Die Metaerzählung unserer postmodernen Moderne

Zu einer "Revision der Postmoderne" des Deutschen Architektur Museums Frankfurt

Von Jörg SeifertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Seifert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als im Jahre 1984 das Deutsche Architektur Museum am Schaumainkai in Frankfurt eröffnet wurde, löste es mit der Ausstellung "Die Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960-1980", mit der es sich ein eigenes Label zu verschaffen schien, eine breite und kontroverse Debatte aus. "In memoriam Heinrich Klotz", dem Gründungsdirektor des Museums, wurde nun zwanzig Jahre später von der derzeitigen Leiterin Ingeborg Flagge und der Kuratorin Romana Schneider die Jubiläumsausstellung "Revision der Postmoderne" initiiert, die im vergangenen Herbst und Winter in den Räumen der von Oswald Mathias Ungers zum "DAM" umgebauten Villa an der Frankfurter Museumsmeile zu sehen war. "Revision" verstehen Flagge und Schneider dabei - wie schon dereinst Klotz - im Sinne eines "erneut[en] Hinsehen[s], eines "Zurückschauen[s]", "Prüfen[s]" und "wieder Durchsehen[s]".

Die Intention der Ausstellung war also die erneute Diskussion, das Aufwerfen von Fragen, wie z. B. die nach den Einflüssen der "Altmeister der Postmoderne" auf eine neue Architektengeneration, und nicht etwa eine "Neudefinition des umstrittenen und uneinheitlich verwendeten Begriffs ,Postmoderne'". Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistet die nahezu 300-seitige Publikation, die als Katalog die erwartungsgemäß bereits ausgiebig in den verschiedenen Feuilletons thematisierte Ausstellung dokumentiert. Eine strikte Trennung zwischen Ausstellung und Katalogpublikation scheint daher bei einer Besprechung kaum möglich. Der Sinn einer solchen Betrachtungsweise wäre überdies auch fraglich, gibt doch der 160-seitige Projektteil in Struktur und Umfang ziemlich exakt den Gegenstand der Ausstellung wieder, sofern man einmal von einer Videopräsentation zur Geschichte des "DAM" und einer separaten Präsentation des Architekten O.M. Ungers absieht, der aber auch im Buch zu Wort kommt.

Gegliedert in insgesamt 13 thematische Schwerpunkte, wie z. B. "Kultur als Erlebnis", "Reorganisation der Stadt", "Leben ohne Nostalgie", "Neuverwendung der Säule" oder "Anknüpfen an Geschichte" wurden unter Einbeziehung der ersten Ausstellung von 1984 etwa sechzig Projekte namhafter Architekten zusammengestellt. Dabei sind jeweils ein bis drei Projekte aus den Jahren 1960-1980 bis zu maximal fünf Entwürfen, die vorwiegend aus den letzten zehn Jahren stammen, gegenüber gestellt. In der Rubrik "Kultur als Erlebnis" sind dies beispielsweise Hans Holleins Museum Abteiberg in Mönchengladbach von 1972-1982 im Kontrast zu Zaha Hadids 2003 fertig gestelltem Rosenthal Center for Contemporary Art in Cincinatty, Jean Nouvels Kultur- und Kongresszentrum Luzern von 1995-2000 und Toyo Itos gleichzeitig entstandene Sendai Mediathek. In diesem Fall wäre vielleicht James Stirlings Staatsgalerie in Stuttgart als Klassiker des postmodernen Museumsbaus repräsentativer als Holleins Abteibergmuseum gewesen, doch ist die Auswahl der Beispiele zum Teil auch dem Fokus von Heinrich Klotz geschuldet, der - wie Wolfgang Welsch in seinem Beitrag vermerkt - für die Postmoderne die Formel Funktion plus Fiktion vorgeschlagen hatte.

Nur in einem einzigen Fall findet die Gegenüberstellung älterer und aktuellerer Projekte anhand von Beispielen des gleichen Architekten statt, und zwar unter der Überschrift "Populismus oder Baukunst": Mit Leon Kriers, 1980 für die IBA Berlin ausgearbeitetem, städtebaulichen Entwurf zum Tegeler Hafen sowie seinem ersten, 1987 fertig gestellten und 1999-2003 umgebauten Haus in Seaside, Florida (wo auch die Dreharbeiten zur "Truman-Show" stattfanden), wird hier eine der Entwicklungen der Postmoderne - zum umstrittenen "New Urbanism" - thematisiert. Insgesamt wurde das Konzept dieser Kontrastierungen recht zwiespältig bewertet. Während Hanno Rauterberg von der "ZEIT" in der Ausstellung, der er Haltungslosigkeit vorwarf, "kaum mehr als ein beliebiges Gestern-heute-Potpourri [sah] - im schlechtesten Sinne postmodern", sprach Christian Thomas in der Frankfurter Rundschau von einer "gelassenen Visite" statt einer "kompromisslose[n] Bilanz", die "sehr klug beraten" und "der Mehrdeutigkeit der Objekte angemessen" gewesen sei.

