Trauer und Glück

Zum Abschluss seiner Büro-Serie lässt J.J. Voskuil in „Der Tod des Maarten Koning“ diesen endgültig Abschied nehmen

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach all den Leinenumschlägen von gelb bis grün hat der Abschlussband der Büro-Reihe von J.J. Voskuil die Farbe schwarz erhalten: schwarz wie die Trauer und schwarz wie Der Tod des Maarten Koning. Wir befinden uns im Jahr 1989. Maarten Koning wird zu Grabe getragen, über ihm schlägt der Sargdeckel zu – worauf er, „überschwemmt von einem Gefühl uferloser Traurigkeit“, aus seinem Traum erwacht. Das nun ist also das Ende.

Maarten Koning darf natürlich nicht sterben. Auch wenn er es selbst noch nicht ahnt, müssen die sieben Bände von Das Büro erst geschrieben werden. Bereits im vorletzten Band Abgang ist ihm am letztem Arbeitstag prophezeit worden: „Dann hast du dich von uns gelöst. Und dann fängst du ein neues Leben an, mit der ersten Seite eines Romans, der ‚Das Büro‘ heißen wird.“

Genau so wird es geschehen sein. Nach seinem Abschied vom Büro im Sommer 1987 durchlebte Maarten Koning eine Übergangsphase zwischen Glück und Trauer, in der das großartige Romanprojekt gedanklich reifte und er die Metamorphose vom Beamten zum Autor vollzog. Schließlich hat er sich unter dem Namen J.J. Voskuil an die Schreibmaschine gesetzt und mit Band 1 begonnen. Ein Hinweis an dessen Ende besagt, dass dieser vom 7. September 1990 bis 20. Juli 1991 entstanden sei.

Ganz so düster schwarz wie es der Einband des letzten Bandes suggeriert, sieht es Maarten Koning also nicht. Den Frührentner bedrückt zwar die zunehmend feindselige Stimmung, die ihm bei den seltener werdenden Besuchen im Büro entgegenschlägt. Andererseits kann er sich immer wieder auch eingestehen, dass er glücklich ist, etwa darüber, in Amsterdam zu leben und nicht mehr arbeiten zu müssen. Er spaziert quer durch die Stadt oder er durchmisst deren Umland in weiten Bögen mit dem Rad, alleine oder zusammen mit Nicolien, seiner Frau. Dabei lässt es sich J.J, Voskuil nicht nehmen, diese oft ausgedehnten Touren aufs Akribischste zu beschreiben, mit allen Abzweigungen und Zwischenhalten, und nicht ohne seinen Helden hin und wieder das Glück des reinen Beobachters erfahren zu lassen. Als Maarten einmal im Regen unterwegs ist, hält ein Auto neben ihm, um ihn mitzunehmen. Er lehnt ab, worauf der Fahrer fragt: „Sie sind also ein glücklicher Mann?“ Maarten schmunzelt: „Ja, ich bin ein glücklicher Mann.“

Der Zwang zur pingeligen Exaktheit ist gewissermaßen eine Charaktertugend, die er mit seinem auktorialen Alter Ego Voskuil teilt. Beide können davon nicht lassen. „Es lief wie immer darauf hinaus, dass er nur mit einiger Genauigkeit beschreiben konnte, was geschehen war“, heißt es einmal über ihn. Entsprechend detailliert wären wohl auch die Tagebücher zu lesen, die Maarten während der Jahre geschrieben hat. Er hält sie jedoch vor anderen verborgen und deutet, darauf angesprochen, nur an, dass in ihnen unbedeutende Kleinigkeiten stehen würden. Ohne detaillierte Aufzeichnungen, wie sie wohl auch J.J. Voskuil gemacht hat, ist die ganze Büro-Serie jedoch undenkbar.

