Autorschaft vom Mittelalter bis zur Romantik

Die Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) fragt nach dem Autor

Von Julia StetterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Stetter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Literaturwissenschaft und -theorie wird immer wieder nach der Rolle des Autors gefragt. Auch nach seinem vom Poststrukturalismus proklamierten „Tod“ hat er seine Relevanz nicht eingebüßt. Dabei unterliegen Vorstellungen von Autorschaft natürlich einem historischen Wandel, was sie aus literaturgeschichtlicher und gerade auch mediävistischer Perspektive interessant macht. Das erste Heft der diesjährigen LiLi (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik) untersucht daher Autorschaft vom Mittelalter bis in die Romantik. Gekoppelt wird dieser Untersuchungsschwerpunkt mit der Thematik des religiösen Wissens. Ferner geht es darum, wie sich christliches und literarisches Wissen beziehungsweise Religion und poetische Rede miteinander vereinbaren lassen und wo sich in diesem Kontext der literarische Autor positioniert.

Entstanden sind die Beiträge des Hefts im Rahmen eines Workshops des DFG-Graduiertenkollegs 1662 Religiöses Wissen im vormodernen Europa (800-1800). Ziel dieses Tübinger Forschungsprogramms ist es, unter Zuhilfenahme des Schlüsselbegriffs „Religiöses Wissen“ interdisziplinär neu zu erforschen, wie sich die europäische Wissensgesellschaft geschichtlich entwickelt hat. Aufgebaut wird dazu auf einem solchen Verständnis, demzufolge die Bibel immer wieder neu gelesen und interpretiert werden muss, um aus ihr Wissen für die jeweilige Gegenwart zu gewinnen. Warum religiöses Wissen mit Fragen nach der Autorschaft verbunden sein kann, fasst Hartmut Bleumer wie folgt zusammen: „Denn auch dieses ‚religiöse Wissen‘ ist schon von vornherein ein durchaus schwieriges Modell. Und gerade seine Schwierigkeit erinnert wohl kaum zufällig an die Probleme im Umgang mit der Autorkategorie. Es könnte nämlich jene prekäre Spannung zwischen Glauben und Wissen sein, […] die auch in der Diskussion um den Autorbegriff immer wieder zurückkehrt“. Die Idee zu dieser Engführung lieferten Gudrun Bamberger, Jan Stellmann und Moritz Strohschneider, die auch den entsprechenden Workshop organisiert haben. Untersucht werden verschiedene Legitimationsweisen und Entwürfe für literarische Autorschaft, die sich auf das hohe Mittelalter, ferner das Jahrhundert zwischen Buchdruck und Martin Opitzʼ Reformpoetik sowie auf die Phase zwischen früher Neuzeit und Moderne beziehen. Anders gesagt sieht die Makrogliederung des Hefts drei Untersuchungszeiträume vor: Denjenigen um 1200, den um 1500 und den um 1800.

Der Status von Literatur war innerhalb einer monokulturell christlich geprägten Gesellschaft nicht immer zweifelsfrei gesichert. Andererseits ist es nicht spezifisch christlich, Vorbehalte gegenüber Literatur und Fiktion zu hegen, da bekanntlich schon Platon in seinem zehnten Buch der Politeia eine diesbezügliche Kritik äußert, die dann wiederum für Aristoteles zum Anlass wurde, in seiner Poetik eine antwortende Verteidigungsrede auf die Dichtung zu halten. In diesem Zusammenhang fragt Andreas Kablitz, warum dennoch gerade innerhalb des christlichen Raums Theater und Fiktion in eine besonders abgewertete Position gerieten. Denn im ja gleichfalls monotheistischen Islam werden ästhetische Qualitäten des Korans sogar positiv hervorgehoben. Kablitz argumentiert, dass es der spezifisch christlichen Personalisierung von Wahrheit geschuldet ist – Jesus als der Weg, die Wahrheit und das Leben – aufgrund derer Fiktionalität als besonders problematisch eingestuft wird. Nichtsdestotrotz grenzt sich das Heft als Ganzes von der geläufigen These ab, dass sich Autorschaft in der Moderne nur im Rahmen einer strikten Trennung von Religion und Wissen realisieren könne. Daher soll primär nach solchen Konzepten gesucht werden, in denen Vorstellungen zu Autorschaft und Religion ineinander laufen.

