Vielleicht hat das Leben eine B-Seite
Mit „Becks letzter Sommer“ noch mal träumen
Von Sabrina Iven
Robert Beck (Christian Ulmen) ist Lehrer. Unmotiviert, frustriert, antriebslos. Er kommt kaum noch aus dem Bett und geht auch eher unregelmäßig zur Arbeit – wenn er es überhaupt schafft. Seine Motivation fehlt schon länger, falls sie je vorhanden war. Das Entstauben und Wiederverwenden von Tests und Folien ist bei ihm an der Tagesordnung.
Überraschenderweise sind Becks Schüler trotz seiner Lustlosigkeit und Lethargie nicht vollkommen gleichgültig. Als er Rauli (Nahuel Pérez Biscayart), einen von ihnen, weinend die Schule betreten sieht und ihn darauf anspricht, beginnt eine Zusammenarbeit, die Becks Leben von Grund auf verändert. Beck staunt nicht schlecht, als sich sein schlechtester Schüler als begnadeter Musiker entpuppt. Raulis Interpretation des White Stripe-Songs Seven Nation Army weckt in Beck Erinnerungen an längst vergangene Tage, als er selbst noch mit seiner Band auf der Bühne stand und sogar einen Plattenvertrag sein Eigen nennen konnte.
Frieder Wittichs Tragikomödie Becks letzter Sommer (2015) ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Benedict Wells aus dem Jahre 2008. Seine Hauptdarsteller Christian Ulmen und Nahuel Pérez Biscayart sind dem deutschen Publikum nicht unbekannt. Ulmen hatte seinen Durchbruch als Schauspieler mit der Hauptrolle in der Tragikomödie Herr Lehmann (2003), die sehr ähnlich zur Figur Robert Beck angelegt ist. Ulmen verleiht der Rolle des Lehrers in der Midlife-Crisis viel Charme und schafft es, dass man Beck trotz seiner wenig gewinnenden Charakterzüge wünscht, dass er seine Träume doch noch irgendwie Wirklichkeit werden lassen kann. Biscayart, eigentlich argentinischer Schauspieler und eher in französisch- und spanischsprachigen Filmen zu finden, hatte dieses Jahr einen Auftritt in Maria Schraders Vor der Morgenröte, der wie Becks letzter Sommer auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen gezeigt wurde. Musikalisch wirkungsvoll untermalt wird der Film von Bonaparte, dem Schweizer Songwriter Tobias Jundt. Die punkige Musik verleiht vor allem dem ersten Teil des Films Authentizität und reißt den/die ZuschauerIn mit. Nicht nur die Gesangseinlagen Raulis sind von Bonaparte, auch einzelne Szenen werden immer wieder mit seiner Musik unterlegt, sodass der/die ZuschauerIn im Laufe des Films immer mehr in die Musik hineingezogen wird und mitgroovt. Der Musikauswahl ist es zu verdanken, dass man Rauli und auch Beck den Musiker abnimmt und auch ihr Potenzial zum Rockstar. Wittich inszeniert den Film der literarischen Vorlage entsprechend zweiteilig: optisch und musikalisch passend werden die Teile als A- und B-Seite angekündigt.
Die A-Seite beginnt, als Rauli Beck aus seinem Alltagstrott reißt. Die Zusammenarbeit zwischen Schüler und Lehrer, die aufkeimende Freundschaft der beiden und die Rückkehr zur Musik ziehen Beck aus seiner Midlife-Crisis. Mit Rauli hat Beck wieder einen Fixpunkt im Leben, ein Ziel, auf das er zusteuern kann: Beck will dem Jungen zu einem Plattenvertrag verhelfen und ihm das verschaffen, was er selbst Jahre zuvor verloren hat: die Chance auf eine große Musikkarriere. Zusammen mit Rauli trifft Beck auch seine spätere Freundin Lara (Friederike Becht), die unbeschwert, voller Energie und Lebensfreude ist – genau das, was Beck braucht. Sie lernt Beck genau zu dem Zeitpunkt kennen, als dieser gerade aus seiner Lethargie gerissen wird und beginnt, das Leben wieder lebenswert zu finden.
