Liebe und Schreiben in Zeiten der Diktatur
Ismail Kadares Roman „Die Dämmerung der Steppengötter“ liegt erstmals in deutscher Übersetzung vor
Von Bernhard Walcher
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas umfangreiche (Roman-)Werk des 1936 im albanischen Gjirokastra geborenen Ismail Kadare ist beim deutschen Lesepublikum ebenso wenig präsent wie die Geschichte des albanischen Kommunismus im allgemeinen europäischen Gedächtnis. Außerhalb von Albanien und seinen Nachbarstaaten ist diese vielleicht merkwürdigste Aneignung und Umsetzung kommunistisch-stalinistischer Staatsvorstellungen heute so gut wie vergessen. Das ist insofern verwunderlich, als Kadare 2005 den „Man Booker International Prize“ erhalten hat und sich mit dem Deutschen Taschenbuchverlag, dem S. Fischer Verlag und dem Schweizerischen Ammann Verlag gleich drei renommierte Häuser seit den 1960er-Jahren der Aufgabe angenommen haben, Kadares Werke ins Deutsche übersetzen zu lassen und einem größeren Publikum näherzubringen.
Von der albanischen Geschichte haben die meisten Leser wohl bestenfalls noch die große Massenauswanderung von Albanern nach dem Tod des Diktators Enver Hoxha 1985 und diejenige nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes unter seinem Nachfolger Ramiz Alia im Jahre 1990 vor Augen, da sich diese Emigrationswellen doch spürbar nicht nur auf die unmittelbaren Nachbarländer Albaniens ausgewirkt haben. Wer also etwas über diesen vergessenen Teil europäischer Geschichte des Kommunismus und Sozialismus erfahren will, ist bestens beraten, Kadares Romane zu lesen und wird nicht enttäuscht werden: Die Geschichten über türkisch-albanische Konflikte im 14. Jahrhundert, Spionagedienstleiter in den 1940er-Jahren, utopische Führerphantasien und ganz grundsätzlich über das Verhältnis von diktatorischem Staat, Volk und Gewalt lesen sich flüssig und bieten meist klug konstruierte Handlungen. Ob diese Texte aber mehr als literarischer Geschichtsunterricht sind und heute sein können, muss jeder Leser für sich selbst entscheiden.
Fest steht, dass Kadares Werk literatur- und kulturgeschichtlich bedeutend ist und dass seine bis heute nicht eindeutig von ihm geklärte und erklärte Nähe zum Diktator Hoxha für die Beurteilung seines literarischen Schaffens nicht von Belang ist. Wir beurteilen schließlich auch nicht Bertolt Brechts Gedichte und Dramen mit Blick auf seine Bewunderung für Stalin oder Christa Wolfs Romane angesichts ihrer spät publik gewordenen Stasi-Mitarbeiterschaft. Ganz gewiss nämlich hat Kadare keine gesinnungskonforme kommunistisch-sozialistische literarische Massenware im Sinne eines sozialistischen Realismus geschrieben, der sich literarischen Formen verweigerte, die als dekadent und verwestlicht abgewertet wurden. Umso unverständlicher aber scheint gerade deshalb sein Verhältnis zu Hoxha und dem albanischen Regime.
Der zunächst vor allem als Lyriker bekannt gewordene Kadare gelang mit seinem 1963 vorgelegten Roman Der General der toten Armee der Durchbruch zu größerer Bekanntheit, dem zahlreiche Texte, die zumeist die albanische Geschichte und Gegenwart portraitieren, folgten. Bis auf wenige Ausnahmen erscheinen deutsche Übersetzungen von Kadares Werken erst seit den späten 1980er-Jahren – was nicht zuletzt seine Ursache in der politischen Situation und Kadares Stellung zum Regime haben dürfte. Bereits 1978 publizierte der Autor im albanischen Original den nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegenden Roman Die Dämmerung der Steppengötter, in dem ein deutlich autobiographische Züge des Autors tragender albanischer Schriftsteller und Ich-Erzähler vor allem von seinem Aufenthalt am Moskauer Maxim-Gorki-Institut, dem von Bespitzelung und Bespitzelungsangst geprägten Klima unter den aufstrebenden, staatlich geförderten Autoren, Wodka-Eskapaden, die die Angst bekämpfen sollen, der Eintönigkeit des Himmels, der Kälte, einer bleiernen Zeit und wie nebenbei mit der Nobelpreisvergabe für Boris Pasternaks Doktor Schiwago und dessen von Staats wegen forcierte Ablehnung der Ehrung vom vielleicht größten Literaturskandal der Sowjetzeit erzählt.
Als Zeitdokument sind die Schilderungen Kadares deshalb interessant, weil der geistigen Enge, dem Klima der Bedrohung und Lähmung weltpolitisch eigentlich die von Nikita Chruschtschow auf dem 20. Parteitag der KPdSU durch Reformen der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik eingeläutete Tauwetterphase und Entstalinisierung im Innern gegenüberstanden und spätestens seit November 1958 und den Verhandlungen über den Vier-Mächte-Status von Berlin sowie der Ernennung Andrei Gromykos zum Außenminister 1957 auch international die Zeichen auf Entspannung gestellt waren – die freilich nicht allzu lange anhalten sollte.
Man kann sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, hier etwas allzu Dokumentarisches über eine längst untergegangene, teilweise angestaubte Welt zu lesen. Bei aller Kürze – der Text umfasst knapp 200 Seiten – hat der Roman auch Längen, was vor allem an der wenig plastisch und wenig glaubwürdig geschilderten keimenden Liebesbeziehung des Ich-Erzählers zur jungen Lida liegt. Man möchte nun einwenden, dass unter den herrschenden Bedingungen auch die platte und blasse Liebesgeschichte nur von jener gelähmten Stimmung geprägt sein kann, wie sie auch die gesamte geistige Atmosphäre und die politische Situation kennzeichnet. Doch die von den Umständen her zu erklärende Dominanz von Unausgesprochenem und Unterdrücktem dieser Beziehung vermag der Roman nicht überzeugend zu erzählen: Die Hohlräume der Sprachlosigkeit und die Kommunikationsstörungen sowohl der sich einander annähernden Liebenden als auch der Schriftstellerkollegen bleiben zu wenig reflektiert. Stärker erweist sich der Text immer in denjenigen Passagen, in denen Kadare seinen Protagonisten Kunstreflexionen anstellen lässt, die in ihrer Rückbindung an Natur und Welt eine überzeugende Produktionsästhetik im Horizont von Diktatur, Überwachung und künstlerischer Freiheit liefern.
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