Um 1200 waren Poetologien der Inspiration verbreitet. Das bedeutet, dass man allgemein annahm, der Autor habe sein Wissen vom christlichen Gott oder einer paganen Alternative, etwa einer Muse. Oft findet man daher in entsprechenden Prologen Bitten um Inspiration, zum Beispiel in Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen. Im Fall von Konrads Text zielt diese Bitte allerdings nicht auf dessen Inhalt oder sprachliche Ausgestaltung ab, sondern vielmehr auf die Lebensführung des Autors selbst. Er habe bisher nicht nach göttlicher Wahrheit gestrebt, wolle sein Verhalten nun aber ändern, um damit das richtige Gemüt zu entwickeln, um Jesu Kindheit erzählen zu können. Allgemein war es um 1200 typisch, dem Dichter vor allem die Rolle eines Mediums zuzugestehen, wobei als eigentlicher Autor dann Gott beziehungsweise die Muse fungiere, die den menschlichen Autor nur nutzt, um sich auf für Menschen verständliche Weise auszudrücken. Einen verhältnismäßig hohen Stellenwert erfährt Poetizität hingegen in Dantes Göttlicher Komödie. Wie Kablitz darlegt, bedarf in ihr die Bibel des Dichters, um zu einer Erneuerung ihrer Botschaft zu gelangen.

Um 1500 gewinnt der Autor im Vergleich zu 1200 an Verfügungsmacht über seinen Text. Seine Rolle wird gestärkt, was an selbstreflexiven Erzählpassagen Thürings von Ringoltingen eingesehen werden kann. Sowohl in Wolframs von Eschenbach Parzival als auch in Thürings Melusine ergibt sich das Problem, welche Stellung der Erzähler beim Schildern von Wundern Gottes einnimmt. Im Vergleich der beiden Werke erscheint Wolframs Erzählautor allerdings passiver, da er sich zurückzieht und mehr oder weniger auf die Ebene der von ihm erzählten Figuren herabsteigt. Für die Melusine dagegen gilt: „Hier tritt […] der Erzähler selbstbewusst als Thüring von Ringoltingen hervor, der nach eigener Aussage die Geschichte […] nicht nur nach bestem Vermögen ins Deutsche übersetzt habe, sondern auch seinen eigenen Gestaltungswillen dabei deutlich hervorhebt“. Ferner kann er „zwar nicht über Gottes Wunder verfügen, doch kann er sie erforschen“. Relevant in diesem Kontext ist auch die Medialität des Buchs. Für Thüring ist Wissenserwerb über Bücher möglich, was vom Parzival noch dezidiert abgelehnt worden war. Darin zeigt sich ein verändertes Verhältnis gegenüber Schriftlichkeit, wenn man den höfischen Roman des Mittelalters (Parzival) mit frühen Prosaromanen um 1500 (Melusine) vergleicht.

