glattgeschliffenen 08/15-007 mit „Parabellum 08“ mit „9mm-Patronen“ aus ihm zu machen. Von einer Entwicklung des Romancharakters kann keine Rede sein. Pseudomysteriös kommt auch das mafiöse „Wir“ daher, bei dem es sich vermutlich um einen Auftraggeber handelt. Der Auftrag des Protagonisten bleibt offen, ist scheint aber auch nicht weiter von Belang.
Auch Eckers letzter Roman „Fahlmann“ setzte sich damit auseinander, was real ist, sein könnte oder sein wird. Damals scheint ihm das Vexierspiel besser gelungen zu sein: Ein „Leseabenteuer“ nannte Denis Scheck das Buch.
Doch was in „Fahlmann“ offenbar gelang, wird in „Die letzte Kränkung“ zu einem großen Rätsel, dessen Struktur jeder Logik entbehrt, sodass es bestenfalls lösen will, wer gern ins Blaue hinein rät. Keinerlei ungewöhnliche sprachliche Wendungen regen dazu an, sich diesem Spiel intensiver zu widmen. Denn jeder Hinweis auf eine Spielstruktur wird durch blasse Phrasen zurückgenommen und es bleibt nahezu nichts Greifbares. Falsch gewählt erscheint hier besonders die erste Person Singular des Protagonisten als Erzählmodus, die suggeriert, der Leser erhielte Einblick hinter die Fassade der Figur, de facto aber nicht unter die Oberfläche dringt. Interessanter hätte es diese Figur wohl auch nicht gemacht, einen Erzähler, der nicht mit ihr identisch ist, über sie erzählen zu lassen. Aber vielleicht hätte man sich dann zusammenphantasieren können, man selbst sei schlechterdings außerstande, durch die Brille des Erzählers all das Ungewöhnliche zu erkennen. Um eine interessante Perspektive einnehmen zu können, muss sich der Protagonist erst betrinken – was er an einer Stelle im Roman auch tut; nur leider ist er viel zu schnell wieder nüchtern. Auch die stormfarbene Küstendepression, die Ecker hier am Spielort eines französischen Fischerdorfes erprobt, misslingt. Zwar geht es auch um von der Nordsee verschluckte Fischer, doch Regen, Sturm und Dunkelheit des „Schimmelreiters“ bleiben aus.
Lediglich einige der immer wieder zwischengeschalteten Einzelbilder bleiben salzig auf der Zunge. Worum es geht, wird auch hier nicht klar, doch nun schmeckt und riecht das Mysteriöse, es lässt sich anfassen, nie aber erfassen. Da ist etwas im Hotelzimmer des Namenlosen, etwas, was er mit seinem Leben verteidigen muss. Etwas im Boden, was nach Meer riecht. Was kribbelnd warm ist und weich an den Rändern. Und schiebt man die Katze des Hotelpagen hinein, wird man sie nie wieder sehen. Vielleicht kann es sogar töten.
Was warm auf der Haut liegt und kribbelt, wenn man die Hand hinein steckt, was Feuchtigkeit zurücklässt, gemahnt an eine Frau mit vollen Lippen, man ahnt auch ihr Geschlecht. Doch einen solchen Mund und eine solche Vagina will man lieber nicht auf dem Boden seines Hotelzimmers haben. Ausschlag hinterlässt es auf der Haut desjenigen, der diesem Etwas zu nahe kommt. Der Mensch hat akzeptiert, dass sein Wohnort Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Und ja, es strömt etwas durch das menschliche Hirn, das die Vernunft nicht erfassen kann. Doch was Sigmund Freud unberücksichtigt gelassen hat, ist, dass der Mensch sich all zu oft nicht einmal erklären kann, was er mit eigenen Augen sieht, was er riecht und was er anfassen kann, und das ist die letzte Kränkung. Es ist der Ekel vor dem geschlechtlich gezeugten Wesen, das sich im warmen Leib des Menschen ansiedelt, dann aber hervorbricht aus einem Schwall von Blut und zerfetzten Organen. H. R. Giger hat es entworfen: das Alien.
Vielleicht geht es darum oder um Mafiastrukturen. Vielleicht soll der Text auch von Amnesie erzählen, schließlich weiß der Ich-Erzähler nicht mehr, wer er ist. Was er dort tut, in diesem kleinen Fischerdorf mit den seltsamen Figuren, weiß er auch nicht. Einen dummen Hotelpagen gibt es dort und einen Holländer, der immer wieder auftaucht, den aber nur der Namenlose sehen kann oder vielleicht noch der Hotelpage. Der Mann mit der Metallhand scheint auch eine Rolle zu spielen, da diese aber völlig im Dunkeln bleibt, erscheint sein Auftritt schlicht unmotiviert. Nicht einmal autoritär wirkt er mehr, wenn er in märchenhaft-kitschigem Sprachduktus ankündigt, er werde nun drei Fragen stellen.
Doch wahrscheinlich geht es hier doch um die Frau. Um die Geliebte, die tot ist, oder die, die sich einbildet, ihr toter Mann sei in Gestalt des Namenlosen zurückgekehrt. Und so findet der Roman zurück zu seinen Kalendersprüchen:. „Nicht der eigene Tod ist das Problem, es ist allein der Tod der anderen, der uns vernichtet.“ Diese Sentenz deutet womöglich auf die Trauer des Namenlosen um die Frau, die er verloren zu haben scheint. Vielleicht soll er auch als Erklärung dafür herhalten, warum Solange, die er regelmäßig besucht, ihre Spiegel verhängt und nur noch schwarz trägt, weil sie an ihren verlorenen Mann denkt. Doch der Roman behauptet nur, wie immer wieder nur behauptet wird, ohne dass das Gesagte an Glaubwürdigkeit gewänne, da es nicht gezeigt wird.
Was die Speisekarte verspricht, kommt noch lange nicht auf den Tisch. Die Hoffnungen auf ein wenig Würze werden jedes Mal sofort wieder enttäuscht, sodass „Die letzte Kränkung“ zu geschmacksneutraler Suppe wird.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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