Mord und Totschlag in der Landidylle
Christine Hochgerner verwebt in „Der letzte Satz“ gekonnt Familienroman und Kriminalfall miteinander
Von Simone Elisabeth Lang
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseChristine Hochgerner hat in ihrem zweiten Roman Der letzte Satz das Grundthema der pflegebedürftigen Eltern und des Lebens auf dem Land, das sie bereits in ihrem Debütroman Hoffen ist viel verarbeitet hat, konsequent weitergeführt. Susanne, Journalistin in den Mittfünfzigern, hat ihre Eltern in ihrem teilweise zur Pflegestation umgebauten Elternhaus auf dem Land gepflegt. Nach deren Tod schwankt sie nun zwischen Gefühlen der Trauer und der Befreiung. Sie sucht nach ihren Wurzeln und ihrer Aufgabe, danach, was geblieben ist, wenn man als Letze einer Familie übrig ist.
Der Roman setzt nach einem in seiner Bedeutung für die Geschichte zunächst reichlich unklar bleibenden Vorspiel mit der Beerdigung der eben verstorbenen Mutter ein. Während des Begräbnisses wird Susanne von einem sympathischen Mann angesprochen und fühlt sich gleich zu ihm hingezogen. Sie schlittert in eine aufregende Affäre mit dem Fremden, der ein Geheimnis um seine Person macht, über Susanne aber alles zu wissen scheint. Es folgen spannende Treffen mit Armin – wenigstens seinen Namen hat er ihr verraten. Susannes Nachforschungen zu ihrem Liebhaber bringen Verflechtungen seiner und ihrer Familiengeschichte zu Tage, die immer mysteriöser zu werden scheinen.
Detailliert erlebt der Leser die Entwicklungen aus der Perspektive Susannes mit. Der letzte Satz ist eng gekoppelt an die Wahrnehmung der Hauptfigur, was nicht nur die Spannung bezüglich des sich im Laufe der Geschichte entwickelnden Kriminalfalls hebt, sondern auch die Möglichkeit bietet, die Gefühle und Gedanken einer einsamen aber starken Frau dieser Generation zu verhandeln. Ebenso wird damit auch dem Untertitel, „Ein Familienroman, der zum Kriminalfall wird“, Genüge getan. Die Nachforschungen der letzten Hinterbliebenen zu ihren Vorfahren und zu dem rätselhaften Tod ihrer Schwester fördern nicht nur Unglaubliches zu Tage, sondern es wird auch vorgeführt, was diese Suche nach den eigenen Wurzeln eigentlich bedeutet. Kennt man seine Eltern wirklich? Kann man sie überhaupt jemals wirklich kennen? Und was bedeutet es, wenn man auf einmal erfährt, dass alles anders ist, als man dachte?
Dieser Aspekt des Romans gelingt Hochgerner wahrlich exzellent. Der kurze, kursivierte und damit deutlich vom Rest der Geschichte abgehobene Auftakt lässt eine unheimliche Spannung entstehen, die die Lesehaltung gleich in die von der Autorin intendierte Bahn lenkt. Mit diesem Vorspiel im Hinterkopf autorisiert der Roman den Leser stets auch zu anderen Erklärungen des sich nun entfaltenden Familiendramas, als sie aus der Sicht der Protagonistin expliziert werden.
Gekonnt evoziert die Autorin neben der Nähe zur Protagonistin durch die Fokussierung auf ihre Perspektive ebenso eine gewisse Distanz, da das Erlebte nicht in der Ich-Form erzählt wird. Dieses Spiel mit Nähe und Abstand wirkt hier besonders gelungen. Daneben fordert der Roman vor allem zu Beginn eine hohe Konzentrationsbereitschaft, denn die Schilderungen brechen immer wieder mitten in der Handlung ab. Das lässt einerseits genug Freiraum für Spekulationen, führt andererseits aber auch zu einer gewissen Unruhe, die dem Stoff zuträglich ist.
Lediglich die Frage danach, wie es kommt, dass Susanne sich plötzlich auf das Abenteuer mit dem für sie wildfremden Mann einlässt, bleibt unmotiviert. Die plötzliche Verliebtheit will nicht so recht zur bodenständigen Journalistin Mitte 50 passen, ja sie kollidiert geradezu mit dem Bild, das der Leser sich bisher von Susanne machen konnte.
Sprachlich kommt der Roman leichtfüßig und in klarer Sprache daher, an manchen Stellen überraschen jedoch die etwas gestellt wirkenden Wortspiele, die den Lesefluss stören, wie beispielsweise: „Vergessen, gegessen, verdaut, gut gekaut ist halb verdaut“. Insgesamt bietet Der letzte Satz aber ein spannendes Lesevergnügen, das Lust auf mehr von Christine Hochgerner macht.