Internationale Buchkultur

Eine Festschrift für Reinhard Wittmann

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jeder, der sich schon einmal mit der Geschichte des Buchs oder mit der Buchhandelsgeschichte beschäftigt hat, begegnet früher oder später dem Namen Reinhard Wittmann. Mehr als nur einen Einblick in die Vielfalt der Arbeitsgebiete dieses Literatur- und Buchwissenschaftlers gibt die hier vorliegende Festschrift zu seinem 60. Geburtstag im Jahr 2005. Schon das kurze "Geleitwort" verweist auf die Wirkungsgebiete Wittmanns: an der Münchner Universität zum Schülerkreis von Herbert G. Göpfert gehörend, als Autor der "Geschichte des deutschen Buchhandels", als Mitherausgeber des "Archivs für Geschichte des Buchwesens" usw. - und als grundsätzlich kennzeichnend für alle diese Tätigkeitsbereiche: sein permanenter Rekurs auf die Quellen.

In diesem Sinne haben sich auch die Herausgeber vor allem auf quellengestützte Beiträge verlassen, die in ihrer Materialfülle die aufgenommenen Perspektiven Wittmanns um eine internationale Dimension erweitern. 26 Beiträge liefern in sechs größeren Abschnitten ein umfangreiches Bild dessen, was man unter dem Begriff "Buchkulturen" verstehen könnte. Den Anfang macht der Abschnitt "Theorie und Methodik der Buchwissenschaft", gefolgt von "Wege der Literaturvermittlung im 18. Jahrhundert", "Literarisches Leben um 1800", "Das Buch im politischen Umfeld des 20. Jahrhunderts", "Mediale und symbolische Räume" und "Kulturen des Sammeln und Bewahrens". Der erste Beitrag von Monika Estermann über Johann Goldfriedrich und Karl Lamprecht stimmt auf den Tenor des Bands ein: Man bewegt sich zwischen Quellenstudien, faktischen Beschreibungen und essayistischen Erörterungen - wobei der Aufsatz von Estermann hierzu ein unterhaltsames und informatives Beispiel ist.

Der dritte Abschnitt über "Literarisches Leben um 1800" verspricht im Titel mehr als die nachfolgenden Beiträge halten können. Etwas über das deutsche Nationaltheater, zwei Beiträge zu dem Verleger Campe und Dirk Sangmeister über "Heinrich von Kleists verhinderter Verleger, der angeblich verrückte Johann Daniel Sander und der Salon seiner schönen Frau Sophie" geben nur einen Eindruck von dem, was man unter der Fülle literarischen Lebens um 1800 verstehen könnte. Trotzdem gehört der Beitrag von Sangmeister zu den lesenswertesten des Bands.

Im Abschnitt über das politische Buch findet man Jan-Pieter Barbian mit einem Beitrag über die Korrespondenz zwischen Annemarie und Ina Seidel vertreten; Edda Ziegler trägt etwas zum NS-Nationalpreisträger Bruno Brehm und seinen Veröffentlichungen im Piper Verlag nach 1945 bei; Siegfried Lokatis informiert den Leser über die teilweise amüsante, oft auch groteske Geschichte der Zensur von Tierdarstellungen nach 1945 und Klaus G. Saur schließt den Abschnitt mit einer Historie des "Geschwister-Scholl-Preises".

Am spannendsten - vor allem auch im Wechselverhältnis zu anderen Wissenschaftsbereichen - ist der abschließende Teil über "Kulturen des Sammelns und Bewahrens". Im Titel die Formulierungen aus dem Bereich der Kulturwissenschaften aufnehmend, findet man hier zwar keine Darstellung, die die Begriffe des "Archivs", des "historischen Gedächtnisses" usw. untersucht und für die Buchwissenschaft nutzbar macht, aber man versucht, anhand von praktischen Beispielen einen Eindruck zu vermitteln. Dies wird zum Beispiel durch Wolfgang Schmitz Edition eines Gutachtens von Richard Lepsius über die "Reorganisation der Kgl Bibliothek Berlin" (1884) exemplifiziert. Einen anderen Ansatz verfolgt Ernst Fischer mit seinen Ausführungen zur Bibliophilie und beendet seinen Aufsatz mit einer für den ganzen Band und eben auch für die Arbeit Wittmans gültigen Feststellung: "aus der Leidenschaft für Bücher fließt nicht eine Buchkultur, sondern eine Vielfalt von Buchkulturen".

Um nun die angerissenen Themen noch einmal mit der wissenschaftlichen Arbeit Wittmanns abzugleichen, kann man am Ende einen Blick in das beigegebene Verzeichnis der Schriften Wittmanns werfen und feststellen, dass bei einem lebendigen Austausch über Buchgeschichte und -wissenschaft auch immer wieder neue Aspekte ins Zentrum der Untersuchung treten und den Diskurs neu beleben. In diesem Sinne ist der vorliegende Band eine ebenso gute Quelle zur Buchgeschichte wie eine Materialband zur Diskussion über ebendiese. Und was will man mehr?


Titelbild

Monika Estermann / Ernst Fischer / Ute Schneider (Hg.): Buchkulturen. Festschrift für Reinhard Wittmann.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2005.
606 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-10: 3447052600

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