Was die Auseinandersetzung mit einer Publikation bekanntlich vom Besuch einer Ausstellung unterscheidet, ist die Möglichkeit einer intensiveren, differenzierteren "Revision", wozu der etwa 110 Seiten umfassende Textteil hinreichend Gelegenheit bietet. Wenngleich auch hier keine abschließende und erschöpfende Erklärung des Phänomens Postmoderne geliefert wird - was ja auch keineswegs die Intention war -, so werden doch nicht zuletzt durch die Heterogenität der Positionen, die zur aktiven intertextuellen Lektüre einlädt, grundsätzliche Fragen zur Disposition gestellt. Den Auftakt bildet Charles Jencks mit seinem Essay "Die Metaerzählung der Postmoderne", gefolgt von einem kurzen Aufsatz von Wolfgang Welsch, der sich der Frage "Was war die Postmoderne - und was könnte aus ihr werden?" zuwendet. Ferner folgen insgesamt acht weitere Beiträge, verfasst von Architekten, Historikern, Architekturkritikern, Kunstwissenschaftlern und Soziologen.

Jencks stellt einen historischen Abriss der postmodernen Architektur mit sechs Abschnitten vor, den er - der Titel deutet es bereits an - mit seinen Erinnerungen an eine fragmentarische Auseinandersetzung mit Jean-François Lyotards Position im Rahmen einer kurzen Telefonkonferenz einleitet. Dabei nimmt er eine interessante Perspektive ein, indem er die architektonische Postmoderne als gleichberechtigtes Konzept neben die philosophische stellt, obwohl man spontan vielleicht eher dazu geneigt ist, aufgrund des universelleren Anspruchs der Philosophie, dieser eine übergeordnete Position einzuräumen, um postmoderne Architektur von dort aus zu beurteilen. Jencks kann aber zeigen, dass ein derart gerichteter Fokus nur für eine relativ späte Phase der Postmoderne sinnvoll erscheint, so z. B. bei Architekten die - wie u. a. Greg Lynn - ihre Inspiration aus den Deleuze'schen Faltungen holen. In der Kontrastierung mit Lyotard, den er mit seiner eigenen Metaerzählung von Komplexität und Kosmologie "auf einen essenziellen Gedanken bringen wollte", weist Jencks darauf hin, dass der architekturtheoretische Diskurs um die Postmoderne ein paar Jahre älter als der philosophische ist.

Was er dabei allerdings verschweigt, holt Wolfgang Welsch prompt nach, indem er in seiner "Kurze[n] Geschichte des Terminus ,Postmoderne'" darlegt, dass der Architekturdiskurs wiederum von der amerikanischen Literaturtheorie beeinflusst war und dass Leslie Fiedler bereits 1969 - also vor Jencks' Charakteristikum einer "Doppelten Kodierung" - den postmodernen Schriftsteller als "Doppelagenten" beschrieben hatte, "gleichsam zu Hause in der Welt der Technologie und im Reich des Wunders". "1975 [- so Welsch -] übertrug Charles Jencks den Begriff auf die Architektur. Jencks war mit der nordamerikanischen Literaturdebatte vertraut, und sein architektonischer Postmoderne-Begriff stimmt mit dem literarischen Fiedlers überein." Vor diesem Hintergrund lässt sich der Essay von Jencks, einem der Mitbegründer der architektonischen Postmoderne, der sich hier durch sein Insistieren auf einer kosmologischen Metaerzählung schließlich als Metaphysiker entpuppt, stellenweise als Selbstinszenierung reinterpretieren.

Dennoch leistet Jencks in vielen Punkten einen substantiellen Diskussionsbeitrag, wie etwa in der Auseinandersetzung um "die Idee des dekorierten Schuppens" von Robert Venturi, den Welsch möglicherweise aufgrund seines Plädoyers für "Komplexität und Widerspruch" als wichtigsten Begründer der Postmoderne betrachtet, obwohl Jencks anmerkt, dass Venturi, gemeinsam mit seiner Frau Denise Scott Brown, bereits relativ früh geleugnet habe, "irgendetwas mit Postmoderne zu tun zu haben."

Einspruch erheben dürfte Jencks auch bei der Behauptung von Welsch (in dessen Artikel man übrigens gerade im Zusammenhang mit dem Architekturdiskurs den Begriff des "Ästhetischen Denkens" vermisst), das philosophische Postmoderne-Verständnis führe "auch zu einer einschneidenden Kritik an den im Architekturdiskurs gängigen Kennzeichen der Postmoderne: Beliebigkeit, Relativismus, Eklektizismus, Nostalgie, Indifferenz, Bonbonstil." Dabei waren es ausgerechtet die beiden erstgenannten Begriffe, die immer wieder seitens der Kritiker der philosophischen Postmoderne als Hauptargumente ins Feld geführt wurden. Insofern scheint es, als ob Welsch, der sich mit dem Verweis auf Lyotard stets für eine "achtenswerte Postmoderne" verkämpft hat, als wolle er diese Makel ausschließlich der Architektur-Postmoderne "in die Schuhe schieben". Bei der Unterscheidung zwischen einer "guten" und einer "schlechten" Postmoderne dürfte aber immerhin darin Einigkeit zwischen Jencks und Welsch und Lyotard herrschen, dass das "Verrühren" von Differenzen "bis zur Unkenntlichkeit" - Jencks spricht in Bezug auf Philip Johnsons AT&T-Gebäude vorsichtiger von "Synthese" - eindeutig letzterem Strang zuzuordnen wäre.

