Literarische Beschreibung als sprachpragmatistisches Phänomen

Weshalb deskriptive Prozesse ihres empiristischen Ballasts entledigt werden sollen

Von Marietta BöningRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marietta Böning

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lessings "Laokoon. Über die Grenzen der Malerei und Poesie" mag als Paradigma einer Poetik im 18. Jahrhundert gelten, die unterschwellig unter dem Banner des Empirismus verfasst wurde und die Kunstgeschichte trotzdem nachhaltig beeinflusst hat. Christine Lubkoll und Peter Klotz, die Herausgeber des Bandes "Beschreibend Wahrnehmen - Wahrnehmend Beschreiben", legen sie voraussetzend als Vergleichsmaßstab für das Erfassen des Phänomens an. Sie betrachten es unter gegenwartsbezogener Perspektive, ohne das Thema als epistemologisches zu behandeln, das ausführlich auf historische und methodologische Zugänge Rücksicht nähme.

Das Ausloten erkenntnistheoretischer Implikationen im engeren Sinne ist nicht ihr Thema. Ihr Band fokussiert vielmehr die Konsequenzen für die philologische Forschung. Ein sehr kurzer Blick sei vorab auf historische Vorannahmen geworfen, um bei der Besprechung auf den zeitgenössischen erkenntnistheoretischen Unterbau schielen zu können (aber auch hier nicht, um ihn zu thematisieren), der den Ausführungen des einen oder anderen Autors der Textsammlung zugrunde liegen mag.

Im Gegensatz zu den aufklärerischen Rationalisten versuchten die Empiristen im 17. und 18. Jahrhundert, Erfahrung und Wissen als bedeutungskonstitutive Kategorien auf eine Abbildtheorie zu verkürzen. Als Zeichen für Einzelgegenstände sollen danach sprachliche Ausdrücke ihre Bedeutung unabhängig voneinander erhalten.

Lessings Theorie zeigt sich prominent vom Empirismus beeinflusst. Hier treten schreibende und malerische Darstellungsformen als konkurrierende zutage. Das Beschreiben muss dabei als eingeständige Kategorie zu kurz kommen. Als "Malen mit Worten", simultane Einzelteile erfassend, steht es, wie Lubkoll in ihrem Beitrag über Erzähl- und Gebrauchstexte Franz Kafkas zeigt, zwischen verschiedensten narrativen Ausdrucksvollzügen.

Verwiesen sei an dieser Stelle auf den Beitrag von Ulf Abraham im zweiten Teil des Buchs, der das umgekehrte Paradigma thematisiert. Der Autor fragt, ob man Filmbilder anhalten sollte, ob also eine Einzelbildanalyse als didaktisches Verfahren tauglich sei. Mise-en-scène sei ein Bild als kodierte Zeichenstruktur zu verstehen, die isoliert unter anderen Aspekten erfasst würde als in der Bilderfolge. Bei Abraham ist es der Film, der von seiner vermeintlich einseitig diachronen Funktion erlöst wird. Damit ist auf das Beschreibungsproblem bei auch bildlichen Repräsentationen verwiesen.

Vom Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Status suchen die Autoren den Sprachmodus ("sprachliche Repräsentationen") Beschreiben zu befreien. Der heute noch oft mitgeschleppte Repräsentationalismus verstellt die Sicht auf differenziertere kognitive Vorgänge beim Beschreiben. Es gilt aus philologischer Perspektive auf die Komplexität des kognitiven Phänomens zu deuten: Weit mehr als Wahrnehmung, nämlich Erinnerung, philosophische Theorie, textwissenschaftliche und linguistische Vorannahmen spielen in den Prozess hinein, so dass Beschreiben als Erkenntnisform etablierbar wird. Nach einem Motto von Helmuth Feilke: "Beschreiben bildet die Wahrnehmung nicht einfach ab, es strukturiert sie".

Die Gliederung des Buchs folgt drei Schwerpunkten: Der erste behandelt das Verhältnis zwischen Verfasser und Rezipient als perspektivischen Aspekt, der zweite richtet sein Augenmerk auf die Relation zwischen Aufmerksamkeit und sprachlicher Praxis, und der dritte widmet sich anhand literarischer Beispielfälle der Beschreibung als einer poetischen Form.

