Kunst, Kommerz und Klamauk
Hannah Rothschilds Debütroman „Die Launenhaftigkeit der Liebe“ entführt ebenso unterhaltsam wie nachdenklich in die Welt des vermeintlich Guten und Schönen
Von Bernhard Walcher
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Launenhaftigkeit der Liebe gibt es nicht, jedenfalls nicht als Gemälde des vielleicht berühmtesten Rokokomalers Antoine Watteau. Dieser war zu Lebzeiten gar nicht so unbekannt und erfolglos, wie das im Roman bisweilen unterschwellig kolportiert wird: Immerhin wurde er 1717 in die Königliche Akademie für Malerei und Bildhauerei aufgenommen, hatte einflussreiche Freunde und Förderer wie Pierre Crozat oder Pierre-Jean Mariette und ist heute bei Auktionen ein Garant für hohe Verkaufszuschläge. Um das erfundene Gemälde von Watteau entfaltet Hannah Rothschild eine Detektivgeschichte über Raubkunst, die zugleich Gesellschafts- und Geschichtsroman ist, und greift damit auf Themen und Gattungsformen zurück, die auf dem Buchmarkt gerade Konjunktur haben.
Die durchaus verwickelte Geschichte ist dennoch relativ schnell zusammengefasst: Die von ihrem Freund verlassene Annie McDee kehrt aus ihrem Haus in Devon nach London zurück und verdient sich ihren Lebensunterhalt mit verschiedenen Jobs, bis sie als Köchin mit Vorliebe für das Nachkochen von historischen Rezepten bei einer nach außen völlig abgeschottet lebenden, ebenso schrulligen wie schwerreichen Kunsthändlerfamilie landet, die aus dem Patriarchen Memling und seiner Tochter Rebecca Winklemann besteht – das Lektorat hätte hier die immer wieder zwischen „Winklemann“ und „Winkelmann“ wechselnden Schreibweisen vereinheitlichen können. Durch einen Zufallskauf bei einem Londoner Trödler erwirbt Annie nichtsahnend das auch vom Verkäufer nicht erkannte Watteau-Gemälde und gerät damit in einen Strudel von Begehrlichkeiten seitens Forschern, Kunsthändlern und Superreichen. Daneben wird auch die bis ins Nazi-Deutschland zurückreichende Vorgeschichte des Kunstwerks erzählt, die aufs Engste mit der Familie Winklemann verbunden ist. Mit einem auf den ersten Blick nur wie eine Pointe wirkenden Einfall, das Gemälde in einigen Kapiteln immer wieder selbst über sich und seine bewegte Geschichte sprechen zu lassen, schafft Rothschild eine überzeugende, zweite Erzählinstanz im Roman, deren Überlegungen zur gegenwärtigen Kunstwelt und zur Geschichte von Kunst und Macht, von Päpsten und Kaisern, Napoleon und Hitler, man interessiert folgt.
Das Gemälde kommt schließlich in dem ebenfalls fiktiven Auktionshaus Monachorum & Sons (gegründet 1756) zur Versteigerung. Beginnend mit dem Tag der Auktion, dessen Schilderung den Roman eröffnet und der mit einem Cliffhanger den Zusammenhang zum Ende herstellt, entwickelt der Roman einen Rückblick auf das halbe Jahr vom Kauf des Gemäldes bis zu seiner Versteigerung. Die Welt, die Rothschild dabei stilistisch großartig zwischen ehrfurchtsvollem Pathos und beißendem, satirischem Spott changierend beschreibt, kennt sie als Tochter des vierten Barons von Rothschild und als ausgewiesene Expertin des Kunstmarkts, die seit Sommer 2015 auch als erste Frau dem Vorstand der National Gallery in London vorsitzt, nur allzu gut. Die von der Hocharistokratie bevölkerte Welt des Auktionshauses mit dem Hauptauktionator Earl Beachendon vermag Rothschild ebenso überzeugend in all seinen Facetten, Abgründen und Annehmlichkeiten zu schildern wie die Anliegen, Motive, Schrulligkeiten und Vorlieben der Superreichen, die als potentielle Käufer von schöner Kunst umworben, gehegt und gepflegt werden müssen. Das Briefing der Mitarbeiter vor