Feuilletonistische Reiseberichte aus dem 19. Jahrhundert

Klaus Gruhn stellt gesammelte „Reisebeschreibungen“ von Elise von Hohenhausen vor

Von Sandra VlastaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Vlasta

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Elise von Hohenhausen (1789–1857) ist eine der vielen Autorinnen des 19. Jahrhunderts, die aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwunden sind. Dabei war die vielseitige Künstlerin zu ihrer Zeit als Lyrikerin, Zeitschriftenmitbegründerin (des Mindener Sonntagsblatts), Feuilletonistin, salonnière, vor allem aber als Kritikerin und Übersetzerin englischer Literatur nicht nur äußerst aktiv, sondern auch bekannt. In ihrem Berliner Salon waren unter anderem Adelbert von Chamisso, Joseph von Eichendorff, Friedrich de la Motte Fouqué, Bettina von Arnim, Rahel Varnhagen sowie der junge Heinrich Heine zu Gast. Durch ihre Übersetzungen von Lord Byron, Edward Young, Alfred Lord Tennyson, Sir Walter Scott und Edgar Allen Poe war sie eine der wichtigsten Mittlerfiguren für englischsprachige Literatur. Zudem trat sie als Autorin von Poesie und Reiseberichten in Erscheinung, einem Genre, das ab 1800 zunehmende Beliebtheit genoss. In der Tat gehören Elise von Hohenhausens Reisebeschreibungen zu den vielen wiederzuentdeckenden Texten dieser Gattung.

In der Reihe Texte der Literaturkommission für Westfalen hat nun Klaus Gruhn eine Sammlung von Elise von Hohenhausens Reisetexten vorgelegt. Nach seinem 2019 erschienenen Lesebuch Elise von Hohenausen ist dies bereits der zweite Band, mit dem die Autorin und ihre Texte wieder zugänglich gemacht werden (einige print on demand Ausgaben ihrer Übersetzungen sind ebenfalls erhältlich). Das Buch versammelt eine Auswahl aus Reisetexten, die zwischen 1819 und 1849 entstanden sind, Beschreibungen Mindens – für viele Jahre Wohnort des Ehepaars von Hohenhausen – und einer Reise zum Rhein sowie an die Nord- und Ostsee, Briefe aus Berlin, wohin das Paar 1920 für einige Jahre übersiedelt, sowie Eindrücke einer Reise über den Rhein von Köln bis in die Schweiz und dort in die Berge. Ergänzt werden die Texte in dieser Ausgabe durch Abbildungen, die allerdings meist aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammen, sowie durch ein von Klaus Gruhn verfasstes Nachwort, in dem Leben und Werk der Autorin nachgezeichnet und die Berichte kontextualisiert werden. Unklar bleibt darin leider, nach welchen Kriterien die Auswahl für den Band getroffen wurde: die Reisebeschreibungen sind großteils Ausschnitte aus längeren Texten.

Die Berichte selbst können als zeit- und gattungstypisch gelten: Sie zeichnen sich durch große thematische Vielfalt aus, die Beobachtungen von Menschen und Landschaft, Fakten zu den besuchten Orten, Gespräche, Begegnungen mit Einheimischen und anderen Reisenden, Verweise auf politische Gegebenheiten, Berichte von kulturellen Veranstaltungen und vieles mehr einschließen. Von Hohenhausen wählt oft die fiktive Briefform – ein weiteres genretypisches Element – für ihre Reiseberichte. Wie Gruhn im Nachwort festhält, schafft das Du, mit dem die Leserinnen und Leser meist angesprochen werden, eine intime Atmosphäre, die den Berichten ein hohes Maß an Authentizität verleiht und die Neugier der Leserschaft weckt. Dass das Gegenüber zudem manchmal weiblich gedacht ist („Gewiß zürnen sie mir, liebe Frau…“), lässt darauf schließen, dass von Hohenhausen gezielt Leserinnen ansprechen möchte. Das ist durchaus ein innovativer Aspekt, sind doch deutschsprachige Reiseberichte von Frauen zu jener Zeit noch rar, nicht zuletzt da Frauen weniger reisten als Männer, wohl weil sich die „Reisebegierde […] nach den Begriffen der meisten Menschen, für eine Frau nicht ziemt”, wie Ida Pfeiffer (1797–1858) noch 1846 in ihrem Reisebericht über Skandinavien festhielt. Im englischsprachigen Raum gab es diese kulturellen Vorbehalte nicht und so begaben sich dort wesentlich mehr Frauen auf Reisen und verfassten Reiseberichte über ihre Erfahrungen, als Beispiele seien Lady Sidney Morgan, Hester Lynch Piozzi, Mary Wollstonecraft, ihre Tochter Mary Shelley oder Frances Trollope genannt. Wie auch Klaus Gruhn festhält, ergänzt von Hohenausens Bericht damit als frühes und bislang kaum bekanntes Beispiel die Reiseliteratur von deutschsprachigen Autorinnen.

Egal ob Elise von Hohenhausen über Minden, Berlin oder eine Überfahrt auf der Ostsee erzählt – immer wieder wird ihr Interesse an Kunst und Kultur sowie ihre Belesenheit deutlich. Sie zitiert unter anderem Lord Byron, Jean Paul, Benjamin Franklin, schreibt über ihre Begegnung mit Wilhelm Tischbein und evoziert dabei auch Goethe und seine Italienische Reise. Daneben berichtet sie von Opern- und Theaterbesuchen, schreibt über Kunstsammlungen und Museen, die sie auf ihren Reisen besucht. Vor allem aber erwähnt sie zahlreiche Künstlerinnen, die ihr sowie den zeitgenössischen Leserinnen und Lesern offensichtlich vertraut waren: Schauspielerinnen und Sängerinnen, aber auch Schriftstellerinnen. Das Wiederlesen von Texten wie Elise von Honhenhausens Reisebriefen kann uns damit ermöglichen, einen frischen Blick auf die Kulturgeschichte zu werfen und unseren Kanon zu erweitern.

Titelbild

Elise von Hohenhausen / Klaus Gruhn: Reisebeschreibungen.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2020.
109 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783849817053

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