Als Maarten gegen Ende nochmals in den Keller des Instituts hinabsteigt, um eines dieser hier gebunkerten Tagebücher zu suchen, begegnet er ein letztes Mal dem alten Kollegen und Widersacher Bart Asjes. Während in den Büros oben die Computer Einzug gehalten haben, tippt Bart unten im Keller in seine alte Schreibmaschine und erweist sich nicht nur dem Namen nach als ehrwürdiger Nachfahre von Bartleby dem Schreiber, dessen „Ich möchte lieber nicht“ perfekt auch zu seinem Naturell passt. Barts Widerborstigkeit rührt Maarten im Nachhinein. Ihnen beiden ist gemeinsam, dass sie aus dem System der digitalen Produktivität herauskatapultiert worden sind.

J.J. Voskuils siebenbändiger Zyklus Das Büro fügt sich auf grandiose Weise in den literarischen Kanon über diese Kernzelle der modernen Arbeitswelt ein. Er bildet einen Gegenpol zur Prosa von Robert Walser, der anfangs des 20. Jahrhunderts eine erstaunliche Aufmerksamkeit für die Bürowelt demonstrierte. In der Erzählung Ein Vormittag lässt Walser einen gewissen Helbling sagen, „er habe guten Willen gehabt, zu arbeiten, aber wenn er keine rechten Federn mehr habe, so sei es schwer, vorwärts zu kommen.“ Das ist nicht nur präzise beobachtet, sondern auch doppeldeutig zu lesen. Ein grimmiger Witz also verbindet J.J. Voskuil und Robert Walser miteinander.

Bereits früher hatte sich Herman Melville in Bartleby der Schreiber des Themas angenommen. In neuerer Zeit ist Walter E. Richartz mit seinem Büroroman gefolgt, und erst jüngst David Foster Wallace mit Pale King, oder Jonas Karlsson mit Das Zimmer. Nicht zu vergessen auch die TV-Serie Mad Men. Die Liste ist unvollständig, dennoch bleibt sie über die letzten hundert Jahre hinweg gesehen erstaunlich kurz. Die scheinbar körperlose und auf Papier gebettete Büroarbeit scheint die Literatur bisher nicht so recht inspiriert zu haben.

Umso erfreulicher ist es, dass sich der Übersetzer Gerd Busse mit leidenschaftlichem Eifer für Voskuils Werk einsetzte und ihm eine Sprache lieh, die Opium auch für die deutschsprachigen Leser ist. Und der Verbrecher Verlag hat sich mutig auf das editorische Wagnis eingelassen. Sieben schön aufgemachte Bände leuchten nun in bunter Reihe im Regal.

Der Romanzyklus Das Büro verknüpft mustergültig Form mit Inhalt; er vollzieht sprachlich jenen geduldigen Arbeitsprozess nach, wie ihn sich Maarten Koning immer gewünscht hat. Die Dinge ebenso wie die allzu menschlichen Charaktere müssen sich akkurat und behutsam entwickeln können. Dass die sieben Bände dieses Versprechen einlösen, macht J.J. Voskuils Opus magnum zur phänomenalen Weltdichtung.

Nachtrag: Maarten Koning plagen finstere Ahnungen über die Zukunft seines Instituts. Dass sich diese nicht erfüllt haben, beweist das Meertens-Institut, das Vorbild für Das Büro. Im November 2017 verfolgt es ein Projekt, das Maarten keinesfalls gefallen würde. In einer Kooperation mit der Aktion „Nederland Leest“ hat es Isaak Asimovs Erzählung Ich, der Roboter neu herausgegeben – um ein neues Kapitel erweitert, das der Autor Ronald Giphart im Zusammenspiel mit einem Roboter verfasst hat. Der Roboter der Maschine ist der Mensch heißt es in gewitzter Umkehrung. Trotz dieser Frische verliert J.J. Voskuils prinzipientreue Prosa nichts von ihrer Faszination.

Titelbild

J. J. Voskuil: Das Büro. Der Tod des Maarten Koning.
Band 7.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Gerd Busse.
Verbrecher Verlag, Berlin 2017.
256 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783957320124

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