der Auktion durch den Earl gerät daher zu einem äußerst unterhaltsamen – aber wohl auch realistischen – Tableau von Kaufinteressenten, die sich in der Realität in den Auktionszentren London, New York, Hongkong und Genf tummeln. Der Wunsch, das Watteau-Gemälde zu besitzen, ist von ganz unterschiedlichen Motiven geleitet, die in den Persönlichkeiten der Interessenten ihre Entsprechung finden: Da konkurrieren verschiedene russische Mafiosi mit der steinalten, ein wenig verrückten Kunstmäzenin Appledore und dem Emir von Alwabbi begleitet von seinen Musen ohne jeglichen Kunstverstand. Man fragt sich, ob die von allen betriebene Überhöhung von Werken der Bildenden Kunst nicht doch nur einer einzigen postmodernen kapitalistischen Interpretation von Kunst geschuldet ist, die sich letzten Endes immer ausschließlich im Geld und Geldwert des Objekts manifestiert. Der Roman will aber beileibe kein tiefgründiges Pamphlet gegen die Auswüchse des modernen Auktionswesens sein. Dazu ist die Geschichte mit einem viel zu deutlichen (selbst-)ironischen Unterton geschrieben, dem dazu der eine oder andere grotesk wirkende Einfall – wie die Wiederentdeckung des Bernstein-Zimmers – an die Seite gestellt wird. Und das ist eine ausgesprochene Qualität des Romans.
Gleichwohl lassen sich gerade in der Überzeichnung von Figuren wie Earl Beachendon oder der mit einer falschen Expertise in Ungnade gefallenen Kunstexpertin Delores Ryan die fast tragisch anmutenden Kräfteverhältnisse der scheinbar glamourösen Kunstwelt erahnen. Tatsächlich ist es für den Hauptauktionator Earl Beachendon die letzte Möglichkeit, mit dem Watteau-Verkauf seine Haut und Stellung zu retten und dem Druck der Investoren zu begegnen. Wobei sein für Normalsterbliche schwer nachzuvollziehender Hauptantrieb darin besteht, allen seinen nach Shakespeare-Figuren benannten Töchtern Desdemona, Cordelia, Juliet, Beatrice, Cressida und Portia Halfpenny jeweils eine angemessene Wohnung kaufen zu können. Nicht zufällig aber erinnert das Verhalten der offensichtlich von den Mechanismen des Kunstmarkts wenig und von der Kunst schon gar nichts verstehenden Kaufinteressenten an das Gebaren amerikanischer, russischer oder chinesischer Investoren und Milliardäre, deren Einstieg in traditionsreiche Auktionshäuser vor einigen Jahren großes Aufsehen erregte. Kenner des Markts hielten dies zu Recht für eine unheilige Allianz und für äußerst problematisch, da sich doch ziemlich deutlich hinter den vermeintlichen Reformbestrebungen dieser Investoren deren Heuschreckengesinnung und ein von neuem Geld betriebenes „bidding for class“ abzeichnete.
Daneben ist mit der Vorgeschichte des Watteau-Gemäldes auch die Rolle des „Einsatzstab[s] Reichsleiter[s] Rosenberg“ verknüpft, zuständig für die Organisation von Kunstraubzügen der Nazis in Europa, was zumindest thematisch an den Gurlitt-Fall und natürlich auch an Rothschilds eigene Familiengeschichte erinnert, deren verschiedenen Zweigen durch die Nazis zahlreiche Kunstwerke entwendet worden sind.
Bei allem anspielungsreichen, realistischen und ernsten historischen Gehalt des Romans steht durch die distanzierte, deutlich ironisch gebrochene Erzählweise doch die vergnügliche Lektüre im Vordergrund. Das erinnert an die bissig-satirischen Romane des aus ähnlich traditionsreichen Verhältnissen stammenden Edward St Aubyn. Mit einer für die angelsächsische Literatur typischen parlandohaften Leichtigkeit, die nicht mit Banalität zu verwechseln ist, unterhält sich der Leser bei Rothschild allerdings nie unter seinem Niveau.
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