So depressiv wie Beck am Anfang des Films ist, so stark fällt auch das Hoch aus, auf dem er sich dank der Arbeit mit Rauli befindet. Der Versuch, über jemand anderen seine eigenen Träume zu verwirklichen, ist jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Berauscht von seinem neu entdeckten Enthusiasmus sieht Beck seinen großen Traum in Reichweite. Er lässt sich von seiner Begeisterung fortreißen und verliert zum Teil den Bezug zur Realität. Er sieht Rauli schon auf den großen Bühnen und sich selbst als seinen Tutor, der mit ihm zusammen den lang ersehnten Erfolg feiert.
Doch ganz im Sinne einer Tragikomödie kommt es anders: Der ersehnte Plattendeal lässt zwar nicht lange auf sich warten, aber ausgerechnet Becks alter Produzent, der ihn vor Jahren aus seiner eigenen Band vertrieben hat, will nur Rauli, nicht dessen Songschreiber und Manager. Beck versucht alles, um nicht verdrängt zu werden und so folgt auf das Hoch auch ganz schnell das Tief. Je mehr sich Beck engagiert, desto mehr verliert er aus den Augen, um wen es eigentlich geht.
Einen harten Bruch erlebt der Film durch einen unerwarteten Roadtrip, der sich als Drogenschmuggel entpuppt. Was sich absurd und deplatziert anhört, ist auch so. Bukarest, Budapest, Istanbul – diese Städte werden als Reisestationen von Wittich zwar schön in Szene gesetzt und von Kameramann Christian Rein in stimmungsvollen Bildern eingefangen, jedoch erschließt sich dem/der ZuschauerIn dieser Sprung der Handlung nicht. So können sich die Protagonisten zwar über die schöne Aussicht freuen, den/die ZuschauerIn lassen diese Kulissen nur fragend zurück. Die B-Seite bringt zwar Abwechslung, aber keinen wirklichen Schwung in die Handlung, erzählt sie doch eine von der Haupthandlung losgelöste Geschichte, die auch von der Stimmung her nicht so recht an die erste Hälfte anschließt. Wo in der ersten Hälfte noch die Musik als Strukturelement dient und den/die ZuschauerIn zu fesseln mag, da tritt sie im zweiten Teil in den Hintergrund. Mit konstruierten Wendungen überfrachtet, verliert sich der Film gegen Ende und hat nichts mehr mit der charmanten A-Seite des Films zu tun; der Roadtrip ist letztendlich nur Mittel zum Zweck und dient der erwartbaren Versöhnung aller. Die B-Seite enttäuscht: Wie schon bei Vinylplatten kann sie nicht mit der A-Seite mithalten. Der Fokus der Geschichte wird in der B-Seite zu sehr auf die äußeren Erlebnisse der Charaktere verschoben, statt weiterhin auf ihrem zuvor gut ausgestalteten Innenleben zu liegen, sodass die Stärken des ersten Teils vollkommen in den Hintergrund treten. Auch wenn sich der Plot der A-Seite sehr viel Zeit lässt, so ist er dennoch der authentischere und lustigere Teil des Films.
Becks letzter Sommer handelt von Träumen, Freundschaft und natürlich von Musik. Beck muss ein Auf und Ab der Gefühle überstehen, bis er erkennt, dass das eigene Glück nicht von anderen abhängt und dass es nie zu spät ist, die eigenen Träume zu verwirklichen. Trotz des etwas schwächeren zweiten Teils ist der Film durchaus sehenswert und vor allem Christian Ulmens pointiertes und facettenreiches Spiel sorgt dafür, dass man den trotteligen Beck trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Fehler ins Herz schließt.
Becks letzter Sommer
Deutschland 2015
Regie: Frieder Wittich
Darsteller: Christian Ulmen, Nahuel Pérez Biscayart, Friederike Becht
Länge: 98 Minuten
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen