Pose als Werkpolitik

Der Literaturwissenschaftler Alexander M. Fischer untersucht Autorinszenierungen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert

Von Katja HachenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katja Hachenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf der Startseite des Internet-Portals www.literaturport.de findet sich die Rubrik „Autor des Tages“, die das aktuelle Tagesdatum mit dem Geburtstag eines Autors verknüpft. Gleich daneben befindet sich das „Autorengezwitscher“, hier wird im Minutentakt getwittert. In „Nächste Veranstaltungen“ wird auf Lesungen hingewiesen, in „Leselampe“ empfehlen Autoren die Bücher von Kollegen. Produktive, distributive und rezeptive Kreisläufe des literarischen Lebens verschalten sich hier eng miteinander und spiegeln die von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägten Prozesse des Literaturbetriebs.

Wenn wir es mit Literatur zu tun haben, haben wir es, neben dem Werk, vor allem mit dem Leben der Autoren zu tun. Leser suchen diese Nähe, wollen Bilder, die Nähe suggerieren, Bilder, die den Autor am Schreibtisch zeigen oder an anderen besonderen Orten, in der Natur oder im Gespräch. Es existiert ein großes Interesse der literarischen Öffentlichkeit an den Bedingungen der literarischen Produktion; genauso stark ist das Bedürfnis nach Authentizität: Wie, unter welchen zeitlichen, räumlichen oder persönlichen Umständen ist ein Text entstanden? Wie lebt der Autor? Wie sieht sein Arbeitszimmer aus? Wie gestaltet sich dessen Arbeitsrhythmus?

Wo es um Autorschaft geht, geht es, verknüpft mit der Frage nach Authentizität, immer auch um Inszenierung. Und um die Suggestion von Teilhaberschaft. Aktuelles Beispiel mag an dieser Stelle Tilman Rammstedt sein, der, an einem neuen Roman mit dem Titel „Morgen mehr“ schreibend, seiner Leserschaft in der Zeit vom 11. Januar bis zum 8. April 2016 tägliche „Romanhappen“ bot: Via E-Mail, WhatsApp oder gelesen als Audio-Datei verschickte Rammstedt täglich die mit dem Verlag vereinbarten zwei getippten Seiten an jeden, der sie lesen oder hören mochte. Man kann darüber streiten, ob das alles eine Spielerei sei (wie Wolfgang Tischer das in einem Interview mit Jo Lendle getan hat). Fakt ist, dass auf ebendiesem Wege Öffentlichkeit generiert wird.

Den beschriebenen Bedingungen und Mechanismen der Konstituierung öffentlichen Interesses und der Suggestion von Teilhabe am Autorleben beziehungsweise -werk spürt der Literaturwissenschaftler Alexander M. Fischer in seiner umfangreichen Studie „Posierende Poeten. Autorinszenierungen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert“ nach. Fischer war zwischen 2007 und 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt „Posierende Poeten“ tätig sowie vertretungsweise wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter. Seit Juni 2014 ist er Privatdozent in Neuerer deutscher Literaturwissenschaft. „Posierende Poeten“ stellt Fischers Habilitationsschrift dar, deren Ergebnisse zum Teil auf dem genannten DFG-Forschungsprojekt basieren.

Die über 600 Seiten der Studie gliedern sich in drei große Teile: In einer Einleitung gibt Fischer einen Überblick über die Forschungslage, seinen theoretischen Ansatz, relevante Begrifflichkeiten und das methodische Vorgehen in seiner Arbeit. Im analytischen zweiten Teil bietet „Posierende Poeten“ anhand einer Autorenauswahl, die von Johann Wilhelm Ludwig Gleim über Thomas Mann und Bertolt Brecht bis hin zu den „deutschen Popliteraten“ reicht, die schlaglichtartige Präsentation einer Entwicklungsgeschichte von Autorinszenierungen. Teil drei schließlich perspektiviert die Thematik systematisch-kategorisierend sowie historisch.

Im Begriff der Autorinszenierung treffen zahlreiche – mediale, performative, soziale, politische wie ästhetische – Phänomene und Termini aufeinander: Selbst- und Fremdinszenierung, Bekenntnis zur eigenen Autorenrolle und damit Positionierung im literarischen Feld, Öffentlichkeitswirksamkeit, Performanz, Intermedialität, Renommee, Repräsentation, Reklame, Ins-Bild-Setzung, Pose, Selbststilisierung oder Theatralität. Autorinszenierung ist integraler Bestandteil in der Selbstdarstellung des Systems Literatur. Ihr kommt bei der Aufmerksamkeitsakkumulation eine zentrale Bedeutung zu. In seiner Studie konturiert Fischer konkrete Formen der Autorinszenierung in Anlehnung an den „performative turn“ und an das Habitus-Konzept à la Pierre Bourdieu.

Als Autorinszenierung begreift Fischer zunächst allgemein „all jene Akte und Formen auktorialer Selbstdarstellung, durch die Schriftsteller mehr oder minder öffentlichkeitsbezogen für ihr Werk und ihre Person Aufmerksamkeit erzeugen“. Sie stellt ein Wechselspiel dar von ästhetischen Intentionen und sozialen Dispositionen. Dabei geht es sowohl um kurz- als auch langfristige Aufmerksamkeitsgewinne, die letzten Endes zur Etablierung und Stärkung eines „Autor-Labels“ führen sollen. Mit Bourdieu fragt Fischer danach, wie und inwieweit die Inszenierungen genutzt werden, um vor dem Hintergrund der jeweils spezifischen Gesellschaftssituation eine bestimmte Position innerhalb des zeitgenössischen literarischen Feldes zu besetzen. Habitus-Formen als Systeme dauerhafter Dispositionen wirken als Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen und Repräsentationen. Fischer begreift intentionale Autorinszenierungen als Resultate habitueller Strategien, die dem praktischen Sinn für die im literarischen Feld bestehende Notwendigkeit zur Aufmerksamkeitsakkumulation durch Selbstinszenierung entspringen.

