Theorie und Praxis des Populismus

Zwei Neuerscheinungen zu einem umstrittenen Begriff

Von Felix BreuningRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Breuning

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit den jüngeren Wahlerfolgen der AfD, dem Brexit und der Präsidentschaft Donald Trumps ist das „Problem Populismus“ in Deutschland und international in aller Munde. Im öffentlichen Diskurs ebenso wie in den Sozialwissenschaften werden äußerst disparate Bewegungen und Parteien unter diesem Ausdruck subsumiert, der mittlerweile unverzichtbar geworden scheint, um eine „Krise der Demokratie“ zu diagnostizieren. Allerdings wird vor allem „Rechtspopulismus“ alltäglich entweder journalistisch oder als Kampfbegriff gebraucht, die Abgrenzung zu Begriffen wie „Rechtsradikalismus“, „Konservatismus“ oder „Nationalismus“ ist, vorsichtig ausgedrückt, unklar. In Reaktion auf diese Verwirrung wurden in der Politischen Theorie in den letzten 50 Jahren eine Vielzahl von Erklärungen vorgebracht, die versuchen, dieses Ungetüms Herr zu werden.

Zur Orientierung im wuchernden akademischen Feld der populism studies haben Dirk Jörke und Veith Selk von der TU Darmstadt nun in der langlebigen Junius-Reihe „Zur Einführung“ den ersten deutschsprachigen Überblick über die Theorien des Populismus vorgelegt. Glücklicherweise beanspruchen sie auf knapp 170 Seiten weder Vollständigkeit noch Unparteilichkeit, sondern bieten einen skeptischen und wertenden Rundgang aus ihrer eigenen Perspektive auf das Phänomen an. Sie widmen sich den Theoriediskussionen – vor allem der letzten 20 Jahre – mithilfe der leitenden Fragen „Was ist Populismus?“, „Warum entsteht Populismus?“ und „Wie ist Populismus zu bewerten?“. Ihre These, der Populismus sei eine „Reaktion auf nicht eingehaltene Versprechen der Demokratie“, erklärt sowohl die Stärken als auch die Schwächen dieses Versuchs. Jörke und Selk kritisieren in Anschluss an Chantal Mouffe zu Recht eine vor allem moralische Zurückweisung des Populismus, die in der liberalen Politikwissenschaft überhandgenommen hat und kaum mehr nach gesellschaftlichen Ursachen dieses Aufbegehrens sucht. Statt populistische Politik bloß normativ zu verdammen, tragen sie Erklärungen zusammen, die Populismus als Reaktion auf unter anderem zunehmende Bürokratisierung, die Oligarchisierung der Wirtschaft oder korrupte Eliten erklärt. Verdienstvoll ist auch ihre Dekonstruktion liberaler Modernisierungstheorien, die Populismus als ein bloßes Epiphänomen der sich vollendenden Moderne betrachten. Dabei schließt ihre verstehende Perspektive deutliche Kritik an populistischer Politik als Verstärkung antidemokratischer Entwicklungen nicht aus, die Autoren weisen unter anderem auf ihre Affinität zu Verschwörungsdenken und produktionistischer Ideologie hin. Auch irritierende Forschungsergebnisse werden erläutert, wie zum Beispiel, dass die Wählerschaft populistischer Parteien sich eben nicht aus den „Abgehängten“ oder „Globalisierungsverlierern“ rekrutiert, sondern vor allem aus der unteren Mittelschicht stammt. Oder, als Einwand gegen linkpopulistische Ambitionen, das Konzept des „Linksautoritarismus“. Gemeint ist der soziologische Befund, dass ein nicht geringer Teil der europäischen Wählerschaft in kulturellen Fragen autoritäre Auffassungen vertritt, wirtschaftspolitisch aber „linke“ Positionen, etwa die Rettung des Sozialstaats, unterstützt. Dennoch stößt die vor allem demokratietheoretische Annäherung Jörkes und Selks an das Phänomen Populismus auf eine theoretische Grenze. Denn allein, dass „Versprechen der Demokratie“ nicht eingelöst werden, erklärt noch nicht die spezifisch populistische Reaktion darauf. Wie unterscheiden sich die so beschriebenen Triebkräfte des Populismus von denen des Faschismus oder möglicher emanzipatorischer Bewegungen? Gerade in Bezug auf linkspopulistische Strategien müsste diese Frage geklärt werden. Der möglicherweise enge Zusammenhang von Populismus und Autoritarismus, Rassismus und Antisemitismus bleibt hier unterbelichtet, was allerdings sicher weniger Jörke und Selk vorzuwerfen ist, als den hegemonialen Ansätzen in der Populismustheorie, in die sie verlässlich einführen.

Ein Beispiel dafür, warum die Frage nach dem Autoritarismus nicht ausgeklammert werden sollte, liefert der belgische Publizist David Van Reybrouck in seinem ins Deutsche übersetzten Essay Für einen anderen Populismus. Van Reybrouck, der in Belgien mit Büchern über die Nachwirkungen des Kolonialismus in Südafrika und im Kongo bekannt geworden ist, inszeniert sich als unangenehmer und kritischer Intellektueller und skandalisiert eine Entdemokratisierung seines Landes. Die Ursache des populistischen Aufbegehrens à la Vlaams Belang sei einfach die zunehmende Kluft zwischen akademisch Gebildeten und „Bildungsfernen“ in der modernen „wissensbasierten Ökonomie“. Dass statt Geringqualifizierten vor allem eine „universitäre Elite“ im belgischen Parlament vertreten ist, führe zu Frust und Apathie. Es sei einmal dahingestellt, ob nun tatsächlich Bildung die neue gesellschaftliche Konfliktlinie wird, oder nicht doch auch in Belgien, ebenso wie in Deutschland, Bildungsungleichheit wesentlich eine Klassenfrage ist. Reybrouck liefert einige aufschlussreiche Beobachtungen der kulturellen Marker, über die sich vor allem Hochqualifizierte von Geringqualifizierten abgrenzen. Auch seine Kritik an einem bestimmten linken Kulturrelativismus, der der gesellschaftskritischen Aufklärung der unteren sozialen Schichten im Weg stehe, mag zutreffen.

Kritisch zu betrachten ist jedenfalls sein Vorschlag eines aufgeklärten, rechtsstaatlichen Populismus, der die Geringqualifizierten zurück in die Politik bringen soll. Denn Van Reybroucks Vorstellung davon, was ein aufgeklärter Populismus überhaupt sein soll, bleibt höchst widersprüchlich. Das wäre einer, der sowohl nicht auf „niedere Instinkte“ abzielt als auch „entwurzelten Kosmopolitismus“ ebenso schlimm findet wie bornierten Nationalismus. Wenn Van Reybrouck auf der einen Seite das Ressentiment gegen Kosmopolitismus als gerechtfertigt darstellt und auf der anderen den Rassismus im belgischen Proletariat leugnet, rächt sich, dass er keine Vorstellung davon hat, wie Populismus und Autoritarismus miteinander zusammenhängen könnten.

Titelbild

David Van Reybrouck: Für einen anderen Populismus. Ein Plädoyer.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Arne Braun.
Wallstein Verlag, Göttingen 2017.
96 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783835331570

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Titelbild

Dirk Jörke / Veith Selk: Theorien des Populismus zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2017.
192 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783885067986

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