Antike aus Polyester

Ulla Hahns "Liebesarten" - ein Etikettenschwindel

Von Dorothea GildeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothea Gilde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Frühling dieses Jahres erschien der Essayband "Dichter in der Welt". In dessen Vorwort vertraut uns seine Autorin Ulla Hahn an, dass sie bisher einen einzigen Verriss geschrieben hätte, was ihr immer noch leid tue. Wenn sie ein Buch nicht schätzen könne, schicke sie es an den Auftraggeber zurück. Das klingt suggestiv - Wollte man sich daran halten, müsste man die druckfrischen "Liebesarten" gleich rückfrankiert zur Post bringen.

Drei namhafte Autoren fühlten sich in jüngerer Zeit berufen, jeweils einen Prosaband zu veröffentlichen: Dieter Wellershoff mit "Das normale Leben", Hans Magnus Enzensberger mit "Josefine und ich" und nun Ulla Hahn mit "Liebesarten". Sollte die Tatsache, dass diese drei alle jenseits der sechzig sind, Zufall sein? Im Erfolgsfall jedenfalls würde die Frage nach dem Alter erst gar nicht aufkommen. Auf der Suche nach Ursachen für das Scheitern aber drängt sie sich auf. Man möchte das literarisch schwache Ergebnis des dreifachen Willens zur Prosa bzw. Kurzprosa ja nicht als Mode oder gar Masche abtun. Auffallend auch die Parallele Hahn - Wellershoff. Beides erfolgreiche Essayisten, die offensichtlich einer Art didaktischem Impetus gefolgt sind, um ihre theoretischen Auslassungen literarisch zu untermauern. Es führte leider in beiden Fällen in eine Sackgasse.

Man kann Ulla Hahn trotzdem dankbar sein, dass es kein Roman wurde. So ließ sich das Buch nach entnervender Lektüre einer Erzählung schließen, und in Tagesintervallen konnte man die dreizehn Liebesarten durchnehmen. Keine wurde ausgelassen, daher auch der Verdacht der erzieherischen Absicht, noch dazu, da einige der Figuren Lehrerinnen sind. Es geht um Liebesabenteuer, um Nächstenliebe, um Liebesmissbrauch, Liebesentzug, Liebe zur Musik, Liebe über den Tod hinaus u.s.w. Alles legitime Themen, wäre die Umsetzung teilweise nicht fast hanebüchen zu nennen. Wenn die Liebste zum Beispiel posthum als Motte im Schlafzimmer des Geliebten umherschwirrt, der natürlich mit einer launischen, verwöhnten Kaltschnauze verheiratet ist.

Die roten Schuhe auf dem Einband locken zum frivol erotischen Abenteuer in der gleichnamigen Geschichte. Umso pikanter, wenn dieses seinen Lauf auf einer Beerdigung nimmt. Was wir dann aber erleben, ist nichts als der halbherzig-laue Ausflug einer Frau, die wir uns besser in Hausschuhen am Bügeltisch vorstellen können als in einer verfallenden Burg mit feurigem Liebhaber.

Wir lesen genau das, was viele Frauen selbst sind: Mütter und Ehefrauen, die die roten Schuhe eher träumend auf den Tisch stellen, als dass sie uns an flinken Füßen zum Abenteuer tragen. Dies allein macht aber nicht die Schwäche der Geschichte aus. Im Gegenteil, mit den entsprechenden stilistischen Mitteln hätte es ein Spiegel ihrer unerfüllten Sehnsüchte werden können. Ulla Hahn vergibt diese Chance. Warum? Weil sie tagebuchartig an der Realität kleben bleibt. Sehnsüchte aber haben damit wenig zu tun. Das Buch liest sich so, als würden dreizehn Damen am Kaffeetisch jede eine erlebte Begebenheit schildern. Das wäre an sich kein Makel, ist aber zu sehr mit Yellowpress-Modeschnickschnack beladen, um Literatur zu sein: "An diesem Abend riß ihr die Sicherheitsnadel vom Glücksschwein ein Loch in das Lagerfeld-Modell, sie verlor einen Ungaro-Schal [...]", "[...] solle sie sich ein Chanel-Kostüm, Schmuck von Manfredi und einen Porsche zulegen [...]".

Der Eindruck von ephemerer Gebrauchsprosa wird verstärkt durch sprachliche Oberflächlichkeiten. Wenn Inhalt und Stil Risse haben, lassen Sprachschnitzer das literarisch instabile Gebilde weiter bröckeln. Da fällt es dann besonders ins Gewicht, wenn ein Name heimisch macht, anstatt sich heimisch fühlen zu lassen. Oder wenn Menschen rücksichtsvoll gegeneinander anstatt zueinander sind. Dazu gehäuft Begriffe und Gesten aus vergangenen Zeiten, die in modern sich gebenden Szenen einfach nur lächerlich wirken: "... weil ihr Herz an einem Vermählten hing", und: "Seit der Notar und die Dozentin vor fast zwei Jahren zum ersten Mal beieinander gelegen hatten [...]".

