Die Farbenpracht der Monochromie

Petina Gappah erzählt altmodisch eine zeitlose Geschichte inmitten der Moderne

Von Stefan CernohubyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Cernohuby

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viele Geschichten haben unterschiedliche Ursprünge. Unter ihnen sind jene Erzählungen die kompliziertesten, die sich mit dem Wandel der eigenen Identität beschäftigen. Gerade wenn man „anders“ ist als die anderen und darüber hinaus noch in einem Land lebt, das sich selbst im Umbruch befindet, steigt die Anzahl der möglichen Komplikationen erheblich an. Petina Gappah hat für solch eine Geschichte ein sehr ungewöhnliches Szenario gewählt.

Memory bedeutet Erinnerung. Doch Memory, oder Mnemosyne – was dasselbe bedeutet – ist auch die Protagonistin des Romans. Diese stammt aus einem Vorort von Simbabwes Hauptstadt Harare und wäre grundsätzlich eine Schwarze. Grundsätzlich deshalb, weil Memory ein Albino ist und sich seit Jahren als verurteilte Mörderin im Gefängnis befindet. Hier hat sie nun die Möglichkeit, ihre Geschichte für eine ausländische Journalistin niederzuschreiben und versucht dabei einen roten Faden beizubehalten. Doch das gelingt ihr nur schwer. Mit neun Jahren wird sie von ihren Eltern an einen weißen Mann namens Lloyd verkauft, bei dem sie aufwächst und der ihr eine gute Schuldbildung, ein Studium und Auslandsreisen finanziert. Doch der Alltag im Gefängnis, in dem alle Insassen schikaniert, teilweise misshandelt und gedemütigt werden, ist genauso präsent wie ihre Vergangenheit, in der sie zwei Geschwister verloren hat, bevor sie von ihren Eltern an Lloyd übergeben wurde, den sie ermordet haben soll. Doch auch das Land selbst, das sich in ständigem Umbruch befindet und das man von seiner eigenen Vergangenheit als Rhodesien loszulösen versucht, gleicht einem Charakter. Vor allem da man anhand der anderen Figuren erkennt, wenn sich wieder ein Wandel anbahnt.

Autorin Petina Gappah hat sich durch ein seltsames Detail zu diesem Roman inspirieren lassen. Laut eigenen Worten hatte sie gelesen, dass in ganz Simbabwe nur eine Person in einer Todeszelle saß. Unabhängig davon hat sie ihrer Protagonistin Vergangenheit, Eigenschaften und Geschichte verliehen, die diese außergewöhnlich machen. Die Handlung, die sich mit allen Handlungssträngen langsam voranarbeitet, ist alles andere als geradlinig. Auf die Schilderung der Gegenwart der Protagonistin folgt ein Auszug aus der Kindheit, dann aus der Jugendzeit und dann wieder aus dem frühen Erwachsenenalter. Doch trotz der dunklen Farben des Nachfalters zeigt der Roman ein sehr farbenfrohes Bild der Welt, in der er spielt. Eine Welt, die ständigen Veränderungen unterworfen ist. Man könnte zunächst meinen, die Erzählung sei in einem früheren Jahrhundert angesiedelt, man merkt dann aber durch die sich häufenden modernden Begriffe, dass man sich in der Gegenwart befindet. Bemerkenswert sind auch die Referenzen aus Literatur und Popkultur, die durch die Autorin über die Protagonistin geschickt einestreut werden, um deren Bildung zu illustrieren – was einen starken Kontrast zu den wenig gebildeten Nebencharakteren bildet. Das Buch schwankt also zwischen Gefängnisreport, historischer Aufarbeitung und der Studie der sehr komplexen Charakterentwicklung einer ungewöhnlichen Person.

Überraschenderweise ist diese Mischung hervorragend gelungen. Die Farben des Nachtfalters beleuchtet eine Situation, ein Land und eine sich wandelnde Gesellschaft aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven und mit wechselndem Fokus. Das macht das Werk der gebürtigen Rhodesierin Petina Gappah zu einem Geheimtipp, den man interessierten und experimentierfreudigen Lesern nur ans Herz legen kann.

Titelbild

Petina Gappah: Die Farben des Nachtfalters.
Übersetzt aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky.
Arche Verlag, Hamburg 2016.
347 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783716027509

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