Es ist also insgesamt nicht nur aufschlussreich, sondern äußerst anregend, die beiden Beiträge gegenzulesen, wobei aber auch die folgenden Artikel von Paul Nolte, Antony Vidler, Hubertus Adam, Vicky Richardson und Heinrich Wefing in die Auseinandersetzung mit dem Thema einbezogen werden sollten, da sie für zahlreiche Erweiterungen des von Jencks und Welsch aufgespannten Diskurses sorgen. So ist man - um nur ein Beispiel zu nennen - zunächst über die Pointe von Hubertus Adam - Redakteur der "archithese" und Architekturkritiker u. a. für die "Neue Zürcher Zeitung" - überrascht, auf die bereits der Titel seines Beitrags "Zwischen Banalität und Extravaganz" geradewegs zugeschnitten scheint: Ausgerechnet MVRDV - nicht etwa Rob Krier - führten die Ansätze der Postmoderne nach seiner Ansicht in die Gegenwart fort. In der als "PigCity" bekannt gewordenen vierziggeschossigen Stapelung von Schweinefarmen etwa erkennt er die typisch postmoderne Synthese zweier bislang antithetischer Haltungen: der ökologischen Landwirtschaft und der industriellen Tierproduktion. Den Niederländischen Pavillon der Expo 2000 mit seinen übereinander geschichteten Landschaften versteht er als ironisches "Verkehrte-Welt-Spiel".

Dagegen könnte man freilich das Argument anbringen, dass MVRDV entschieden ihren Glauben "an die machbare und manipulierbare, westeuropäische demokratische Gesellschaft" - also eine der Metaerzählungen der Moderne - bekannt haben. Liest man Adams Text allerdings wiederum mit Jencks gegen, so stellt man fest, dass auch er eine ganz ähnliche, aber generellere Prolongation der Postmoderne in die Gegenwart vornimmt, indem er alle Architekten, die ein "Paradigma der Komplexität entwickelten, [...] skulpturale, ikonische Bauten mit Bedeutung [...] - also enigmatische Signifikanten - schufen, [sowie ferner] den Computer nutzten", als potenzielle oder tatsächliche Erben der Postmoderne ansieht. "Natürlich würden sie das Etikett ,Postmoderne' wie einen Virus meiden; doch das besagt nicht, dass sie sich von ihrer Praxis gelöst hätten." Und Welsch wundert sich darüber, dass man schon nach zwanzig Jahren Venturis Kategorien "zu Herzformeln der schon guten alten Moderne" erklärt. So schnell habe sich "die postmoderne Sichtweise in der Sache durchgesetzt." Allzu überraschend scheint dies vor dem Hintergrund seines Resümees dann doch wieder nicht, welches lautet: "Die Postmoderne war eine Erscheinungsform der Moderne. [...] Von einer Verabschiedung der Moderne als solcher konnte keine Rede sein. Die Postmoderne blieb eine Spielart der Moderne."

Die drei letzten Artikel des Textteils tragen weniger zur Anregung der Theoriedebatte bei. Die Beiträge von Manuel Cuadra und Volker Fischer, die der Geschichte des "DAM" im Kontext der Stadt Frankfurt und der Gründungsfigur des Museums, Heinrich Klotz, gewidmet sind, rufen noch einmal den Anlass der Publikation ins Gedächtnis und wirken als Bindeglied zwischen dem theoretischen und dem Ausstellungsteil der Publikation, wohingegen das den ersteren abschließende Statement von O. M. Ungers leider sehr allgemein gehalten ist und sich dem Diskurs um die Postmoderne somit geradezu verweigert. Insgesamt bietet der Katalog hinreichend Anreize, die Artikel als Folie für die umfangreiche Zusammenstellung von Projekten heranzuziehen - oder auch umgekehrt, je nach Intention und Schwerpunkt des Lesers. Insofern ist das Urteil des "Baumeister" über die Ausstellung, ihr Titel habe "mehr erwarten" lassen "als geboten" worden sei, keineswegs auf die Publikation des Katalogs zutreffend.

Titelbild

Ingeborg Flagge / Romana Schneider (Hg.): Die Revision der Postmoderne. Post-Modernism Revisited.
Junius Verlag, Berlin 2004.
296 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3885065460

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