kookbooks oder

Die konkrete Utopie eines jungen, innovativen Literaturverlags

Von Yvette RodeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Yvette Rode

„labor für poesie als lebensform“. So lautet – kurz und knapp – das Selbstverständnis des Independent-Verlags kookbooks, der 2003 von Daniela Seel und Andreas Töpfer in Berlin gegründet wurde. „Kook“, so erklärt Seel im Interview mit Michael Braun in der NZZ, „sei nicht nur ein Slangausdruck für ‚Spinner‘, sondern auch ein Künstler-Netzwerk, das Ende der neunziger Jahre von Berliner Musikern initiiert worden sei“. In diesem Netzwerk traf sie den Grafiker Töpfer, der seither für die Gestaltungsideen von kookbooks zuständig ist. Dies war der Beginn einer bemerkenswerten und erfolgreichen Zusammenarbeit.

Neben zeitgenössischer Lyrik und Prosa hat der Verlag auch Essays, Übersetzungen fremdsprachiger Literatur und Kinderbücher im Programm. Zuletzt erschienen die Streitschriften Risiko und Idiotie von Monika Rinck (*1969), der Gedichtband Venice singt von Sonja vom Brocke (*1980) und das Langgedicht Neu-Jerusalem von Ulf Stolterfoht (*1963). Prägnant und raffiniert zugleich ist bereits der Aufbau der Verlagshomepage. Nach einen Klick auf „bücher“ scrollen wir uns rückwärts durch die Verlags-‚Geschichte’, durch alle bislang erschienenen Titel aus dem Frühjahrsprogramm 2015 bis zu Daniel Falbs Gedichtband die räumung dieser parks (2003), dem ersten Band der ‚Reihe Lyrik‘ und dem allerersten des Verlags. In der Rubrik „autoren“ sind alle Autor*innen in alphabetischer Reihenfolge gelistet, links ein Foto, rechts biographische Daten, Publikationen und Preise.

Bereits 2006 wurde der junge Verlag für sein Gesamtprogramm mit dem Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung ausgezeichnet – und dies wohl keineswegs zu unrecht, denn neben der hohen formalästhetischen Qualität und Originalität seiner Publikationen gewann kookbooks ein ganz besonderes Profil durch die einzigartige Gestaltung jedes einzelnen Bandes, von der Type über das Layout bis zum Cover; entsprechend hieß es in der Laudatio von Michael Krüger, dass mit kookbooks „einer der besten kleinen Verlage gefördert [werde], von denen es in den letzten Jahren so viel und so Gutes zu berichten gab. […] Es ist beruhigend, daß es einen Verlag wie Kookbooks gibt, weil mit dieser Neugründung sichergestellt ist, daß es mit der Literatur weitergeht, und daß sie ihr individuelles Gesicht behält.“

Das ist nicht bloß Corporate Design, und diese Bücher sind keine Konfektionsware von der Stange, sondern ein intellektuelles und haptisches Erlebnis. Der ‚Erstkontakt’ beginnt womöglich damit, dass man zunächst einmal probeweise den bunten Umschlag vom Band trennt. Ersterer lässt sich nämlich oft wie ein Poster auffalten, separat vom Einband bestaunen oder gleich an die Wand hängen, bevor man zwischen den Seiten auf Entdeckungsreise geht. Dort findet man Grafiken, Zeichnungen, mal transparente Zwischenblätter, mal ein Daumenkino. Und erst dann ist man bei dem angelangt, womit bei ‚normalen‘ Büchern recht eigentlich der Spaß beginnt: beim Lesen!

Der Independent-Verlag ist seit seiner Gründung aus dem Literaturbetrieb nicht mehr wegzudenken, ebenso wenig wie seine Bücher aus unseren ansonsten faden Regalen; und nahezu alle wichtigen Stimmen der deutschsprachigen (und nicht nur der deutschsprachigen) Gegenwartslyrik (und nicht nur der Lyrik) – haben sich seither mit einem kookbook verewigt.

Laut D. Kuhlbrodt in der taz ist kookbooks schon heute „einer der renommiertesten deutschen Verlage. Die Liste der Autoren, die hier ihre Heimat und Zuflucht gefunden haben, liest sich wie ein Lexikoneintrag ‚Deutsche Lyrik des 21. Jahrhunderts‘, verfasst im Jahre 2050.“ In der Tat: Wie kaum ein(e) andere(r) hat Daniela Seel neben dem Mut, den es für ein solches verlegerisches Wagnis braucht, ein geradezu prophetisches Gespür und ein ‚Händchen‘ für ihre Autor*innen und deren Texte bewiesen. Viele von ihnen wurden in den letzten Jahren mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Gleich fünf Huchelpreisträger*innen hat kookbooks in seiner ‚Reihe Lyrik‘: Gerhard Falkner, Steffen Popp, Monika Rinck, Ulf Stolterfoht und Uljana Wolf. 2006 schaffte es Steffen Popp mit dem Roman Ohrenberg oder der Weg dorthin obendrein auf die Longlist des Deutschen Buchpreises, ebenso ein Jahr später Pierangelo Maset mit Laura oder die Tücken der Kunst. Für ihren eigenen Lyrikband (ich kann diese stelle nicht wiederfinden, 2011) erhielt Daniela Seel den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis und den Ernst-Meister-Förderpreis.

Um den jungen Verlag hat sich die literarische Landkarte des 21. Jahrhunderts neu arrangiert. Trotz aller Literaturpreise und Lobeshymnen, und trotz des Medienechos, das den Verlag begleitet – auch nach über einem Jahrzehnt (und wie wenig ist ein Jahrzehnt in ‚großer’ Verlagsgeschichte à la Klett-Cotta & Co, wie viel in der ‚kleinen’, unabhängigen!) gilt noch immer für die Routenplanung: kookbooks ist da, wo etwas los ist. Und umgekehrt. Michael Braun konstatiert, dass sich kookbooks als „neues Zentrum für die junge deutschsprachige Literaturszene etabliert“ habe. Es gehe Daniela Seel „nicht um die Etablierung einer neuen Hausmacht im Literaturbetrieb, sondern um die Dokumentation der vielfältigen Impulse, die sich auf dem Terrain der jungen Literatur kreuzen und überlagern. Die Utopie eines jungen, innovativen Literaturverlags, die Daniela Seel jetzt realisiert hat, hielten die präpotenten ‚Experten‘ für völlig blauäugig“. Hier dürften sich die ‚Experten‘ geirrt haben. Laut Braun zeige Seel, dass „literarische Leidenschaft eben doch Berge versetzen kann“.

Die engagierte Förderung anderer Independent-Verlage liegt Seel am Herzen. So fand im Mai 2005 in der Literaturwerkstatt Berlin auf Initiative von kookbooks und Blumenbar das erste Treffen junger Independent-Verlage statt. „Neben dem Erfahrungsaustausch [sollte] es vor allem darum gehen, gemeinsame Ziele zu definieren und Bereiche abzustecken, in denen eine stärkere Zusammenarbeit sinnvoll und möglich ist“, wie man dem Kurzbericht vom Indie-Treffen auf buchmarkt.de entnehmen kann. Außerdem zählt kookbooks zu den Mitorganisator*innen von Hotlist, dem seit 2009 jährlich vergebenen Preis der unabhängigen Verlage.

Möge Daniela Seel mit ihrem Verlag noch viele Utopien realisieren, Berge versetzen – und Poesie zur Lebensform werden lassen. Und mögen alle Leser*innen das Motto einer Aktion beherzigen, die von kookbooks 2009 initiiert wurde: Kunst braucht Mäzene!

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen