Paradigmen

Christoph Peters hat einen ungemein stringent konstruierten und durchdachten Krimi geschrieben

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass renommierte Autoren, die sich eigentlich der E-Literatur zurechnen, immer wieder einmal im Krimi-Genre wildern, kann eigentlich nicht überraschen, und das nicht nur deshalb, weil auch ein ernsthafter Schriftsteller einmal einen Erfolg landen will, der ihm die Miete zahlt. Auch dass es einen gewissen Schick hat, sich zum Unterhaltungsgenre zu bekennen, ist ja seit längerem bekannt. Da wird der Krimi quasi zur literarischen Schlägerkappe oder – wahlweise – Lederjacke, die sich der Mann von literarischer Welt gelegentlich gönnt.

Aber das reicht lange nicht aus: Wenn irgendetwas daran ist, dass der Krimi das Genre der modernen urbanen Kultur ist, dann übt er allein deshalb schon eine gehörige Faszination auf Autoren aus, die sich dem Leben in der Moderne widmen. Daran hat die Überlegung teil, dass sich der Krimi – und vor allem der Krimi, der das Haupt- und Kapitalverbrechen Mord verhandelt –, einem neuralgischen Punkt des Modernen widmet, nämlich der Frage nach der individuellen Wirkungs- und Handlungsmacht. Diese ist in einer arbeitsteiligen und höchst komplexen Gesellschaft zugleich stark eingeschränkt und potenziert. Individuen können heute Dinge, von denen ihre Vorgängergenerationen nur zu träumen wagten. Und sie müssen dennoch hinnehmen, in einer Gesellschaft zu leben, in der alles, was sie zu tun, wirkungslos zu verpuffen scheint.

Was hat das nun mit Christoph Peters’ Krimi „Der Arm des Kraken“ zu tun? Die Antwort: Lesen wir ihn doch als Parabel über zwei völlig verschiedene Herangehensweisen an diese Problematik. Dieses Vorhaben unternimmt Peters, indem er an zwei Figuren seines Plots entlangerzählt. Da ist zum einen ein japanischer Yakuza-Killer, der nach Berlin geschickt wird, um die Ermordung seines Kumpels aufzuklären und zu rächen. Dass der Mann selbstverständlich in allen Nahkampfformen bestens bewandert ist, kann man sich denken – und ist auch konsequent.

Denn dieser Fumio Onishi (hoffentlich ist das kein sprechender Name) ist – bei aller Yakuza-Mythologisierung – das Paradebeispiel des kompetenten Subjekts. Er bewegt sich sicher in der ihm – trotz seiner hervorragenden Ortskenntnisse – fremden Stadt. Unter seinen Kooperationspartnern, von denen die Ex-Freundin des Ermordeten besonders willig ist, kann er eigentlich niemandem trauen. Zwar kommt er an Informationen und Hinweise, aber diese sind derart bruchstückhaft, widersprüchlich und zugleich überbordend, dass sich daraus wenn auch kein echter Beweis immerhin so etwas wie ein Muster herausbilden lässt. Hinzu kommt noch, dass dieser Fumio Onishi aus seinen vagen Erkenntnissen sogleich Konsequenzen zieht, was bedeutet, dass er ein Massaker nach dem anderen anrichtet.

Diese Massaker nun ändern das Gesamtensemble, in dem der Mord an seinem Kumpel das Ausgangstableau bildet, jedesmal derart, dass sich eigentlich nicht wirklich erkennen lässt, wer denn nun und warum den ersten Toten auf dem Gewissen hat.

Fumio Onishi zieht nach Berlin ein, genauer gesagt in die vietnamesische Gemeinde, und räumt alles aus dem Weg, was sich ihm auch nur andeutungsweise in den Weg stellt. Das Resultat ist ein Gebilde, dem sämtliches Führungspersonal verloren gegangen ist – und ein Resultat wird sein, dass der oder die Mörder wohl dabei gewesen sind. Mit anderen Worten, Fumio Onishi richtet einen furchtbaren Schlamassel an, und wer als Gangsterboss nur seine fünf Sinne halbwegs beisammen hat, wird ihn dafür zur Rechenschaft ziehen müssen. Wer kann denn unter solchen Bedingungen ordentliche Geschäfte machen, auch wenn sie kriminell sein mögen? Und dann erst recht.

Das, was sich bei Fumio Onishi als Wirkungs- und Handlungsmacht darstellt – er bringt haufenweise Leute um und wird nicht gefasst –, ist nichts anderes als dessen Desaster. Eben nicht nur, weil das alles im Fiasko enden muss, sondern auch, weil Handlungen, die derart finalisiert werden müssen, sinnlos sind, keinen Zweck mehr erfüllen, mit anderen Worten: extrem subjektiviert sind.

Das Gegenprogramm allerdings kann ein kaum besseres Ergebnis für sich verbuchen: Die Berliner Kommissarin Annegret Bartsch ist im Vietnam-Dezernat der Berliner Polizei abgestellt. Niemand interessiert sich für sie, niemand nimmt sie ernst. Auch als die Chance besteht, dass ihr Knowhow ihr neue Aufmerksamkeit beschert, wird sie gleich wieder dem Leiter des Morddezernats unterstellt. Als Kombattantin ist sie ein Fiasko. Keine Nahkampftechniken, nicht mal Schießtraining. Und Probleme mit ihrem lausigen Ehemann hat sie auch noch. Privatleben und Beruf kann sie nicht auseinanderhalten. Insgesamt ist sie das Musterbeispiel einer macht- und wirkungslos Handelnden. Selbst in ihrem ureigensten Distrikt, in der vietnamesischen Gemeinde, ist sie kaum bewegungsfähig. Ihre Informanten sind alle gestellt, sie hat kaum Einblick in das soziale Gefüge und deshalb wenig brauchbare Informationen, auf deren Basis sie irgendetwas erkennen kann.

Dass in einer solchen Situation auch noch ein japanischer Killer mitmischt, macht das Ganze noch undurchdringlicher, was dazu führt, dass das bisschen, was Frau Bartsch mitbekommt, auch noch glorreich falsch verstanden wird. Das kann nicht gut enden, und es sieht so aus, als würde es nicht gut enden.

Nun hat man mit Christoph Peters nicht irgendeinen zeitgenössischen Autor vor sich. Bereits mit dem 1999 erschienenen Debut „Stadt Land Fluß“ hat er sich großartig in die deutschsprachige Literatur eingeschrieben. Anderthalb Jahrzehnte später hat er nichts von seinem Stilwillen verloren. Und der trägt ihn hier sehr weit.

Sicher, wer sich durch den Assoziationsstrom durchkämpfen muss, mit dem er seine deutsche Kommissarin ausstattet, muss eben auch kämpfen. Dagegen ist der Erzählstrang um den japanischen Yakuza geradezu konventionell erzählt – aber auch das hat Funktion. Denn das Chaos, das den Gedankenstrom der einen Figur auszeichnet, und die konventionelle Ordnung, die der anderen zugeschrieben wird, rekurrieren auf das jeweilige Verhältnis der Figuren zur Welt. Und sicher, der geordnete Habitus des Yakuza ist attraktiv, aber eben auch ein hoffnungsloser Mythos, während die Hoffnungslosigkeit der Gegenfigur, der Polizistin, die Ordnung ins Chaos bringen soll, sich gerade im fatalen Ende umzukehren scheint. Die Überforderte ist diejenige von beiden, die das, was vonnöten ist, ertragen kann und damit aufweist, was in der Moderne gebraucht wird: Kontingenz auszuhalten.

Titelbild

Christoph Peters: Der Arm des Kraken. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2015.
352 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783630873206

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