Um 1800 änderte sich der Anspruch des Christentums insofern, als dass es sich tendenziell nicht mehr als die einzig richtige Weltdeutung betrachtete und offener für einen Dialog mit anderen Religionen wurde. Dies hing unter anderem mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammen, die von der Romantik meist als negativ eingestuft wurden. Gleichzeitig wurde eine Verbindung zwischen Wissenschaft und Religion beibehalten. In literarischer Hinsicht begann man auf neue Weise an das Christentum anzuknüpfen, wobei die Literaten nun freier auf es zurückgriffen, was von tradierten Christen jedoch häufig als blasphemisch empfunden wurde. In der Tat zeichnete sich die damalige Rezeption christlicher Inhalte oftmals durch einen esoterisch-mystischen Anklang aus, was gewollt war, da man sich von der christlichen Aufklärung abzugrenzen intendierte, die zwar weiterhin religiös blieb, aber auf eine verstandesmäßig abgesicherte Weise. Dies wurde von den Romantikern als zu kühl eingestuft. Stattdessen rekurrierte beispielsweise Friedrich Schlegel auf die Volksfrömmigkeit, die ihn unter anderem in Form der katholischen Marienverehrung mehr ansprach. So übersetzte er Mariengedichte aus dem Spanischen, wobei in diesem Modell von Autorschaft dem Autor als Übersetzer die Rolle zukommt, dem Volk verlorengegangene Volksfrömmigkeit wieder näher zu bringen. Daneben identifiziert Sebastian Wilde noch weitere romantische Autorschaftsmodelle, zum Beispiel dasjenige des Dichterpriesters, das an die Genieästhetik anknüpft und im Kontext von Kunstreligion steht.

Mit Kunstreligion beschäftigt sich auch Barbara Thums in ihrem Beitrag. Ihr zufolge kann Kunstreligion in demjenigen zeitgenössischen Diskurs verortet werden, der sinnliche Erfahrung aufwertete, indem er ihr einen Anteil an Erkenntnisgewinnung bescheinigt. Zur Debatte stand hier die Legitimation von Literatur angesichts der Konkurrenz durch Religion. Thums vergleicht ferner die Autorschaftskonzepte von Heinrich Wackenroder und Friedrich Schlegel. Was beide verbindet ist, dass sie auf vormodern-religiöses Wissen rekurrieren, um damit eine Erweiterung des Horizonts von möglichen Poetiken zu erreichen. Dennoch ist ein deutlicher Unterschied zu erkennen. Bei Wackenroder wird das Konzept der asketischen, bei Schlegel das der kollektiven Autorschaft vertreten. Asketische Autorschaft meint, dass Wackenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders im Kloster stattfinden, welches deshalb als idealer Ort präsentiert wird, weil darin Abgeschiedenheit möglich ist. Gleichfalls legt ein in den Herzensergießungen auftretender fiktiver Autor ein Konzept von Autorschaft nahe, in der der Autor als Einzelkämpfer gegen die Gesellschaft auftritt, für sein Ringen auf Einsamkeit angewiesen ist und diese als Opfer für die Kunst auf sich zu nehmen hat. Anders verhält es sich bei Schlegel. Er plädiert für ein Autorschaftsmodell, in dem der Autor mit anderen Denkern in stetigem Kontakt stehen soll, um dadurch geistigen Austausch zu erlangen. Derart wird für ihn das Umbilden von bestehenden Positionen wichtig, was Thums als kollektive Autorschaft beschreibt und in einer „Kultur der Geselligkeit und des Dialogs“ verortet. Zugrunde liegt die Vorstellung einer „Vernetzung unterschiedlicher Formen des Wissens“, die aber dennoch auch einen genieästhetischen Anteil aufweist, insofern bei Schlegel zunächst auf individuelle Poetiken zurückgegriffen wird, die erst durch ihre Rezeption umgebildet werden können.

Das Heft bietet sehr gute Einblicke in den DFG-Workshop und macht damit einer breiten Öffentlichkeit Ergebnisse führender germanistischer Forschung zugänglich. Indem Autorschaft historisch und über eine längere Zeitspanne verfolgt wird, wirft das Heft Schlaglichter auf zentrale Aspekte europäischer Geistesgeschichte, die ihrerseits mit sich wandelnden Vorstellungen von Autorschaft in Abgleich gebracht werden. Geleistet wird dadurch ein Beitrag zu einer unabschließbaren Diskussion, die aber im Heft auf neue Weise mit Hintergründen unterfüttert wird.

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Hartmut Bleumer / Gudrun Bamberger (Hg.): LiLi Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. Jahrgang 48, Heft 1, März 2018. Elevationen der Autorschaft.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2018.
192 Seiten, 22,90 EUR.
ISSN: 00498653

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