Erwachsenwerden im Krieg
Friedemann Fromms „Die Freibadclique“ zeigt große Schauspielkunst
Von Julia Heimlich
Fünf Jungs, die sich bei bestem Sommerwetter im Freibad herumtreiben, über das erste Mal sinnieren und den Mädchen zu imponieren versuchen. Das könnte eine normale Szenerie sein, würden die Mädchen, denen man schöne Augen macht, nicht Uniformen von der Luftwaffenhilfe tragen, würden am Himmel keine Bomber kreisen. Es könnte so selbstverständlich sein, wäre es nicht Sommer in Deutschland im Jahr 1944.
Über diese Situation, mit der die fünf Jungs zurechtkommen müssen, hat Oliver Storz bereits 2008 einen Roman mit dem Titel Die Freibadclique geschrieben. Friedemann Fromm, eigentlich ein Krimi-Experte und Spezialist für Tatort-Folgen, hat das Buch jetzt, fast zehn Jahre später, unter dem gleichen Titel filmisch inszeniert. Dabei geht es im Kern um zwei große Fragen: Wie soll man im Krieg eigentlich erwachsen werden? Und wie kann das Leben nach dem Krieg, falls man ihn überlebt hat, überhaupt aussehen?
Diese Fragen beschäftigen Onkel, Knuffke, Bubu, Hosenmacher und Zungenkuss. Die Jungs sind 16 Jahre alt und tun im Freibad das, was Jugendliche in ihrem Alter eben tun: Abhängen, Rauchen und über Händchenhalten, Küssen und Sex reden. Mit imposanten Sprüngen vom 10-Meter-Brett versuchen sie, die Luftwaffenhelferin Lore im knallroten Badeanzug zu beeindrucken. Keiner der Freunde glaubt noch an den beschworenen „Endsieg“. Sie wollen einfach, dass der Krieg bald vorbei ist. Der Musterungsbescheid der Waffen-SS macht diese Hoffnungen zunichte: Hosenmacher, Zungenkuss und Knuffke sollen eingezogen werden. Onkel und Bubu sollen zum Volkssturm, dem letzten Aufgebot. Nach einigen Monaten gelingt den beiden die Flucht und sie erleben das ersehnte Kriegsende in ihrer Heimat als Deserteure.
Traumatisiert von ihren Kriegserlebnissen kehren Onkel und Bubu ins Freibad, ihren einstigen Zufluchtsort, zurück. Doch hier hat sich einiges verändert: Statt deutschem Schlager wird jetzt amerikanischer Swing gespielt, und am Beckenrand haben nicht mehr deutsche Soldaten, sondern amerikanische GIs ihre Handtücher ausgelegt. Irgendwann taucht auch Knuffke wieder im Freibad auf. Er hat die Monate bei der Waffen-SS überlebt, schweigt sich aber über seine Zeit dort aus. Onkel findet heraus, dass Knuffke inzwischen auf dem Schwarzmarkt tätig ist und dort ein gefährliches Spiel mit dem Geheimdienstchef und dessen Geliebter Gunda treibt, in das Onkel allmählich mit hineingezogen wird.
Zweifelsohne bietet Oliver Storz’ Romanvorlage viel Stoff, den Friedmann Fromm filmisch inszenieren musste. Das wird zur Schwachstelle des Films, der handlungstechnisch in zwei Teile zerfällt. Bis zum Kriegsende stimmt alles: Die Geschichte ist rasant erzählt, es gibt viele Spannungsmomente, die Zuschauer leiden mit den jungen Männern mit und schenken ihren Schicksalen volle Aufmerksamkeit. Diese erzählerische Stärke lässt ab dem Moment nach, in dem das Freibad von den amerikanischen Soldaten bevölkert wird. Dieser zweite Teil scheint unnötig in die Länge gezogen, was den starken Anfang etwas verblassen lässt. Es wird zunehmend unübersichtlich: Hosenmacher und Zungenkuss sind weg, dafür treten neue Charaktere auf, deren Bedeutung für die Handlung zum Teil nicht klar wird.
