Verdient unverdient

Der Literaturnobelpreis für Bob Dylan

Von Dieter LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Lamping

1.

Nun hat Bob Dylan, nach einer Reihe von Nominierungen, den Literaturnobelpreis doch noch erhalten, und alle Fans auch in den Feuilletons freuen sich. Er wurde seit Jahren als Kandidat gehandelt, vor allem von einer unbeirrbar treuen Schar von Anhängern, die unermüdlich in der Öffentlichkeit für ihn warb und wirbt. Er selbst ist auf den Konzertbühnen nach wie vor präsent. Weiterhin treibt es ihn tourend um die ganze Welt, auf der er sich der Anerkennung seiner Fans versichert, zu denen sich nun auch die Schwedische Akademie gesellt hat. Das alles könnte man mit verschiedenen Versen von ihm kommentieren. Doch sein Universum, das jetzt so viel Bestätigung erfahren hat, darf man auch einmal verlassen, um über die Entscheidung nachzudenken, die zweifellos eine Aufwertung nicht nur der Popmusik, sondern auch und vor allem seiner Songs bedeutet.

2.

Es war Allen Ginsberg, der zuerst den Gedanken hatte, Bob Dylan für den Nobelpreis vorzuschlagen. Das war generös. Denn er selbst hatte kaum eine Chance, den Preis zu bekommen, und von ihrer beider Zusammenarbeit hat Dylan sicher mehr profitiert. Ihm verdankt er seine erste literarische Anerkennung durch einen prominenten Dichter. Ginsberg hat Dylan als Autor zu Ehren gebracht. Was ihn nicht zuletzt an dem jungen Songwriter anzog, war der schöne Traum vieler Dichter, mit Lyrik populär zu werden – ja, ein Popstar. Das ist Dylan wie keinem zuvor gelungen.

Allerdings waren es nicht nur seine Worte, die das bewirkt haben, sondern ebenso seine Stimme und seine Musik, sein Auftreten und seine Auftritte. All das hat von Anfang an stark Zitatcharakter gehabt, manche behaupten auch: Es war zu einem großen Teil Imitation. Die Verbindung im Ganzen war jedoch einmalig: Ein junger, musikalisch nicht übermäßig begabter, aber ungewöhnlich wandlungsfähiger Folksinger, der den am Anfang heftig befeindeten Schritt in die elektrisch verstärkte Musik tat und dabei mit einer unverwechselbaren Stimme wortreiche und raffinierte Lieder sang, die immer häufiger an die moderne Poesie anschlossen. So wie er als Sänger zuerst vor allem Woody Guthrie nacheiferte, eignete er sich bald schon viel von Lyrikern wie Ezra Pound und T.S. Eliot, Bertolt Brecht und Arthur Rimbaud an, auf die er mehr oder weniger gut erkennbar anspielte. Das machte Schule. Dylan spornte nicht nur John Lennon an, er ermunterte durch seinen Erfolg auch Leonard Cohen, es ihm gleich zu tun, und noch eine Joni Mitchell, die ihm mit der Zeit immer kritischer gegenüberstand, hätte es ohne seine Experimente erheblich schwerer gehabt, Anerkennung zu finden.

Dylans Verdienst ist es, die moderne Lyrik mit der populären Musik verbunden zu haben, und dies in der sozusagen orphischen Personalunion von Autor, Sänger und Musiker. Er hat das ebenso sicher wie selbstbewusst getan: ein jugendliches Genie. Das Verfassen von Versen für ein großes Publikum hat nicht erst Dylan zur Kunst erhoben, aber keiner zuvor hat es so selbstverständlich mit so viel literarischem Anspruch getan. Dafür verdient er, ausgezeichnet zu werden, und mehr als einmal wurde er das auch, bis hin zum Pulitzer Preis. Dass man ihn literarisch ernstnehmen muss, hatte sich aber ohnehin schon herumgesprochen. Die akademische Literaturwissenschaft, ebenso wie die Literaturkritik, hat Dylan schon vor Jahrzehnten entdeckt, ganz zu Recht. Insofern ist die Entscheidung des Nobelpreiskomitees nicht unbedingt mutig. Sie zeichnet jetzt nur aus, was längst erkannt und anerkannt ist.

