Auf der Suche nach sich selbst

Bestsellerautor und Man Booker Prize-Gewinner Yann Martel liefert mit seinem vierten Roman „Die hohen Berge Portugals“ ein streckenweise langatmiges, aber dennoch eindrucksvolles Werk über die großen Fragen des Lebens

Von Alexander MoorRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Moor

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die hohen Berge Portugals, die es so eigentlich nicht gibt – sie sind ein Konstrukt, ein magischer Ort – diesen Schauplatz wählt Yann Martel, studierter Philosoph, in seinem neuen Roman als Metapher für die inneren Hindernisse und Schwierigkeiten seiner Protagonisten. Zugleich ist Portugal das Land, das der junge Martel als erstes allein bereiste. Ohnehin hat der Sohn eines Diplomaten und gebürtiger Kanadier, in seinem Leben viel von der Welt gesehen. 1963 geboren in Spanien, wuchs er unter anderem in Costa Rica, Frankreich und Mexiko auf. Später lernte er auf Reisen den Iran, die Türkei und schließlich Indien kennen, das Land, das ihn zu seinem 2001 erschienenen Welterfolg Schiffbruch mit Tiger inspirierte. Nun also Portugal, ein Land, über das Martel schon längst schreiben wollte. Bereits vor seiner ersten Veröffentlichung Aller Irrsinn dieses Seins 1994, einer Kurzgeschichtensammlung, entstand die Idee, das Land auf der iberischen Halbinsel als Setting für einen Roman zu verwenden.

Heimatlos, das erste der drei Kapitel, beginnt 1906 in Lissabon und begleitet Tomás, einen jungen Museumskuratoren auf der Suche nach einem Kruzifix, einem Schatz, wie er vermutet, auf seiner Reise in einem der ersten Automobile des Landes durch die hohen Berge Portugals. Der zweite Teil, Heimwärts, spielt 32 Jahre später in Bragança. In der Silvesternacht des Jahres 1938 wird der alternde Pathologe Dr. Eusebio Lozora von einer Witwe aus den hohen Bergen Portugals aufgesucht, um den Leichnam ihres verstorbenen Ehemanns zu obduzieren. Das Schlusskapitel trägt den Titel Heimat und führt den kanadischen Senator Peter Tovy mit seinem Schimpansen Odo in die hohen Berge Portugals und zum Geburtsort seiner Vorfahren, um den Tod seiner Frau zu verarbeiten.

Daraus entsteht ein Roman aus drei Kapiteln, die für sich genommen eigenständige Erzählungen darstellen, aber im Zusammenspiel ein tiefgreifendes und aufwühlendes Werk bilden. Auch ironisierende und humoristische Passagen vermögen es nicht, die bittere Stimmung, die über allem liegt, zu brechen. Denn es ist der Verlust geliebter Menschen und die Suche nach Gott, gar nach sich selbst, die Martel zu seinen Themen macht.

Streckenweise kommen die langen Beschreibungen und Dialoge, etwa über das Automobil im ersten Kapitel oder das Gespräch Eusebios mit seiner Frau im zweiten Kapitel, sehr langatmig und ermüdend daher. Dennoch ist es Martel zu verzeihen, da seine bildhafte Sprache, seine treffenden Vergleiche und die philosophischen Ausführungen, die Anflüge von Langeweile im Keim ersticken und den Leser zwingen, sich mit den großen Fragen des Lebens zu beschäftigen. Durch den personalen Erzähler bewegt man sich beim Lesen nahe an der Gefühlswelt von Tomás, Eusebio und Peter. Trotz der Verschiedenartigkeit der drei Protagonisten, die dem jeweiligen Geist ihrer Zeit entsprechen und in ihrem Denken und Handeln unterschiedlicher nicht sein könnten, gelingt es Martel, die drei Teile geschickt zu verknüpfen, denn durch den Tod ihrer Frau teilen diese Männer ein ähnliches Schicksal. Auch darüber hinaus findet man beim Lesen immer wieder Berührungspunkte zwischen den einzelnen Erzählungen, die zuerst skurril erscheinen, die Geschichten jedoch kaum besser zusammenführen könnten. Allgegenwärtig ist die Frage nach dem Glauben. Während sich Heimatlos mit dem Atheismus auseinandersetzt, behandeln Heimwärts und Heimat den Agnostizismus und den Theismus.

Die hohen Berge Portugals ist kein einfacher Roman. Er benötigt Zuwendung. Es ist kein Buch für zwischendurch, dafür sind die erzeugten Bilder zu groß, die Auseinandersetzung mit der Liebe, dem Tod und der Religion zu komplex. Auch die humoristischen Passagen vermögen es nur kurz für Entlastung zu sorgen. Genau diese Eigenschaften zeichnen Martel aus und machen seine Romane so interessant und lesenswert.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2016 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2016 erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Yann Martel: Die hohen Berge Portugals. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Manfred Allié.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2016.
416 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783100022752

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