Lies Shakespeare und sei mutig

Patrick Stewart teilt in seinen Memoiren Erfahrungen und Lebensweisheiten mit seinen Fans

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sir Patrick Stewart hat unter dem Titel Making It So seine Memoiren veröffentlicht. Schon der Titel erregt bei allen Star Trek Fans eine Woge nostalgischer Erinnerungen. Denn der in der TV-Serie „The Next Generation“ häufig wiederkehrende Befehl des Captains der USS Enterprise, Jean-Luc Picard, lautet: „Make it so!“ Mit erhobenem Zeigefinger und stets strengem Blick unterstreicht Picard diese längst legendären Worte auf der Brücke seines Raumschiffes. Selbstverständlich bleibt Patrick Stewart ein Leben lang mit seiner Rolle als Jean-Luc Picard verbunden. Dank dieser wurde er international bekannt, vielfach ausgezeichnet und sehr beliebt. Seine Fan-Gemeinde ist riesig.

Trotz etlicher Erfolge in anderen Rollen – beispielsweise in den X-Men-Verfilmungen, in welchen er die Hauptrolle des Professors Charles Francis Xavier spielte – erkennt man ihn bis heute auf der Straße stets als Picard, berichtet er auch in seiner Biographie. Dabei liebt Patrick Stewart die Bühnenluft – er ist vor allem Theaterschauspieler. Zeitlebens verbrachte er wesentlich mehr Stunden im Theater als vor Filmkameras. Deswegen setzt Stewart in seinen Memoiren einen Schwerpunkt auf seine Ausbildung, die ersten Schritte auf den Theaterbühnen und seine Entwicklung bis zur Royal Shakespeare Company. Rund drei Viertel des Buches haben mit Star Trek und seinen Filmrollen nichts zu tun. Wer dem Buchtitel folgend auf Blicke hinter die Star Trek Kulissen und spannende neue Hintergründe vom Seriendreh hofft, der wird enttäuscht. Zwar schreibt Stewart durchaus über die Zusammenarbeit der Schauspieler am Set, am Rande werden Charakterzüge der ihn umgebenden Brückenoffiziere der Enterprise erwähnt, kurz berichtet er von seinem Kennenlernen mit Gene Roddenberry. Auch auf Folgen geht er ein und bewertet Einzelne aus heutiger Sicht von peinlich bis grandios. Aber er bleibt dabei viel distanzierter und oberflächlicher als bei der intensiven Schilderung seiner Erinnerungen an die Royal Shakespeare Company.

Denn Patrick Stewart sieht sich selbst als „lebenslangen Shakespeare-Botschafter“. Sehr genau erzählt er, welche Rollen er spielen durfte und welche Schwierigkeiten es beim Einstudieren und den Aufführungen gab, fast schon in einer Art Tagebuch-Protokoll. Er berichtet von seiner Zusammenarbeit mit Ian McKellen und anderen Schauspielern. Voller Freude plaudert Stewart davon, dass er zu einem „fortgeschrittenen Zeitpunkt“ seiner Karriere trotz der stets unvermeidbaren Identifikation mit dem Captain der Enterprise Samuel Becketts „Godot“ und Harold Pinters „Niemandsland“ auf der Bühne aufführen durfte: „Jeden Tag am Bühneneingang des Cort Theaters anzukommen und zu wissen, welche Freuden vor mir lagen […], repräsentierte alles, was ich mir für meinen Beruf jemals gewünscht hatte“, schreibt er über jene Zeit am Theater im Jahr 2014.

Doch all dies bleibt Kulisse, wirkt aufgezählt und ist daher teilweise zäh zu lesen. Es ist deutlich, wie bewusst Patrick Stewart an seinem Denkmal arbeitet, seine Erfolge und die positiven Seiten in seinem Leben in den Vordergrund stellt und die negativen Seiten kürzer hält. Teile der dunkleren Episoden sind Fans ohnehin längst bekannt – beispielsweise, dass Stewart eine schwere Kindheit mit einem trinkenden und gewalttätigen Vater durchleben musste. Denn diese harten Erfahrungen wurden von Patrick Stewart schon vor einigen Jahren ähnlich kurz und merkwürdig distanziert wie im Buch in Zeitungsinterviews thematisiert. Aber seine Kindheit ist nicht der Grund für manch abrupten Themenwechsel in der Biographie. Eher gesteht der Autor, dass es für ihn schwer sei, seinen Seelenzustand nach Trennungen und in besonders einsamen Zeiten beim Schreiben noch einmal zu durchleben: „Ein einsamer Mann, der um das Ende einer Liebesbeziehung trauerte. War es mein Schicksal, dasselbe Drehbuch wieder und wieder durchzuspielen?“. Beziehungen gingen in die Brüche, weil Stewart seine Ehefrauen betrog und seinen Lebensmittelpunkt verschob. In „Making It So“ wird auch Stewarts Beziehung zu Alkohol erwähnt;  schon bevor er als Macbeth die Bühne betrat, wurde Wein getrunken; viel Whisky beruhigte seinen Geist. Er probierte Ecstasy aus. Ständig im Flieger zwischen Los Angeles und London, ein ruheloses Leben. Stewart schreibt – und an diesen, viel zu kurzen Stellen kommt ihm der Leser besonders nahe: „Ich hatte noch viel Zeit, bevor mein Flieger ging, und die verbrachte ich damit, an meinem Gate zu sitzen und durch das große Fenster auf die Rollbahn zu starren, wo Flugzeuge kamen und gingen. Der Anblick wirkte auf mich wie eine Metapher für mein Leben.“ Es sei schwer, Freunde für schwere Zeiten zu finden, wenn man überall auf begeisterte Fans von Jean-Luc Picard treffe. Beziehungen blieben oberflächlich. Zwischen den Schilderungen eines glamourösen Hollywood-Star-Lebens scheinen Unruhe und Unglück durch. Stewart befand sich offenbar ständig auf der Suche nach Halt und wahrer Liebe.

