Wer ist Minnie Panis?

Niña Weijers komplexes Debüt über den Kunstbetrieb „Die Konsequenzen“

Von Jasmin M. HlatkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jasmin M. Hlatky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Minnie Panis führt den Kunstbetrieb vor. Die skurrile Kunst- und Modeszene aber hat anscheinend nur auf sie gewartet und macht sie zur gefeierten Künstlerin, weil unklar bleibt, wer sie eigentlich ist. „Existiert Minnie Panis?“

Dieser programmatische Titel des künstlerischen Debüts der Protagonistin umschreibt am besten, vor welche Anforderung Niña Weijers ihre Leser hier stellt. Die Protagonistin ist eine Künstlerin, die irgendwo zwischen Performance und Konzeptkunst nach ihrer Identität und dem wahren Wesen der Kunst sucht; gerne auf Kosten von Leib und Seele, wenn sie der Ansicht ist, dass dies der Suche dient. Sprachgewaltig wird hier von einer Künstlerpersönlichkeit erzählt, die hochkomplex und sensibel ist, zugleich aber nicht richtig greifbar wird. Fast immer tritt sie hinter ihrer Kunst zurück, geht in ihr auf und versteckt sich so. Fragil und nervös tastet sich Minnie Panis durch ihr Leben und ebenso vorsichtig und sprunghaft ist die Sprache der Erzählerin. Da die Protagonistin nicht so ganz mit sich im Einklang zu sein scheint, erhalten LeserInnen auch nur begrenzten Zugang zu ihr. Ebenso wie Minnie hinter ihrer Kunst verschwindet, tut sie es auch in der Erzählung – sie bleibt wenig greifbar. „Uneinigkeit“ macht sie aus, was sich auf Struktur, Erzählweise, Sprache und Duktus des Romans niederschlägt. Die fehlende Linearität etwa verwirrt, fasziniert aber zugleich. Es ist ein beunruhigendes Buch – von Exkursen zerrissen und mit einer schwer fassbaren Erzähllinie, deren Stränge erst im letzten Drittel des Romans langsam zusammengeführt werden; ist das nun arg konstruiert oder gerade meisterhaft? Auch das bleibt unklar.

Minnie stellt ein Extrem des Kunstbetriebs dar, aber sie persifliert ihn auch. Indem Minnie ihre Orientierungslosigkeit gnadenlos vermarkten kann, wird sie zum nützlichen und wichtigen Teil der Kulturwirtschaft – und entlarvt einen merkantilen Kunstbetrieb, berstend vor versatzstückartigem Kreativjargon und überdrehten Persönlichkeiten.

Der Roman stellt große Kernfragen: Wo liegen die Grenzen von Kunst und Leben? Wo inszeniert man sich, und wie und mit welchem Ziel? Was erfüllt Kunst, was kann und soll sie erfüllen in unserer Gegenwart? Kann sie überhaupt einen gesellschaftlichen Wert haben oder soll sie sich wie in diesem Roman ausschließlich um sich selbst und ihre Akteure drehen? Ist sie ein Selbstzweck oder Selbstzwang? In Weijers Roman nimmt die Kunstwelt das Zeitgeschehen nicht mehr wahr, und sie möchte das auch gar nicht.  Zwischen den Jahren 1984 und 2012, in denen die Romanhandlung spielt, hat sich eine ganze Welt verändert. Nicht so im Roman. Dort markieren nur einzelne KünstlerInnen das Vergehen der Zeit.

Am Ende beobachten wir Minnie bei dem Versuch, sich aufzulösen – letzte logische Konsequenz aus einer Kette von Kompromisslosigkeiten im Namen der Kunst.

Titelbild

Niña Weijers: Die Konsequenzen. Roman.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.
361 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783518425589

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