Schuldige Ermittler?

William Shaw und Candice Fox installieren Kriminelle als Ermittler. Eine Idee, die ihren Krimis gut tun könnte, würde sie konsequent umgesetzt

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Opfer, die zu Rächern und Tätern werden, gibt es mittlerweile einige. Umso stärker ausgeprägt wird das Muster dann, wenn sich die vormals Geschundenen zu Polizisten machen und unter diesem Deckmantel losziehen, um Vergeltung zu üben oder der Gerechtigkeit Bahn zu brechen. Die US-amerikanische Serie Dexter hat da viele Möglichkeiten eröffnet.

Und nun der Brite – wenn man das so sagen darf – William Shaw? Auch er macht einen Mörder zum Polizisten, aber er macht ihn zu einem guten Polizisten und zu einem netten Kerl. Keine Rache, keine Grenzen, die überschritten werden, kein Gesetz, das in die eigene Hand genommen wird. Der Protagonist William South ist einfach ein normaler Streifenpolizist, der seinen Job gern macht, und – daher der Titel The Birdwatcher der englischen Originalausgabe – darüber hinaus in seiner Freizeit Vögel beobachtet.

Dass das kein beliebiges Hobby ist, wird spätestens dann klar, wenn dieser William South die Tochter einer Kollegin mit auf Vogelpirsch nimmt und sie, nicht anders als er selbst zuvor, beginnt, die verschiedenen Vogelarten mit dem Zeichenstift festzuhalten. Es geht hier um eine eigene Welt, die sich William und die junge Zoë mit ihren Zeichnungen erschließen, eine Welt, die nur ihnen gehört. Naja, und nebenbei schult das Beobachten von Vögeln die Beobachtungsgabe, zumal Vogelkundler immer aufschreiben, was sie sehen. Was auch für einen Ermittler ganz hilfreich ist.

Zum Einsatz kommt diese Fähigkeit, als ein Nachbar und Freund brutal ermordet aufgefunden wird und die Ermittlungen nur mit Hilfe William Souths vorankommen. Obwohl er lediglich Streifenpolizist ist und er mit dem Ermordeten befreundet war, wird er zur Ermittlung hinzugezogen. Einmal dabei, ist er es, der den Unterschied macht: Er weist auf die offenen Punkte hin, sieht, was alle anderen übersehen, bleibt hartnäckig, als sich keiner mehr um die Wahrheit zu bemühen scheint. Das umso mehr, als Souths Freund sich als geheimnisvoller erweist, als er sein Lebtag erschienen ist.

Niemand weiß, woher das Geld kommt, mit dem er sich das Haus, in dem er lebte, gekauft hat. Obwohl er angeblich Lehrer war – vor seinem Tod im Ruhestand –, lässt sich keine Schule finden, in der er unterrichtet hat. Und die Schwester, die ihn wohl regelmäßig besuchte, hat er nie gehabt. Jedenfalls kann sich die Frau, die als seine Schwester firmiert, den Ermittlern schnell entziehen. Und was sollen die unbenutzten Mullbinden, die sich in seiner Mülltonne finden?

Aber damit nicht genug, und für eine Krimikonstruktion immer ein wenig wohlfeil, kommen noch einige rätselhafte Vorgänge aus der Umgebung des Verbrechens hinzu, die anfangs keine Beziehung zum Fall aufweisen: Was hat es mit dem Verschwinden einer ortsbekannten Dealerin auf sich? Oder das Boot, das einem anderen Nachbarn gestohlen wird? Rätsel über Rätsel. Lange Zeit ist nicht einmal klar, was sie alle miteinander zu tun haben – außer vielleicht für den einigermaßen geübten Krimileser, der eben schon weiß, dass alles irgendwie zusammenhängt und dass Täter nie aus dem Hut gezaubert, sondern aus dem Personal rekrutiert werden, das nach und nach im Roman auftaucht. Aber man soll nicht klugscheißen, auch nicht als Leser. Zurück also zum Geschehen.

Hier lohnt sich Hartnäckigkeit, gepaart mit Zufall. Denn ein Zufall ist es schließlich, der den entscheidenden Hinweis auf die Lösung gibt, auch wenn es an Souths Hartnäckigkeit liegt, dass der Fall immer weiter vorangetrieben wird, wenigstens für seine Leser.

Der Zufall kommt in Gestalt der pubertierenden Tochter von Souths Kollegin, die verzweifelt versucht, unter ihresgleichen Anschluss zu finden: Denn Zoë sucht nach einer Party, auf der sie irgendwas genommen hat und die recht unerfreulich für sie gelaufen ist, Zuflucht bei South. Ihre Mitschülerinnen mobben sie, und drohen damit, Fotos von der Party ins Netz zu stellen. Dumme Sache das, wo die Mutter doch Polizistin ist. South also kümmert sich darum.