Und dann kam der Lockdown und zwang 2020 das Alltagsleben zu Stillstand und Patrick Stewart nach Abschluss der Dreharbeiten zur ersten Staffel von „Star Trek: Picard“ zu Ruhe. Er setzte sich zu Beginn der Corona-Pandemie jeden Tag vor seine Handykamera und las eines der insgesamt 154 Sonette von William Shakespeare. In ihnen geht es um das Liebeswerben, menschliche Schwachheit, Abweisung und Hingabe, verletzende Handlungsweisen und die Vergänglichkeit der Schönheit. Jedes Sonett kann für sich allein stehen, jedes nimmt sich eines eigenen Sachverhaltes an. Zusammen bereiten sie  eine Liebeskasuistik aus, welche in ihrer umfassenden Behandlung beeindruckt. Shakespeare thematisiert dabei auch die unerbittliche Macht der Zeit. Nur echte Liebe könne der Zeit standhalten und möglicherweise Alter und Zeit überwinden. Diesen Gedanken griff Patrick Stewart auf. Auf Facebook postete er, dass seine Mutter ihm mitgab, ein Apfel am Tag halte den Doktor fern; er ergänzte für die belastende Zeit des Lockdowns, ein Sonett am Tag täte das Gleiche. Ein wenig Shakespeare für den Erhalt der geistigen Gesundheit. Die Videos wurden millionenfach auf Facebook aufgerufen, sie sind mittlerweile weit verbreitet, wurden auf YouTube gestellt und bleiben damit trotz der Kurzlebigkeit mancher Social Media Erscheinungen hoffentlich dauerhaft erhalten. In Stewarts „Making It So“ nimmt die Schilderung seiner „Schwerstarbeit“ an den Sonetten gerade einmal eine Seite ein, obgleich er bis heute jede Woche von dankbaren Fans auf die Sonette angesprochen werde, so Stewart.

Wenn Patrick Stewart in den Videos sein Buch sinken lässt und nach dem Vortragen die Augen hebt, bleiben in den Videos manchmal einige Sekunden Ruhe. Hier entstehtein ambivalentes Bild: Auch Jean-Luc Picard blickt in die Kamera. Schließlich war die Einsamkeit so bedeutsam für die Figur des Captains der Enterprise. Picard hielt andere Menschen so gut wie möglich auf Distanz, während die Enterprise in Galaxien vordrang, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Er raste durch die Dunkelheit. Einsam und unsicher, was ihn und uns nach Lockdowns im Leben insgesamt noch erwartet. Ein Gefühl, das Stewart während der Pandemie mit vielen Menschen teilte. Aber der Schauspielert behielt wie Picard stets einen festen, entschlossenen Blick. „Sei mutig“, sagte Stewart seit seinen Jugendjahren vor jedem Bühnenauftritt zu sich selbst, um seine Ängste zu kontrollieren, seinen Rücken durchzustrecken und mit selbstbewusster Haltung auf die Theaterbühne oder auf die Brücke der Enterprise zu treten, schreibt er in seinen Memoiren. Schließlich wendet er sich direkt an seine Leserinnen und Leser und gesteht: „Wissen Sie, die Grenzen zwischen Jean-Luc und mir verwischen sich immer mehr.“ An diesen Stellen ist die Biographie besonders intensiv und faszinierend. Von ihnen wünschte man sich mehr. Im Schlusskapitel wird Stewart noch einmal sehr nachdenklich, erzählt vom Tod seines Bruders und der Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit. Aufhören möchte der im Juli 2024 84-jährige Autor nicht, er hat seinen Mut nie verloren. Und das liegt sicherlich auch an der lebenslangen Beschäftigung mit Shakespeare und dem Drang, immer wieder auf die Bühne zu treten und Ängsten die Stirn zu bieten.

Titelbild

Patrick Stewart: Making it so. Mein Leben.
Aus dem Englischen von Petra Meier.
riva Verlag, München 2024.
479 Seiten, 16 ungezählte Seiten Tafeln , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783742326669

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