Kann Sprache töten?

Pablo de Santis' "Die Übersetzung" als Kriminalhörspiel

Von Nadine BoulannouarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Boulannouar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter den Besuchern eines Kongresses treten mysteriöse Todesfälle auf. Die Verstorbenen, die augenscheinlich Selbstmord begangen haben und unter deren Zunge man eine Münze gefunden hat, haben sich offenbar kurz vor ihrem Tod mit einer bestimmten Geheimsprache befasst - der vollkommenen Sprache, der Ursprache vor dem Turmbau zu Babel, "bevor Adam den Dingen Namen gegeben hat". Protagonist Miguel de Blast, Übersetzer und Tagungsteilnehmer, wird während seines Aufenthaltes zudem mit unangenehmen Erlebnissen aus der Vergangenheit konfrontiert: Zwischen Naum, dem Initiator der Veranstaltung, Star im sprachwissenschaftlichen Literaturbetrieb, und de Blast besteht eine tiefgreifende Rivalität. Beide Männer werben um die Gunst der erfolgreichen Linguistin Ana, die ebenfalls das düstere, nur zur Hälfte vermietete Hotel bewohnt, und so steigert sich die beklemmende, durch die Trauerfälle überschattete atmosphärische Spannung.

Pablo de Santis wurde 1963 in Buenos Aires geboren und war bereits als Jugendlicher begeisterter Anhänger des Science-Fiction- und Horrorgenres. Da de Santis' Karriere in der Wirtschaftskrise begann, war er gezwungen, sich seinen Lebensunterhalt mit diversen Nebenjobs zu verdienen. Es gelang ihm dabei jedoch immer, im publizistischen Bereich tätig zu werden: So spezialisierte er sich zum Beispiel zeitweise darauf, für Boulevardmagazine Interviews zu führen und arbeitete bei der parapsychologischen Presse. Außerdem textete er Comics und Drehbücher für Fernsehsendungen oder verfasste Kinder- und Jugendbücher, mit welchen er schließlich innerhalb Argentiniens bekannt wurde. Mit den beiden Romanen "Die Fakultät" und "Die Übersetzung", für die er in die Endauswahl für den Premio Planeta Argentinia kam, schaffte der Autor den internationalen Durchbruch.

Der Hörspielfassung des Romans "Die Übersetzung" merkt man de Santis' Beschäftigung mit parapsychologischen Phänomenen deutlich an: Den Mittelpunkt des Geschehens bildet ein Kongress über Geheimsprachen im abgelegenen Puerto Esfinge - dem "Hafen der Sphinx" - an der argentinischen Atlantikküste. Die Sitzung, in der es um Kryptologie, um ausgestorbene Sprachen und um künstliche Kommunikationsformen gehen soll, führt zahlreiche Sprachwissenschaftler der ganzen Welt an einem einsamen, verwunschen wirkenden Ort zusammen, an dessen Strand nachts tote Robben an Land gespült werden.

Diese unangenehme, irreal erscheinende Stimmung wird in der im Audio Verlag erschienenen Hörspielfassung des Romans überzeugend inszeniert. Insbesondere die Stimmen von Corinna Harfouch als Ana bzw. Silvester Groth in der Rolle des wortkargen, menschenscheuen Übersetzers de Blast verleihen den Figuren Glaubhaftigkeit. Das gewohnt ansehnliche und informative Booklet liefert Kurzbiografien des Regisseurs sowie der Sprecher und beinhaltet ein Interview mit dem Autor, in welchem er auf seine Vorbilder Jorge Luis Borges und Bioy Casares hinweist. "Dadurch, dass bei beiden Elemente der Kriminalliteratur eine so wichtige Rolle spielen, ist das Verhältnis argentinischer Autoren zum Kriminalroman ein anderes", so de Santis.

Obwohl das Hörspiel mit einem nicht zu ergründenden Rätsel endet und bedauerlicherweise auf die Lösung allzu auffälliger Unklarheiten verzichtet, ist es spannend und mitreißend. Der Schlussteil erscheint im Vergleich zu der anfänglich geduldigen, ausführlichen Entwicklung der Charaktere zwar ein wenig abrupt, insgesamt wird der Hörer jedoch geschickt in die sprachphilosophisch zu ergründende Intrige involviert. Die Sprache fungiert gleichzeitig als Stoff und Motor des Geschehens und konstruiert eine außergewöhnliche Meta-Ebene innerhalb der Geschichte.

Titelbild

Pablo De Santis: Die Übersetzung. Kriminalhörspiel.
Bearbeitet von Martin Zylka.
Übersetzt aus dem Spanischen von Gisbert von Haefs.
Der Audio Verlag, Potsdam 2003.
50 min, 14,95 EUR.
ISBN-10: 3898132374

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