Welchen Ort markiert ein Autor innerhalb des ökonomischen und kulturellen Feldes? Wie positioniert er seinen Namen, der, aus Sicht der Konsumenten, wichtige Zusatzinformationen liefert (das Kaufrisiko verringern, Orientierungshilfe und Vertrauen schaffen kann)? Von Bertolt Brecht stammt der Ausspruch: „Mein Name ist eine Marke, und wer diese Marke benutzt, muss dafür bezahlen!“

Die ambitionierte Selbstinszenierung des Autors, resümiert Fischer, erscheine auch als eine Performance mit eigener ästhetischer Zielsetzung: Der Autor als Person repräsentiert den Autor als Verfasser von Literatur, während der Zuschauer (als späterer Leser) zuschaut.

Wer im zeitgenössischen literarischen Diskurs seinen Platz finden und behaupten will, scheint gleichsam mit Notwendigkeit unter diesem Permanentdruck, ja Zwang zur Selbstinszenierung zu stehen. Genügt es nicht, fragt es sich da, gut zu schreiben? Was geschieht mit der Hervorbringung von Texten und ihrer ästhetischen Qualität unter dem allgegenwärtigen Sog aus Pose und Arbeit am Renommee? Welche Personen und Institutionen sind, ähnlich den sogenannten „Spin-Doctors“ im Bereich des Politischen, außer dem Autor an der Etablierung des Autorlabels beteiligt?

Dies alles sind Gedanken, die sich bei der Lektüre von „Posierende Poeten“ einstellen. In seinem Feuilletonartikel „Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn“ in „Die Zeit“ vom 16. Januar 2014 geht Florian Kessler, selbst Absolvent des Studiengangs „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ an der Universität Hildesheim, der Frage nach: „Warum ist die deutsche Gegenwartsliteratur so brav und konformistisch? Weil die Absolventen der Schreibschulen von Leipzig und Hildesheim alle aus demselben saturierten Milieu kommen“. Ein schonungsloser, unverstellter Beitrag, der Einblicke in die soziale Selektionsmaschinerie und die Mechanismen des Literaturbetriebs eröffnet. Obwohl insgesamt immer mehr Bücher publiziert würden, so Kessler, entscheide eine immer kleinere Konstellation von Großagenten, Großverlagen und Großhändlern, welche dieser Bücher die Chance erhielten, „zu deutlich sichtbaren Erfolgen hochgepusht zu werden“. Wer heute als Autor erfolgreich sein wolle, müsse in diese Kreise eintreten, lautet Kesslers Fazit.

Zurück zu Fischers Studie: Sie ist terminologisch in höchstem Maße abgesichert, begrifflich hoch aufgeladen und reflektiert. Jeder argumentative Schritt, jede inhaltliche Entscheidung wird eingehend begründet, und damit die Möglichkeit eines Einwands von vornherein unterlaufen (wie beispielsweise die Frage nach der Legitimität der Beschränkung der Autorenauswahl auf „wirkmächtige“ und männliche Autoren). „Posierende Poeten“ ist mit Gewinn zu lesen, gleichwohl für eine breitere Öffentlichkeit aufgrund der beschriebenen Begriffslastigkeiten eine eher sperrige Lektüre.

Eine Auseinandersetzung mit aktuellen Inszenierungsformaten, wie beispielsweise Blogs, wäre wünschenswert gewesen (der Buchtitel verspricht einen Blick auf Autorinszenierungen bis ins 21. Jahrhundert!), generiert doch jeder neue mediale Kanal, jedes neue Medienformat, wie Fischer richtig am Ende seiner Ausführungen bemerkt, entsprechend innovativ-originelle Inszenierungsmöglichkeiten. Zu denken ist an dieser Stelle auch an die multimediale beziehungsweise intermediale Marketingpraxis für neu auf den Markt kommende Titel.

Bleibt nach der Lektüre von „Posierende Poeten“ nur ein ernüchterter, desillusionierter Blick auf die unerbittlichen, von ungezählten Interessen motivierten Mechanismen der Produktion von Autorschaft? Sicher nicht, denn neben der Maschinerie finden sich die vielleicht kleinen, aber sehr lebendigen Oasen, in denen Qualität entsteht und ein guter Text unabhängig ist von Auflagenhöhe oder Autorlabel; in denen Authentizität nicht inszeniert werden muss, um vorhanden zu sein. Ein Klassiker wie Marlen Haushofers „Die Wand“ entstand beinahe im literarischen Niemandsland. Ein gütiges Geschick, schrieb Haushofer in ihrem kurzen Text „Für eine vergessliche Zwillingsschwester“, habe sie davor bewahrt, berühmt zu werden: Sie hätte „das damit verbundene hektische Leben nicht lange ertragen“. Der ganz große Ruhm kam, vielleicht zu Haushofers Glück, erst nach ihrem frühen Tod.

Titelbild

Alexander M. Fischer: Posierende Poeten. Autorinszenierungen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2016.
633 Seiten, 86,00 EUR.
ISBN-13: 9783825363482

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