3.

Und doch muss man sich fragen, ob die Verleihung des Nobelpreises an Dylan nicht eine viel applaudierte Fehlentscheidung ist – und nicht nur weil er so reich ist, dass man ihm, anstelle sehr viel schlechter gestellter Schriftsteller, nicht auch noch den höchstdotierten Literaturpreis zukommen lassen muss. Überraschend ist die Auszeichnung ohne Zweifel, wenn man die Statuten heranzieht. Sie sehen vor, dass der Nobelpreis für ein Werk aus dem gerade vergangenen Jahr verliehen werden soll. Man kann nur hoffen, dass die Schwedische Akademie nicht an Dylans letztes Album gedacht hat.

Es ist unübersehbar und unüberhörbar, dass er als Singer and Songwriter Mitte der 60er Jahre am besten war, 1965 und 1966 mit seinen drei unerreichten Alben „Bringing It All Back Home“, „Highway 61 Revisited“ und „Blonde on Blonde“. An deren Klasse reicht wenig heran, was er später geschaffen hat, von Neuem und Neuesten nicht zu reden. Der Literaturnobelpreis mutet insofern eher wie eine sonst in Hollywood übliche Auszeichnung für das Lebenswerk eines Künstlers im Jahr des 75. Geburtstags an.

Gern verweist man, fast jedes Jahr, wenn der Preis vergeben wurde, abwägend zum Vergleich auf alle, die leer ausgegangen sind. Auch dieses Mal ist die Reihe voll prominenter Namen: von Joyce Carol Oates und Philip Roth bis zu Salman Rushdie und Peter Handke. Es sind berühmte Autoren, deren Werk ein literarisches Gewicht hat, das dem Dylans offensichtlich fehlt. Es besteht aus einem mittelstarken Band mit seinen „Lyrics“, einem ungleich schmaleren mit meist unverunglückter poetischer Prosa und dem ersten Teil seiner Autobiographie, auf dessen Fortsetzung seine Leser seit gut 10 Jahren warten.

Die Schwedische Akademie hat, seit Dylan anfing, sich einen Namen zu machen, eine Reihe von großen Lyrikern und Lyrikerinnen ausgezeichnet, unter ihnen Pablo Neruda, Eugenio Montale, Czeslaw Miłosz, Joseph Brodsky, Octavio Paz, Derek Walcott, Seamus Heaney, Wisława Szymborska und Tomas Tranströmer. Andere Dichter hätten die Auszeichnung schon seit langem verdient – wie etwa Lars Gustafsson und Hans Magnus Enzensberger. Bob Dylan reicht als Lyriker an keinen von ihnen heran.

Manches spricht dafür, dass er zu den Fehlentscheidungen gehört, die dem Nobelpreiskomitee seit den 90er Jahren unterlaufen sind – wie Elfriede Jelinek, wie vielleicht auch, aus ganz unterschiedlichen Gründen, Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch und wie ganz sicher der eben verstorbene Dario Fo. Im Übrigen ist die Geschichte des Literaturnobelpreises voll solcher Irrtümer, von denen gerade deutschsprachige Autoren wie Theodor Mommsen, der als erster Deutscher den Preis erhielt, Rudolf Eucken, Carl Spitteler und Hermann Hesse profitiert haben. Diese Entscheidungen scheinen umso anfechtbarer, als viele Große den Preis nicht erhalten haben, angefangen bei Leo Tolstoi. Aber auch die bedeutendsten Autoren der Moderne mussten ohne Nobelpreis leben: James Joyce, Virginia Woolf, Robert Musil, Bertolt Brecht und Ezra Pound.

Dafür ist, neben dem nicht unkomplizierten Auswahlverfahren, vor allem der Umstand verantwortlich, dass die Entscheidung letztlich in die Hände der in fast regelmäßigen Abständen einigen Schwankungen des Geschmacks unterworfen Akademie eines Landes gelegt ist, das nicht im Zentrum der literarischen Welt steht. Der Literaturnobelpreis gehört zweifellos zu den unvollkommeneren menschlichen Einrichtungen.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zu Signet von Simone Frieling.