Das wird an Gundas Figur besonders deutlich. Mit ihrem Auftreten scheint eine völlig neue Handlung zu beginnen, die mit nichts von dem, was vor oder während des Krieges passiert ist, noch etwas zu tun hat. Ihre Figur kann nicht richtig eingeordnet werden: Als tschechische Zivilistin ist sie Opfer des Krieges. Nach dem Krieg fängt sie Waren ab, die für die hungernde osteuropäische Bevölkerung bestimmt ist, und vertreibt diese auf dem Schwarzmarkt an Deutsche. Sie ist die offizielle Geliebte des Geheimdienstchefs, trifft sich aber heimlich mit Knuffke zum Schäferstündchen.
Durch die Figur der Gunda wird den Zuschauern bewusst, welche Funktion Frauen in der Welt von Knuffke, Onkel und dem Rest der männlichen Spezies erfüllen: Die (heranwachsenden) Männer sehen die Frauen als eine Art Belohnung – für einen Sprung vom Zehn-Meter-Brett, für das Kämpfen in der Waffen-SS oder für ein erfolgreiches Schwarzmarktgeschäft
Die erzählerische Schwäche des zweiten Teils kann zum Glück kompensiert werden. Das liegt an der schauspielerischen Leistung der Darsteller. Fromm hat für seine Freibadclique junge Nachwuchsschauspieler engagiert, die ihren Figuren die nötige Glaubwürdigkeit und Frische geben. Theo Trebs überzeugt als Knuffke, dem draufgängerischen, um kein Wort verlegenen Anführer der Gruppe. Laurenz Lerch spielt den ängstlichen, kindlich wirkenden Hosenmacher mit Bravour. Andreas Warmbrunn verleiht dem kindischen, verträumten Bubu Glaubwürdigkeit. Joscha Eißen stellt die Naivität seiner Rolle Zungenkuss absolut authentisch dar. Sie alle sprechen im Film Schwäbisch oder Berlinerisch.
Der größte Glücksgriff des Films ist Jonathan Berlin. Er verkörpert die Rolle des Onkel großartig. Berlin mimt einen absolut glaubwürdigen Teenager, der seine Angst vor dem Krieg so lange wie möglich mit Gedanken an Lore im roten Badeanzug zu verdrängen versucht. Ein Blick in seine Augen und der ganze Schrecken des Krieges wird deutlich. Er spielt stark, überzeugend und emotional – von der ersten bis zur letzten Minute macht es Spaß, ihn auf der Leinwand zu sehen. Wenn er nachts allein auf dem Sprungturm sitzt, allmählich in sich zusammensackt und zu weinen beginnt, lässt das wohl kaum einen Zuschauer ungerührt.
Die Freibadclique ist ein sehenswerter Film. Friedemann Fromm ist es gelungen, die Romanvorlage von Oliver Storz mit beeindruckenden Bildern und überzeugenden Schauspielern zu inszenieren. Die Erzählung, die etwa ab der Hälfte des Films unübersichtlich wird, ist der Schwachpunkt von Die Freibadclique. Den Darstellern, allen voran Jonathan Berlin, gelingt es aber, diese Schwäche wettzumachen. Wer Berlin weinend auf dem Zehn-Meter-Brett gesehen hat, wird dieses Bild so schnell nicht vergessen. Nicht zuletzt wegen dieser schauspielerischen Qualität lohnt sich der Kinobesuch definitiv.
Die Freibadclique
Nach einem Roman von Oliver Storz
Deutschland / Tschechien 2017
Regie & Drehbuch: Friedemann Fromm
Darsteller: Jonathan Berlin, Theo Trebs, Andreas Warmbrunn, Laurenz Lerch, Joscha Eißen
104 Minuten
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen