Dichten Juristen anders?

Methodenvielfalt und perspektivreiche Blicke auf die Gegenwartsliteratur kennzeichnen den von Yvonne Nilges herausgegebenen Band „Dichterjuristen“

Von Franz FromholzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Fromholzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Interdisziplinäre Forschungen zu Literatur und Recht haben in den letzten Jahren bekanntlich wieder zusehends Konjunktur. Ob historische Naturrechtsstudien, Theorien des Ausnahmezustands oder kulturgeschichtliche Verortungen von Scham und Schuld – die Produktivität des Feldes hat sich für ganz unterschiedliche Forschungsrichtungen als offensichtlich erwiesen. Die hierzu von Yvonne Nilges herausgegebene Sammelschrift „Dichterjuristen“ verweigert sich bewusst einer systematischen Sichtung und unternimmt vielmehr den anregenden Versuch, den Facettenreichtum der vielfältigen Beziehungen zwischen Literatur und Jurisdiktion zu beleuchten. Die Einzelbeiträge reichen dabei vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwartsliteratur. Folglich können die komplexen rechtshistorischen Kontexte nur schlaglichtartig erschlossen werden. Fragen des öffentlichen Rechts (der Menschenrechtsdiskurs in der Literatur der Aufklärung und des Sturm und Drang etwa) und des privaten Rechts (zum Eherecht in Johann Wolfgang von Goethes „Wahlverwandtschaften“ beispielsweise) werden gleichermaßen angesprochen.

Es verwundert wenig, dass sich die im Band vorgelegten historischen Analysen, die sich literarischen Texten vor den großen Rechtsreformen des 18. Jahrhunderts widmen, in erster Linie auf die Einflüsse der Rechtspraxis auf die Rhetorik konzentrieren. Gleichwohl lassen sich auch Fragestellungen herauskristallisieren, die Parallelen in der methodischen Vorgehensweise von Juristen und Dichtern unterstreichen. Johann Fischarts Sonette werden vor dem Hintergrund einer induktiven Logik befragt und diese zugleich in Konkurrenz zu zeitgenössischen Sonett-Theorien gestellt. Solche vorsichtigen Beschreibungen von rechtsgelehrter Dichtung vertieft Antonia Eders kenntnisreicher Beitrag zu Heinrich von Kleist, wenn es dezidiert um strukturelle Analogien zwischen Narrativen aus Recht und Literatur gehen soll, um diese dann einer semiotischen Lesart zuzuführen. Björn Hayers Untersuchung der Medialität der Schrift in Franz Kafkas „Prozess“ weist ebenfalls auf strukturelle Analogien von Recht und Literatur hin. Bei Kafka, so ließe sich die Pointe formulieren, wäre Literatur daraufhin angelegt, als Rechtskommentar zu einer letztlich transzendent verankerten Gesetzesauffassung zu fungieren. Cristina R. Paraus stilistische Interpretation der Schmitt´schen Rechtstheorie und -theologie vermag auf luzide Weise aufzuzeigen, dass Carl Schmitts politische Romantikkritik ohne eine Klärung seiner literarischen und ästhetischen Sozialisierung letztlich unzureichend bleibt.

Ein Schwerpunkt des Sammelbandes bildet ohne Zweifel die Literatur als Gegenstand der Rechtsprechung beziehungsweise der staatlichen Zensur. Margret Käfer widmet sich einer juristischen Rekonstruktion des Disziplinarverfahrens gegen E.T.A. Hoffmanns „Meister Floh“ und zeigt dabei Parallelen und Divergenzen zu zeitgenössischen Verfahren auf  – es handelt sich natürlich um die berühmten Prozesse zu Klaus Manns „Mephisto“ und Maxim Billers „Esra“. Margret Käfers Beitrag kann die Komplexität des Zensurverfahrens anhand des dreifachen Vorwurfs an Hoffmann – der Verleumdung, der Treuepflichtverletzung und des Geheimnisverrats – aufzeigen. Joachim Grubers Untersuchung des Prozesses gegen Gustave Flaubert knüpft daran an und führt Flauberts siegreiche Verteidigung vor allem auf das große Ansehen seiner Familie zurück.

Als wichtiger Beitrag der Literatur zu juristischen Diskursen kann ferner auf ihre eminente Bedeutung durch öffentlichkeitswirksame Rechtskritik hingewiesen werden. Der doppelte Ehebruch in Goethes „Wahlverwandtschaften“ als Kritik am Eherecht des preußischen Allgemeinen Landrechts ließe sich hier ebenso nennen wie Johann Nestroys humanistisch geprägte Invektiven gegen das restaurative positive Recht des Habsburgerreichs. Besonders bezeichnend erscheint in diesem Kontext auch, wie sehr sich juristisch gebildete Autoren häufig für das unsichere Wissen der Literatur und gegen die Sicherheiten von Beweis und Verhör aussprechen. So unterschiedliche Autoren wie Heinrich von Kleist, Friedrich Glauser oder Ferdinand von Schirach lassen sich hier in eine Reihe stellen.

Besonders vielversprechende Perspektiven entfalten die Beiträge zur Gegenwartsliteratur. Die zugrundeliegenden Romane von Bernhard Schlink, Georg M. Oswald, Juli Zeh und Ferdinand Schirach thematisieren nicht nur das Werk von Autoren, die zurecht als praktizierende Dichterjuristen beschrieben werden können, es ließe sich darüber hinaus eine ganze Fülle an methodisch innovativ vorgetragenen Lesarten herausstreichen. Juli Zehs vom Spiel-Begriff her gedachtes Rechtsverständnis wäre hier ebenso zu nennen wie der an Niklas Luhmanns Kontingenz-Auffassung geschulte Blick auf Oswald, die stilistische Mikroanalyse der literarischen Sprache Schirachs oder die Verhandlung der Kollektivschuldthese bei Schlink vor dem Hintergrund von Scham- und Schuld-Differenzen.

Eine solche Fülle an methodischen Möglichkeiten, ein solcher Perspektivreichtum der Interferenzen von Literatur und Recht lässt natürlich auch Wünsche offen. Hätte der Band nicht auch Vorschläge zu einer Systematisierung verdient? Die Vorsätzlichkeit, auf die sich Yvonne Nilges in der Einleitung beruft, um das Fehlen einer Systematik als Vorteil zu betonen, kann dieses Defizit nicht ganz verbergen. Wenn im Untertitel gar von der „Poesie des Rechts“ die Rede ist, scheint ein Anschluss an law-as-literature-Debatten im angloamerikanischen Raum gesucht zu werden, die bekanntermaßen im deutschsprachigen Raum bisher kaum zu finden waren. Dieser Anspruch kann lediglich ansatzweise eingelöst werden. Auch der Terminus „Dichterjurist“ sollte, mehr als ein halbes Jahrhundert nach Eugen Wohlhaupters verdienstvoller Studie, durchaus eine Präzisierung und Differenzierung verdienen. Im vorgelegten Band stehen praktizierende Juristen gleichberechtigt neben Jura-Studienabbrechern und gänzlich Jura-fernen Autoren wie Maxim Biller und Klaus Mann. Vom Vorwurf der Beliebigkeit lässt sich folglich der titelgebende Terminus nicht ganz freisprechen.

Titelbild

Yvonne Nilges (Hg.): Dichterjuristen. Studien zur Poesie des Rechts vom 16. bis 21. Jahrhundert.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2014.
303 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783826055508

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