Im ersten Teil zeichnet sich bereits ab, dass die Kritik an den empiristischen Rückständen zugunsten einer Verlängerung sprachpragmatistischer Merkmale geübt wird. Ausgehend vom Geltendmachen perspektivischer Aspekte, die eine interesselose (Helmuth Feilke) "reine Beschreibung" unmöglich machen, und den Prozess als Subjekt geleitete, "interpretative Sinnbildungsanstrengung" (Wilhelm Köller) verstehen, gewinnt Beschreiben Handlungsrelevanz und bedarf textpragmatischer Ausdifferenzierungen wie Erklären, Erzählen, Argumentieren (Feilke). Die Subordination Erzählen - Beschreiben wird hier gleichsam umgedreht. Weniger hierarchisch versteht Jakob Ossner Beschreiben als semantisches Feld unter anderen Feldern, wie Narration, Deskription, Argumentation, Appellation etc.

Quer zu ihnen verortet er aus rezeptionsästhetischer Sicht die Kunsttheorie. Die Ordnungsmuster deskriptiver Text seien zwar die Wiedergabe der Wahrnehmung durch Schreiber, aber auch die Steuerung der inneren Wahrnehmung beim Leser. Beschreiben müsse folglich aus dem "Textsortengefängnis, das sie auf sachliche Sprache [...] festlegt, befreit werden". Ähnlich ortet Köller zwei Beschreibungsfunktionen, aus denen er den pragmatischen Zugang herleitet: Es soll das Wiederkennen von Phänomenen erleichtert werden, Beschreiben soll aber auch ihrer "Widerborstigkeit" standhalten können. Beide erfüllen zu können, bedingt, Zeichen als "Verschränkung von [kultureller] Objektsphäre und [individueller] Subjektsphäre zu verstehen".

Der Verschränkungsmodus kann von aspektivischer oder zentralperspektivischer Art sein. Auch im zweiten Fall handelt es sich um einen Relationszusammenhang zwischen Objekt und Subjekt (und nicht um eine reine, objektivistische Beschreibung). Alles in allem beanstanden die Autoren unterschwellig, mit dem fehlenden Subjektbezug fehle auch die intentionale Komponente des sprachlichen Ausdrucks. Wie Ossner es formuliert: Modus der Beschreibung sei die Aussage als Weitergabe von Wissen.

Auf ein anderes, in der Kunsttheorie diskutiertes Problem macht Peter Klotz bezüglich des Beschreibens im zweiten Teil aufmerksam, wenn er konstatiert, Wahrnehmungsprozesse bedürfen der Sprache der Beschreibung, aber auch der Aufmerksamkeit. Dass Wahrnehmung teilweise ein Lernprozess ist, ist klar. Dass Erkenntnis Kenntnis voraussetzt, dito. Aus Klotz' Resultaten ließe sich ableiten, Erkenntnis gründe auf bewusst gemachten Erfahrungen, also auch auf Beschreiben. Wieder tritt der Subjektivitätsaspekt hervor.

Aufmerksamkeit ist im Beitrag von Heiko Hausendorf, der sich auf Austins Sprechakttheorie bezieht, weniger unterschwellig mit Intentionalität verknüpft. So kann er Kunstproduktion nur als kommunikative Aufgabe verstehen. Der Kunst schreibt er vier solcher Aufgaben zu: neben Deuten, Erläutern und Bewerten auch das Beschreiben. Konstruktiv für das Verständnis von Kunst ist allerdings sein einschränkender Gedanke, dass im Falle des Deutens die kommunikative Funktion nicht hinreiche. Denn Deuten setzt ja an, wo ein Signifikat unsicher wird. Dann aber gibt es auch keine, so Hausendorf weiter, Eins-zu-Eins-Zuordnung zwischen "Mitteln zur Erledigung kommunikativer Aufgaben" und Spracheinheiten "auf syntaktischer, interaktiver, prosodischer oder semantischer Ebene". Insofern wird in seinem Beitrag deutlich, dass Intentionalität als Konstituens von Beschreibungsprozessen seine empiristische Provenienz nicht ablösen kann, ohne vielleicht Gefahr zu laufen, einem versteckten Rationalismus zu verfallen. Doch mag der Autor nicht radikal genug mit dieser Erkenntnis umgehen.

Neben dem indirekten Verweis auf strukturalistische Theorie, verweist er ausdrücklich auf hermeneutische, die das Sprachphänomen entsprechend vorsichtiger behandelt hat. Es bleibt bei diesem kleinen Verweis. Ein Stück von Lessing weggerückt, bleibt hier gerade dem Beschreiben eine kommunikative Aufgabe eher noch überlassen als dem Deuten. Das erweckt den Eindruck, Beschreiben füge sich am ehesten noch Konventionen, lasse sich recht gut unter eine Sprechakttheorie subsumieren.

