Underwater Love

Der märchenhafte Oscarsieger „Shape of Water“ erzählt vom Aufstand der Außenseiter

Von Dominik RoseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Rose

Auf den ersten Blick erscheint Guillermo del Toros Liebesfilm über eine stumme Putzfrau, die sich in eine gefangengehaltene amphibische Kreatur verliebt, aufgrund ihrer Fantasy-Elemente als ein ungewöhnlicher Oscarsieger (der Film wurde bei der jüngsten Verleihung mit vier Preisen ausgezeichnet: für den „besten Film“, die „Regie“, „Ausstattung“ und „Filmmusik“). In seinem Kern erzählt del Toros Werk jedoch von gesellschaftlichen Außenseitern, die es in den politisch aufgeladenen Zeiten nicht nur in den USA schwer haben: von Immigranten, Schwarzen und Homosexuellen, sozialen Randgruppen, die sich gegen den militärisch-industriellen Komplex auflehnen – und ist damit durchaus ein zeitgemäßer Siegerfilm.

Shape of Water, das macht bereits die Eröffnungssequenz deutlich, ist seiner historischen Verankerung in den frühen 1960er Jahren und den sozialen und politischen Bezügen zum Trotz vor allem eines: ein Märchen. Die Kamera taucht in eine magische Unterwasserwelt ein, ein vom Wasser überflutetes Appartement, während die Märchenonkel-Erzählerstimme ihre „Es war einmal“-Geschichte beginnt – das ist filmtechnisch klasse inszeniert, insbesondere wie diese Unterwasserszenerie sich wieder zurückbildet und Gegenstände und Mobiliar mitsamt der auf ihrer Couch schlafenden Eliza (großartig gespielt von Sally Hawkins) freigibt. Um sie geht es in dieser fast vollständig in dunkle, blau-grüne Farbtöne getauchten Geschichte: eine stumme, gutherzige Immigrantin, die ein eher leidenschaftsloses, an Höhepunkten armes Leben in einer auf charmante Art heruntergekommenen Baltimorer Wohnung führt. Diese befindet sich direkt über einem alten Kino, dessen Filmgeräusche wie Zeugnisse eines abenteuerlicheren Lebens regelmäßig zu ihr hochdringen. Mit ihrem befreundeten Nachbarn Giles, einem homosexuellen Maler, schaut sie sich in ihrer Freizeit gern alte Hollywoodmusicals an – „Shape of Water“ ist, neben vielen anderem, auch eine nostalgische Verbeugung vor dem Zauber des Kinos. Ihr Geld verdient Eliza als Putzfrau in einem US-Geheimlabor, das unter der Führung des rassistischen Strickland (Michael Shannon) steht. Als unter großer Geheimhaltung ein Amphibienwesen aus dem Amazonas angeliefert wird, verliebt sich Eliza in die fantastische Kreatur, die von Dr. Hoffstetler (Michael Stuhlbarg), einem zwielichtigen Wissenschaftler, untersucht und von Strickland, dem sie zwei Finger abbeißt, mit einem Viehtreiber gefoltert wird. Als der hinzugerufene Genral Hoyt, der vor allem daran interessiert ist, ob die Kreatur den Amerikanern im Kalten Krieg von Nutzen sein könnte, eine Vivisektion des „Monsters“ anordnet, beschließt Eliza, das Wesen mit Hilfe von Nachbar Gil und Zelda (Octavia Spencer), ihrer dunkelhäutigen Arbeitskollegin und besten Freundin, zu befreien. Doch Dr. Hoffstetler, der Eliza heimlich beobachtet hat, weiß um ihre besondere Beziehung zu der Kreatur – und auch Strickland beäugt die beiden Putzfrauen kritisch.

Die Verwendung von märchenhaften Elementen ist in del Toros Gesamtwerk ein wiederkehrendes Motiv. So erinnert Shape of Water insbesondere an del Toros bis dahin größten Kritikererfolg Pans Labyrinth, in dem die fantastischen Elemente um das Fabelwesen Pan und die Suche nach einer mythischen Königin allegorisch mit der historischen Situation im faschistischen Spanien des Jahres 1939, also unmittelbar nach dem Ende des Bürgerkriegs, verknüpft sind – eine brillante, verstörende Auseinandersetzung mit der Brutalität des Krieges und insbesondere des Faschismus. Gerade im Vergleich zu diesem früheren Meisterwerk wirkt die Story in Shape of Water allerdings arg schematisch strukturiert und auch zu vorhersehbar. Die Phalanx der Guten besteht wohlbedacht aus nahezu allen ethnisch und sexuell marginalisierten Bevölkerungsgruppen, während sich auf der Gegenseite der brutale Stumpfsinn aus Rassismus und militärischer Logik wiederfindet. Das wirkt zu simpel, um den Zuschauer wirklich herauszufordern. Diese inhaltliche Schlichtheit zeigt sich auch in der Konzeption des „Monsters“, das sich natürlich nicht als solches erweist, sondern mit seinen treuherzigen Amphibienaugen und der zutraulichen Art eher wie ein Schoßhündchen rüberkommt. Außerdem ist die Kreatur dazu befähigt, mit magischen Kräften Wunden zu heilen, aber darüber hinaus lässt sich nichts weiter über sie sagen.

Gerade diese Eindimensionalität macht jedoch die zentrale Liebesgeschichte nicht richtig greifbar, vielmehr scheint sie nur rein zweckgebunden im Dienste der dem Film zugrundeliegenden Botschaft – dem Sieg der Liebe über Grausamkeit und Unmenschlichkeit – zu stehen. Immerhin bieten die Unterwasser-Liebesszenen zwischen Eliza und der Kreatur dem Film die Gelegenheit zu einigen zugegeben sehr stimmungsvoll inszenierten, postertauglichen Szenen. Was jedoch fehlt, sind Komplexität und Ambivalenz. Insofern ist auch nichts, was im weiteren Verlauf der Geschichte passiert, also von dem Moment an, in dem Eliza und ihre Verbündeten den Plan zur Rettung der Kreatur in die Tat umsetzen wollen, in irgendeiner Form überraschend. Es sind eher die wunderschön komponierten Bilder des dänischen Kameramanns Dan Laustsen, die stimmigen technischen Details der Ausstattung, Kostüme und die sentimental-verträumte Hintergrundmusik, die hin und wieder fesseln. Abgesehen von der offensichtlichen Reminiszenz an den Klassiker Der Schrecken vom Amazonas des B-Movie-Regisseurs Jack Arnold, erinnert Shape of Water mit seinem verträumt-sentimentalen Erzählton, der immer ein wenig ins Süßliche zu kippen droht, vor allem an einen modernen Publikumshit: Die fabelhafte Welt der Amélie von Jean-Pierre Jeunet. Bezeichnenderweise ist von diesem Film neben seiner von Audrey Tautou verkörperten Hauptfigur wohl allenfalls noch die eingängige Musik von Yann Tiersen in Erinnerung geblieben. Egal, wie es Shape of Water im weiteren Verlauf der Filmgeschichte ergehen wird, sein Ungeheuer zumindest ist zum Vergessen.

The Shape of Water, USA 2017
Regie: Guillermo del Toro
Darsteller: Sally Hawkins, Michael Shannon, Octavia Spencer, Richard Jenkins, Doug Jones, Michael Stuhlbarg, Nick Searcy
Spieldauer: 123 Minuten

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