Antikriegsliteratur eines bosnischen Serben

Stevan Tontics Texte aus dem Exil

Von Gerhard MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Autor, der 1993 seine Heimatstadt Sarajevo verließ und nach Deutschland kam, legt in diesem Buch eine Auswahl seiner Texte der letzten zwölf Jahre vor. "Sie gehören völlig verschiedenen Gattungen an: Erzählungen, Essays, Protestbriefe, Reden und Gespräche. Was diese Texte dennoch zu einer Art Antikriegsfibel vereint, sind die tragischen historischen Ereignisse, die in mein Schicksal und in das meines Landes jäh eingegriffen und mein Schreiben entscheidend verändert haben. [...] Beinahe alles, was ich seit 1992 bis heute geschrieben habe, steht in einem Zusammenhang mit der Apokalypse des Krieges in Sarajevo, Bosnien und Ex-Jugoslawien."

So Tontic im "Vorwort", in dem auch etwas über seinen Lebenslauf zu erfahren ist. Der Heinrich-Böll-Stiftung verdankte er einen längeren Aufenthalt in Bölls Haus in Langenbroich, später in Kaditzsch bei Leipzig. Seit 2001 pendelt Tontic, serbischer Autor und Übersetzer, zwischen Sarajevo und Berlin. Er wurde 1946 in Sanski Most, Bosnien geboren. Aufmerksamkeit fand 1994 sein im Verlag Landpresse erschienener Lyrikband "Handschrift aus Sarajevo".

Die vorliegende Textsammlung kreist mit verschiedenen Ansätzen und unter unterschiedlichen Aspekten um das schon genannte Zentrum: Schreiben aus dem Krieg in Bosnien heraus, Schreiben gegen den Krieg, und dies als einschneidendste existenzielle Erfahrung. "Alles, was ich hier geschrieben habe, bezieht sich auf meine Exilerfahrungen und Kriegserlebnisse in Sarajevo. Der Krieg steht derart im Zentrum meines Schreibens, daß alles schon wesentlich bestimmt ist, die Richtung und Tonalität. Ich mußte das aus meinem Gedächtnis zur Sprache bringen." Und: "Mir - übrigens einem Deserteur und auch 'Verräter' - erschien immer schon einzig die aktive Solidarität mit allen Opfern von Gewalt und Krieg als unproblematisch."

Tontic hatte sich 1992/1993 gegen Vorwürfe, Verleumdungen und Anfeindungen aller Kriegsparteien zur Wehr zu setzen. War er der einen Seite kein echter Bosnier, so der anderen kein echter Serbe. Gegen die Bombardierung und Zerstörung seiner Vaterstadt richtete er im Mai 1992 einen - folgenlos bleibenden - Appell an Belgrad.

Zitiert sei aus einem seiner Gedichte, um Gestus und Tonfall seiner Lyrik zu zeigen:

Blau angelaufen Serben im Bach.
Grün Kroaten am verbrannten Hang.
Schwarz geronnen muslimisches Blut im Klassenzimmer der Grundschule.
Sonnen- und Mondfinsternis am violetten Mittag.
Die Natur mit der Blüte des Frühlings übertüncht
in einem blenden Ansturm der Pracht.
Ich kreideweiß vor Scham und Ohnmacht.

In einem Interview führte er 1995 aus: "Manchmal hat der Mensch eine Chance. Die Kunst ist solch eine Chance. [...] Die Poesie erlaubt es dir, auch am Grab zu singen. Also singen, gegen den Tod, das zu können, ist vielleicht ihre Gabe." Und in der "Hölle von Sarajevo", in der Tontic Angst hatte zu verhungern, zum Krüppel geschossen, umgebracht zu werden, zwang er sich, die Schriftstellerexistenz zu bewahren, und "die Poesie" wurde ihm zur "heilbringenden Macht in all der Ohnmacht". Und noch etwas anderes ist ihm das Schreiben: "Das Wichtigste war, die Gabe der Menschlichkeit und der Sprache nicht zu verraten. Nicht verfälschen. Nicht lügen. Sprechen und unparteiisch Zeugnis ablegen, soweit der Mensch dies überhaupt vermag", wie es im "Aufstand der dichterischen Sprache" von 2003 heißt.

In etlichen Stufungen und Varianten dokumentieren die hier versammelten Texte diese Grunderfahrungen. Man sollte dies nicht abwertend beurteilen und geringschätzig von Redundanzen oder Wiederholungen sprechen. Zu stark ist die emotionale Kraft, die aus diesen Texten spricht, und zu ernst die Wirklichkeit, der sie gelten.

Titelbild

Stevan Tontic: Im Auftrag des Wortes. Texte aus dem Exil.
Übersetzt aus dem Serbischen von Barbara Antkowiak u. a.
Verlag Landpresse, Weilerswist 2004.
160 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3935221398

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