Handlungsfelder für eine historische Realität

Holger Sonnabends moderne Darstellung des Kaisers Nero

Von Dirk StolleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Stolle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Muttermörder – Brandstifter – Tyrann: Drei markante Schlagworte, die einem bei der Skizzierung Kaiser Neros in den Sinn kommen könnten. Doch der letzte Kaiser der Julisch-Claudischen Dynastie war „viel mehr als ein Tyrann“, erklärt der Althistoriker und Autor zahlreicher Sachbücher Holger Sonnabend in seiner Monographie über eben jenen Herrscher des Römischen Reiches der Antike. In seinem aktuellen Werk behandelt er eine Persönlichkeit, deren bisherige wissenschaftliche Betrachtung zweifellos Regalmeter füllt.. Aufgrund seiner Methodik sticht Sonnabends Werk allerdings aus bisher erschienenen Biographien hervor: Unter Ausnutzung verschiedener, in der Einleitung erläuterter antiker Quellen sowie den Überlieferungen des Tacitus, Suetons, Cassius Dios und Aurelius Victors, entwirft er im zweiten der insgesamt 15 Kapitel anhand unterschiedlicher Kategorien (z. B. Familie, Politik, Gegner oder seine Ambitionen als Künstler) den Handlungsraum Neros und legt dabei den Fokus auf die Rolle der Kunst als Instrument der Machtinszenierung des Kaisers. Entsprechend geht der Autor nicht chronologisch vor, sondern nimmt sich pro Kapitel eine Kategorie des zu entwerfenden Handlungsfeldes vor. Der Abschnitt „Nero – Stationen seines kaiserlichen Lebens“, welcher chronologisch die wesentlichen Ereignisse seiner Regierungsjahre prägnant zusammenfasst, ermöglicht zugleich eine Kontextualisierung.

Zentrale Beispiele für Neros Gebrauch der Kunst als Instrument der Machtinszenierung sind für Sonnabend einerseits sein Umgang mit den Christen sowie andererseits seine Griechenland-Tournee. Gerade die Art und Weise, wie Nero die Christen hinrichten ließ, lässt Sonnabend vermuten, dass diese „Darbietung“ als markante Inszenierung von Macht und Kunst angesehen werden muss, mit welcher er dem Volk „die künstlerisch-schauspielerische Seite seiner doppelten Existenz als Künstlerkaiser oder Kaiserkünstler“ demonstrieren wollte. Denn „ohne Publikum war seine Kunst nichts wert“. Auch die Griechenland-Tournee im Jahre 66/67 zeige die unmittelbare Verbindung zwischen Kunst und Macht, die Neros Herrschaft so sehr prägten. Die Intention dieser Reise sei zum einen die Bestrafung des römischen Publikums durch den Entzug seiner Kunst aufgrund ihres – aus Sicht des Kaisers – eher unbeeindruckten Verhaltens bei den Neronia im Jahre 65. Zum anderen stelle sie eine Belohnung für das griechische Volk dar – laut Nero das einzige, das seiner Kunst würdig war. Hinsichtlich der Ausgestaltung und Ziele dieser Reise verknüpft Sonnabend drei Positionen: Erstens konnte Nero unspektakulär Politik betreiben, zweitens bei Bedarf gleichzeitig politische Vorgänge künstlerisch inszenieren sowie drittens die Gelegenheit wahrnehmen, sich selbst als Künstler zu betätigen, als solcher auch Beifall zu ernten und sich damit zugleich vom Volk seine Position als Kaiser bestätigen zu lassen.

Mit der permanenten Integration und Berücksichtigung derartiger Hintergründe geht Sonnabends Werk weit über die bloße Beschreibung des Kaisers hinaus. Ihm gelingt somit die Beschreibung einer historischen Realität, welche „ein Schema im Handeln Neros erkennen [lässt], das als eine Art Schlüssel zum Verständnis dieses Kaisers gelten kann und […] geeignet ist, die scheinbar so unvereinbaren Facetten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen“. Stück für Stück erklärt Sonnabend so die Entstehung des (tendenziell negativen) Bildes Kaiser Neros, welches er in einer Bilanz am Ende zusammenfassend skizziert. Der stetige Machtverlust jedoch zeichnet sich bereits im Verlauf der Biographie ab, sodass in eben jene Bilanz lediglich das Offensichtliche nochmals in aller Kürze zusammengetragen wird. Beispielsweise erwähnt Sonnabend das allmählich entstehende Missverhältnis zwischen Nero und den Soldaten, das sich insbesondere aufgrund der Kürzung des Solds verstärkte.

Zahlreiche Zitate verleihen dem Werk eine unterhaltsame Note, ohne dabei den akademischen Anspruch zu vernachlässigen. Einige Abbildungen, z. B. der Bauwerke oder Münzen, unterstützen seine Beschreibungen. Um der Mannigfaltigkeit des Themas gerecht zu werden, geht der Autor nicht immer ins Detail. Dennoch gelingt es ihm, insbesondere durch seine Methodik und den erfrischenden Schreibstil, das Wesentliche – und zwar nicht nur in Form einer Schwarz-Weiß-Karikatur – über die polarisierende Persönlichkeit Neros einer breiten Leserschaft zu vermitteln.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Holger Sonnabend: Nero. Inszenierung der Macht.
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2016.
240 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783805349536

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