Und genau das führt ihn schließlich zum Mörder, respektive stochert er ein wenig hier und da herum, vermutet dies oder jenes. Und als er sichergehen will, dass seinem Protegé nichts geschieht, steht er auf einmal dem wahren Mörder gegenüber, der sogar ein bisschen Amok läuft. Immerhin handelt es sich um eine Tat, die offensichtlich von hemmungsloser Wut gekennzeichnet ist. So denn auch das Ende.

Parallel erzählt Shaw die Geschichte vom Mord des jungen William, hier durchgängig Billy genannt, an seinem Vater, der seinerzeit zu den protestantischen Paramilitärs in Nordirland gehörte. Und hier kneift Shaw: Keine Frage, dass der Vatermord aus den Umständen heraus – der Vater ist ein gewalttätiger Säufer, der fremdgeht – nachvollziehbar ist. Aber warum muss das dann auch noch lang und breit auserzählt werden? Denn selbst wenn die Tat, in der South ermittelt, mit der Tat des kleinen Billy zusammenhängt – was schon der Guten zu viel ist –, braucht es nicht die Gewissheit, dass William trotz seiner Vergangenheit ein guter Mensch ist. Genau das wird ja den ganzen Text über vorgeführt. Indem am Ende gar diese Tat aufgedeckt wird, verschießt Shaw eben leider auch sein ganzes Pulver. Ein Ermittler, der unter seiner eigenen Schuld leidet und immer mit der Bedrohung konfrontiert ist, dass sie auffliegt, hätte immerhin die Basis für eine außerordentliche Reihe sein können.

Eine aufschlussreiche Variante wählt die Australierin Candice Fox in ihrem neuen Krimi, Crimson Lake, der ebenfalls bei Suhrkamp erschienen ist. Nur nimmt sie ihre beiden Helden noch mehr in Schutz als Shaw, dessen Ermittler ein vielleicht unschuldiger, immerhin aber doch ein Mörder ist.

Ganz anders Fox, die ihre beiden Ermittler zwar mit der Last einer Vorverurteilung losschickt, sie aber bereits zu Beginn abzumildern versteht, unter anderem über die Sympathie, die die Verfasserin für sie hegt. So wird der männliche Part des Duos, der ehemalige Drogenermittler Ted Conkaffey (immerhin ein Serienkiller-Vorname), zwar bezichtigt, sich an einem jungen Mädchen vergangen zu haben. Aber auch, wenn er nicht rehabilitiert und der wahre Verbrecher längst nicht gefasst wurde, ist das Verfahren immerhin eingestellt worden. Das hilft ihm aber nichts, denn Frau, Kind und Job sind weg, er zieht sich aufs Land zurück, in der Hoffnung, dort unerkannt untertauchen zu können. Doch der Mob und zwei hinterhältige Streifenpolizisten, die auch im weiteren Verlauf eine größere Rolle spielen, spüren ihn auf und geben ihn zum Abschuss frei.

Seine Partnerin Amanda Pharrell hingegen ist eine eingestandene und verurteilte Mörderin. Sie hat als Jugendliche ein anderes Mädchen erstochen. Dennoch hat die exzentrische Frau, die in kein Auto mehr einsteigt (was zu absurden, aber hübsch erzählten Fahrten der beiden Detektive führt), eine Lizenz als Detektivin erhalten und holt sich Ted als Partner. Ein bisschen Polizeierfahrung kann sicher nicht schaden.

Naheliegenderweise – und eben gegen die Anlage des Textes – ermitteln die Partner jeweils im Fall des anderen, was gegen Ende des Krimis, wenigstens was Amanda betrifft, zu neuen Erkenntnissen und zu einer neuen Bewertung ihres Falles führt. Und auch für Ted sieht die Sache ganz gut aus.

So weit, so gut, nur eben schade, dass der Malus, mit dem sich die beiden ihr gesamtes weiteres Reihenleben hätten herumschlagen müssen, damit nach und nach aufgelöst wird. Ein Gerechter darf nie ungerecht gewesen sein. Soweit funktioniert die literarische Moral eben doch. Der Fall, dem sie in der Hauptsache nachgehen – ein verschwundener Erfolgsschriftsteller, der sich in der Tat als tot erweist –, rückt im Vergleich dazu in den Hintergrund.

Titelbild

Candice Fox: Crimson Lake. Thriller.
Herausgegeben von Thomas Wörtche.
Übersetzt aus dem Englischen von Andrea O’Brien.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
380 Seiten, 15,95 EUR.
ISBN-13: 9783518468104

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Titelbild

William Shaw: Der gute Mörder. Thriller.
Aus dem Englischen von Christiane Burkhardt.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
347 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783518467831

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