Schwer zu ertragen sind auch Arroganz und Überheblichkeit einiger Hauptfiguren. Leider lässt der Ton aller Geschichten befürchten, dass hier nicht persifliert wird, sondern ziemlich unverfälscht Anschauungen der Ulla Hahn durchscheinen. "Angehörigen so genannter unterer Schichten gegenüber aber empfinde ich seit jeher ein unbehagliches Gefühl [...]".

Das Bewusstsein der sozialen Schicht und dümmliches Herabschauen mag es im Leben so geben, nur entsteht daraus, im ungefilterten Plapperton wiedergegeben, niemals Literatur. "Ehe ich antworten konnte, hatte Frau Pedders die Brille in ihrer Handtasche verstaut, deren Geschmacklosigkeit nicht weniger verräterisch war wie die Schuhe."

Nun ja, Frau Pedders in "Zugspitze" ist ja auch nur eine Putzfrau, die ein Luxuswochenende in einem Wellnesshotel gewonnen hat. Im Ambiente eines Hauses, wo Pagen in silberbesetzter, blauer Livree die altmodische Eleganz verblichener Zeiten krampfhaft aufrecht erhalten sollen, kann man eine Frau Pedders so richtig wie den Elefanten im Porzellanladen wirken lassen und selbst gütig im Bewusstsein der eigenen Höherstellung agieren. Natürlich nicht ohne wiederholte Betonung der so genannten Standesunterschiede.

Bei so viel Selbstgefälligkeit wird auch die Natur zum willigen Diener. Zuverlässig zwitschern im geeigneten Moment Vögel, Schmetterlinge schwirren, und Kühe brüllen, während der Wind, der gerade noch draußen sauste, einen Nebensatz später milde und kühl in den Raum streicht und über die Gesichter tastet. Selbst in den Texten, die sozial-kritisch zwischenmenschliche Probleme anschneiden möchten, machen unsägliche Bemerkungen alles schartig und schal, wie etwa in "Eine einfache Geschichte". Die Beschreibung des heruntergekommenen Viertels mag ja gelungen sein, wird aber dann durch Einschiebungen - "Auf einem Mauervorsprung turtelte ein Taubenpaar" - wieder mit Puderzucker überstreut und verrät die Autorin als verirrte Touristin in derlei Gegenden.

Dabei sind es nicht die Tauben, die das Bild stören, denn sie wissen nicht, wo sie turteln. Es ist die Bemerkung an sich. Sie wirkt so fehl am Platz wie die nähere Beschreibung der Aktentasche in einer dramatischen Szene, wo es allein auf die Hilfe ankommt, die einer Frau mit Kopftuch gewährt wird. Diese wurde von Jugendlichen angegriffen und steht nun hilflos und angsterfüllt vor der aufgeschlitzten Einkaufstüte, aus der die Lebensmittel auf die Straße fallen. Lisa, die Lehrerin, eilt hinzu: "Lisa holte ein Netz aus ihrer Aktentasche, Schweinsleder mit der Patina vieler Dienstjahre [...]". Ist es in solch bedrohlichem Moment nicht egal, wie eine Aktentasche beschaffen ist? Der Autorin offensichtlich nicht. Ein Überdruss an Adjektiven raubt den umgebenden Dingen ihre Authentizität und taucht alles in lieblich wohlwollendes Licht: "Rosiger Schein aus vielen kleinen seidenbespannten Lampen umschloß die Tische mit warmem Glanz." Das Ambiente wird immer den Gesten gerecht - oder umgekehrt: "und sie flehten mit ausgestreckten Armen zum Himmel empor, der herniederfunkelte aus tausend Augen."

Am Schluss bleibt die Frage, warum so viel Verdruss beim Lesen und so wenig Zustimmung zu den Geschichten? Mag sein, dass es am Etikett liegt. Es steht Ulla Hahn drauf, und man schlägt die erste Seite mit einer Erwartungshaltung auf, die nicht erfüllt wird. Erst kürzlich hat Ruth Klüger in ihrem Buch "Gelesene Wirklichkeit" versucht, den Begriff "Kitsch" näher zu bestimmen. Sie hat ihn am Beispiel der Plastikblume als Etikettenschwindel bezeichnet, die Illusion von Wahrhaftigkeit erweckend, die der näheren Betrachtung aber nicht standhält. Genau wie die "dreihundert Quadratmeter Antike aus Polyester" im Garten des Steuerberaters in Ulla Hahns Eingangserzählung "Zugspitze".


Titelbild

Ulla Hahn: Liebesarten. Erzählungen.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006.
240 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3421059535

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