Wut und Ohnmacht

Mascha Unterlehbergs Debütroman „Wenn wir lächeln“ ist voller emotionaler Hochs und Phasen von kaum zu bändigender Wut

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich schreibe selbst oft Texte aus einer Wut heraus, die durch ein Gefühl von Ohnmacht entsteht. Es hat etwas Befreiendes, sie beim Schreiben rauszulassen“, hatte die in Mülheim an der Ruhr geborene Mascha Unterlehberg nach Veröffentlichung ihres ersten Romans erklärt. Der literarische Erstling der Absolventin des Leipziger Literaturinstituts kreist um eine innige, aber dennoch fragile Freundschaft von zwei Teenager-Mädchen.

Jara und Anto wachsen im Ruhrgebiet auf. Anto stammt aus einer wohlhabenderen Familie und wächst bei ihrer alleinerziehenden und häufig abwesenden Mutter auf. Sie sind Komplizinnen in allen Lebenslagen, bezeichnen ihre Freundschaft als Schwesternschaft und teilen beinahe alles miteinander – Kleidung, Musik und Kosmetik. Anto ist die dominante Person, Ich-Erzählerin Jara sucht bei ihr Halt und ordnet sich völlig unter. Sie gehen durch dick und dünn, rebellieren gegen ihr Umfeld, begehen Diebstähle und leben ihren Frust durch handfesten Vandalismus aus. All das erfahren wir im Rückblick, denn am Romanbeginn berichtet uns Jara vom plötzlichen Verschwinden ihrer Freundin. Sie steht auf einer nicht mehr befahrenen Eisenbahnbrücke über der Ruhr und starrt hilflos und konsterniert ins Wasser. Anto ist einem Baseballschläger hinterher gesprungen, der ungewollt in den Fluss gefallen war. Sie verschwand im Wasser. Die Freundin hielt es zunächst für einen Scherz, glaubte, dass Anto wieder auftauchen würde.

Mascha Unterlehberg setzt das Bild der Freundschaft assoziativ aus vielen Erinnerungsfragmenten zusammen. Beim Fußballspielen hat die schüchterne Jara die rebellische Anto kennen gelernt, beide waren fünfzehn, zogen gemeinsam um die Häuser und erlebten gemeinsam ihren ersten Wodka-Rausch. Beide leiden unter einem Umfeld, das durch knallharte Männlichkeit geprägt ist. Belästigungen, „schiefe“ Blicke und fragwürdige Gesten gehören zum Alltag. Sie suchen sich verlassene Orte, an denen sie alles ausblenden können. „Das Ruhrgebiet hat so viele verschiedene Seiten, das mag ich daran. Einerseits liegen viele große Städte dicht beieinander. Andererseits gibt es Orte, die sich sehr verlassen anfühlen“, hat die Autorin über ihre Heimat, die zugleich Handlungsschauplatz ist, befunden. Trendige Musik aus den frühen Nullerjahren ist ebenso in den Roman eingeflossen wie die Teenager-Mode dieser Zeit und leidige Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt.

In Mascha Unterlehbergs Roman spielt die Selbstbehauptung eine zentrale Rolle, der beinahe tägliche Kampf gegen die Normen der Erwachsenenwelt. Die Stimmungslage pendelt zwischen Wut und Euphorie und wechselt häufig ziemlich abrupt, der Hormonhaushalt scheint durch die Probleme des Frau-Werdens völlig aus dem Gleichgewicht zu geraten und die Gewaltausbrüche zu forcieren.

Wenn wir lächeln ist ein äußerst tief gehendes Buch, das weder anklagt noch verklärt, ein Roman über die jugendliche Ich-Suche in einer als feindlich empfundenen Gesellschaft – voller emotionaler Hochs, aber auch mit Phasen von kaum zu bändigender Wut. Ein kluger, mit schonungsloser Offenheit geschriebener Roman über eine abrupt zu Ende gegangene Freundschaft und die Schmerzen des Erwachsenwerdens. Ohne formale Akrobatik, nüchtern und ohne jede Larmoyanz.

Titelbild

Mascha Unterlehberg: Wenn wir lächeln. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2025.
256 Seiten , 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783755800361

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