Anders sieht es Hans-Jörg Schmidt. Dessen Beitrag nimmt der Aufmerksamkeit (als Intentionalität) ihr Schwergewicht. Ein Sprechakt, der einer Beschreibung zugrunde liegt, sei gerade nicht auf Aufmerksamkeit aus. Deswegen sei auch ihre poetische Funktion nachvollziehbar, was der Autor an literarischen Berggipfelbeschreibungen zeigt. Beschreiben gilt hier nicht der Kommunikation, sondern dem Zweck, für den Leser wahrgenommene Zustände zu enkodieren. Schmidt verweist indirekt auf die größere rezeptionsästhetische Rolle des Beschreibens (statt auf eine intentio auctoris).

Die Untersuchungen im dritten Teil des Bands bestätigen im Wesentlichen die Ausführungen der ersten beiden Abschnitte, wonach das Beschreiben in der Literaturgeschichte nicht ganz zu Recht marginalisiert wurde.

Gerhard Wolf belegt an Hartmanns "Erec" für das Mittelalter die Relevanz subjektiver, innerer Welten. Indem die Außenrealität marginal wird, müsse der Beschreibung bereits hier ein autonomer Status zuerkannt werden. Freilich räumt der Autor ein, dass eine Brechung zwischen Abbildung und Wirklichkeit im Mittelalter aus Gründen des erkenntnistheoretischen Selbstverständnisses noch gar nicht möglich war.

An der Erzählung "Nachsommer" untersucht Christian Begemann das empiristische Residuum bei Adalbert Stifter. Dieser ordnet das Wahrgenommene mittels Landschaftsbeschreibungen, ordnet Wirklichkeit topografisch. Stifter mache sich den Nominalismus des Empirismus zunutze (descriptio als definitio). Begemann stellt dann aber fest, Erklären sei dem Beschreiben auch hier nachgeordnet. Beim Verstehensprozess handele es sich um ein Verfahren im Übergang. Auch mit Stifters Text lässt sich also die oben angesprochene Lessing'sche Kategorie umdrehen. Lubkoll schließt an die Lessing-Kritik an. Sie vergleicht die nicht-literarische Kafka'sche Erörterung zur "Unfallverhütung bei Holzhobelmaschinen" mit der literarischen Beschreibung "Die Sorge des Hausvaters", um zu zeigen, wie Kafka gerade im Erzählen die Nicht-Erfassbarkeit, die Negation einer Sache durch literarische Sprache bewerkstelligt (nämlich Negation des fingierten, mechanischen "Dings" oder der lebendigen Person mit Subjektstatus namens Odradek). Beschreibung erlangt so eine mythopoetische Funktion.

Die beiden letzten Beiträge werfen einen Blick auf das Phänomen mit Rücksicht auf visuelle und akustische Sinnvollzüge. Elisabeth K. Päfgen vergleicht Stadtwahrnehmung in Uwe Johnsons Roman "Jahrestage", in dem der Autor das Gelbe, das er in New York wahrnimmt, aufzählt, mit Thomas Manns Erzählung von der goldenen Stadt On aus "Joseph und seine Brüder". Sie unterstreicht, die unterschiedlichen Verfahrensweisen, eher deskriptiv (Johnson) oder narrativ (Mann) literarisch auszusagen.

Sieghart Döhring thematisiert am Beispiel einer Opernszene mit einer Rollendarstellung der Maria Callas die Grenzen der Sprache, eine musikalische beziehungsweise sprach-musikalische Weltdarstellung zu bewerkstelligen. Wiewohl gerade die letzten zwei Beiträge auf die erkenntnistheoretische Problematik wenig eingehen, treten hier und in den Beiträgen von Lubkoll und Schmidt sowie im eher negativen Sinne bei Hausendorf unterschiedliche Beschreibungsfunktionen als poetisch-anti-pragmatische und pragmatische zutage. Wenn Ossner kategorisch formuliert, Modus der Beschreibung sei die Aussage als Weitergabe von Wissen, so mag das jedenfalls einseitig für Beschreibungen mit propositionalen Strukturen gelten. Interessant für eine weitere Untersuchung des Phänomens wäre eine Überprüfung der methodologischen Zugänge, also der Sprechakttheorie selbst, die genau dort enden muss, wo literarische Funktionen keiner intentio auctoris unterliegen.


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Peter Klotz / Christine Lubkoll (Hg.): Beschreibend wahrnehmen - wahrnehmend beschreiben. Sprachliche und ästhetische Aspekte kognitiver Prozesse.
Rombach Verlag, Freiburg 2005.
277 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-10: 3793094170

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