Philosophie der Zukunft

Rolf Elberfeld stellt in einer preisgekrönten Studie Zeitlichkeit als exemplarisches Thema interkulturellen Philosophierens heraus

Von Stephan GünzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Günzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In mehrfacher Hinsicht liegt mit Rolf Elberfelds Habilitationschrift eine 'einschneidende' Studie vor: Vordringlich markiert sie das Ende des 'Philosophierens' über Interkulturalität, des Missbrauchs von Kulturen als Gegenstand einer in jeder Hinsicht metatheoretischen Reflexion. Welche kulturphilosophischen Diskurse der 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts waren nicht vom Schlagwort der 'Interkulturalität' oder gar 'Transkulturalität' durchflutet? Nur was sie fast durchweg leisteten, war nichts anderes als das Theorem des Relativismus anhand eines neuen Sujets durchzuspielen, ohne sich auf dieses einzulassen. Welcher Philosoph, der den neuen Relativismus als Fahne vor sich hertrug, hatte schon Ahnung von den Grundlagen eines 'anderen', nicht-europäischen Denkens? Dieses Wissen lag vielmehr bei Philologen und Theologen, die jedoch wiederum wenig Interesse an kulturvergleichenden Studien hatten, oder es wurde (in doppelter Hinsicht) 'esoterisch' betrieben.

Elberfeld nun, der seine Prägung bei Günter Wohlfart erfuhr, haftet keiner dieser Makel an. Er ist der japanischen und chinesischen Sprachen mächtig. So legte er bereits 1999 eine hervorragende Übersetzung ausgewählter Arbeiten Kitaro Nishidas (dem Gründer der später so genannten 'Kyoto-Schule') zur "Logik des Ortes" vor, in der sich ein Berührungspunkt asiatischen und europäischen Philosophierens exemplarisch zeigt: Zeitgleich mit der Hinwendung der europäischen Phänomenologie zur existenziellen Empirizität der Anschauungsformen integrierte jene japanische Philosophie Figuren moderner ('europäischer') Reflexion in ihr Denken; beide erkannten argumentative wie thematische Strukturaffinitäten wieder, in denen nicht nur interkulturelle Verbindungen offenkundig werden, sondern auch die Rückkehr alter Denkfiguren, welche von neuzeitlichem Rationalismus wie Empirismus bislang verdeckt wurden. Ein gewisser Konservatismus oder mithin auch Revanchismus haftet daher diesem Denken auch nicht von ungefähr an.

Neben - wie in diesem Fall - der einen Anschauungsform des Raumes, der existenziell gewendet zum 'Ort' wird (diese Bewegung wird nahezu identisch in Japan von Nishida und in Deutschland von Heidegger vollzogen), ist es im vorliegenden Fall die 'Zeit', der sich Elberfeld zuwendet. Auch er steht dabei in phänomenologischer Tradition, ohne auf eine bloße Bestätigung phänomenologischer Grundaussagen im asiatischen Denken aus zu sein. Auch dies wäre eine Form des Missbrauchs. Vielmehr umgekehrt sucht Elberfeld - ein Wort des späten Foucaults folgend, wonach die "Philosophie der Zukunft" (Nietzsche) in der Konfrontation von Ost und West liegt - zum einen nach den Unterschieden zwischen beiden Traditionen, zum anderen will er die Philosophie des Ostens aus sich heraus verstehen.

Dazu eben ist eine immanente Lektüre der betreffenden Texte nötig: Im Zentrum steht das Zeitdenken des japanischen Zen-Meisters Dogen Kigen aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, dessen einschlägigen Text zum Wesen der Zeit (uji) von 1240 Elberfeld im Hauptteil dieser ersten Arbeit in der neuen Reihe "Philosophie interkulturell" im Frommann-Holzboog Verlag übersetzt und minutiös kommentiert. Überraschend ist nun nicht, dass sich dieses Wesen - wie im Anfang der europäischen Zeitphilosophie bei Augustinus - als (erkenntnistheoretisch) paradoxe Konfiguration herausstellt bzw. Zeitlichkeit allem zugesprochen werden kann, sondern dass die buddhistische Zeitauffassung von Dogen in Form 'rationaler' Darstellung vorgebracht wird. Sie läuft zu auf eben das, was auch die europäische Zeitphilosophie (vor allem die Phänomenologie) im 20. Jahrhundert vor dem Hintergrund eines gewandelten physikalischen Weltbildes als 'Ereigniszeit' herauszustellen suchte. Der Vergleich mit dem Zeitdenken von der Antike bis Bergson, Heidegger und Merleau-Ponty bildet denn auch den Schluss des Buches.

Was die Arbeit freilich dabei nicht reflektieren kann, ist, ob und inwieweit sie selbst der Projektion phänomenologischer Konzepte von Zeit als Verlaufszeit, Eigenzeit oder Dauer unterliegt. Aber eine solche, mithin europäische Dialektik würde den Anfang der angebahnten neuen Form interkulturellen Philosophierens auch zu früh stören.

Für seine Leistung wurde Elberfeld 2001 mit dem Straniak Philosophie-Preis ausgezeichnet, welcher der Förderung der Ziele und Gedanken der Europäischen Menschenrechtskonvention gilt.

Titelbild

Rolf Elberfeld: Phänomenologie der Zeit im Buddhismus. Methoden des interkulturellen Philosophierens.
Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 2004.
417 Seiten, 54,00 EUR.
ISBN-10: 3772822274

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