Der Gefangene 5995

Mit „Der chinesische Verrräter“ ist Adam Brookes ein authentischer Spionageroman aus unseren Tagen gelungen

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fast zwei Jahrzehnte hat der Wissenschaftler Li Huasheng in einem westchinesischen Straflager verbracht, nachdem er in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989, als das chinesische Militär begann, die von den osteuropäischen Reformbestrebungen inspirierte und zu einem Großteil von Studenten getragene Protestbewegung in Peking gewaltsam niederzuschlagen, einen Soldaten angegriffen und schwer verletzt hatte. Der „versuchte Mord“ verschafft dem Mann, den man im Lager den Spitznamen „Peanut“ gibt, den Respekt bei Mitgefangenen und Wärtern, ohne den er die lange Zeit der Gefangenschaft und die körperlich zermürbende Arbeit, zu der die Gefangenen gezwungen werden, nicht überleben würde.

Der hochbegabte Physiker und Ballistikexperte, einer Familie von Pekinger Intelligenzlern entstammend, hat sich politisiert, als er erleben musste, wie sein Vater, ein bedeutender Geologe, während der Kulturrevolution gedemütigt und in den frühen Tod getrieben wurde. Ihn als wichtigen Informanten für den britischen Geheimdienst zu rekrutieren, war aufgrund dieser einschneidenden Erlebnisse mit dem Totalitarismus maoistischer Prägung nicht schwer. Als der ehemals unter dem Codenamen WINDSOCK Geführte sich zu Beginn von Adam Brookes Roman Der chinesische Verräter entschließt, aus dem Arbeitslager zu fliehen und nach Peking zurückzukehren, weiß er deshalb, an wen er sich um Hilfe wenden muss, um seinem Heimatland für immer den Rücken kehren zu können.

Adam Brookes, in Kanada geboren und als studierter Sinologe lange Zeit für die BBC als Korrespondent in China tätig, weiß, wovon er in seinem Debütroman, dem bis dato zwei weitere Bände um dieselbe Hauptfigur folgten, schreibt. Aus der Idee, seine einschlägigen Erfahrungen in ein Sachbuch zum Thema „Anglo-chinesische Spionage“ einzubringen, wurde allerdings schon bald ein Romanprojekt, in dessen Mittelpunkt er den in Peking tätigen freien Journalisten Philip Mangan stellte, der mehr oder minder zufällig in die Mühlen westlicher Geheimdienste gerät.

Genau jener Philip Mangan nämlich ist es, an den sich der flüchtige Li Huasheng, nachdem er unter ständiger Lebensgefahr die chinesische Hauptstadt erreicht hat und in einem als „Schönheitssalon“ firmierenden Bordell für Wanderarbeiter als Hilfskraft untergeschlüpft ist, wendet. Der Journalist soll dem sich als „alter Freund der Zeitung“ vorstellenden Mann helfen, seine Kontakte zum MI 6 wiederherzustellen. Als Lockmittel stellt „Peanut“ brisante Informationen über das neueste chinesische Raketenprogramm in Aussicht, die er über Quellen zu besorgen verspricht, die nur er anzapfen kann.

Was dann beginnt, ist ein immer gefährlicher werdendes Spiel, das Mangan zunächst fasziniert, weil es ihm völlig neue Seiten der Welt zeigt, in der er lebt, in dem aber sowohl er als auch der chinesische Verräter Li Huasheng letztlich nicht zu den Gewinnern gehören. Denn man schreibt nicht mehr das Jahr 1984, in dem es einem britischen Ehepaar gelang, den prominenten chinesischen Astrophysiker anzuheuern und ihn zur Zentralgestalt eines effektiven Spionagenetzes zu machen. Im neuen Jahrtausend wird auch bei den Geheimdiensten die Drecksarbeit von effektiv und skrupellos arbeitenden privaten Anbietern erledigt. Ein globales Überwachungssystem sorgt dafür, dass nichts und niemand mehr wirklich unentdeckt bleibt.

Nur eines hat sich nicht verändert: die menschliche Gier. Auch die derjenigen in den Führungsetagen der Geheimdienste, die es eigentlich besser wissen müssten, nach einem Anfangserfolg mit dem wieder aufgetauchten Informanten Li Huasheng aber trotzdem mehr aus dieser scheinbar so ergiebigen Quelle herauspressen wollen. Deshalb geht der Plan, ein im „staubigen Bernstein der Bürokratie“ erstarrtes Spionagenetzwerk wiederbeleben zu wollen, in den sowohl die junge englische Geheimdienstmitarbeiterin Trish Patterson und zahlreiche, sich gegenseitig die Butter auf dem Brot nicht gönnende ihrer Londoner Vorgesetzten, ein spionierender Pekinger Botschaftsangestellter, der zum Ansprechpartner für Philip Mangan wird, sowie ein amerikanischer Nachrichtendienstler und China-Analytiker im Washingtoner Außenministerium involviert sind, letztlich nicht auf. Und weil man auch auf der Gegenseite nicht faul ist und seine eigenen Spione bei Briten und Amerikanern eingeschleust hat – nur allzu bald befindet sich der chinesische Staatssicherheitsdienst MSS auf der Spur des abtrünnigen Wissenschaftlers und seiner Hintermänner – läuft die ganze Aktion langsam aber sicher auf eine Katastrophe zu.

Der chinesische Verräter ist ein Roman, dessen Personal in den Chefetagen der Spionagedienste ein wenig an die in den späten Romanen von John le Carré agierenden Geheimdienstchargen erinnert. Mit James-Bond-Romantik hat das, worin sich Philip Mangan mehr und mehr verstrickt, beileibe nichts zu tun. Umso mehr dafür mit unserer Welt globaler Vernetzung und der mit der wachsenden Informationsflut immer größer werdenden Schwierigkeit, die Spreu noch vom Weizen trennen zu können. Einer Welt auch, in der es nach wie vor die Kleinen sind, die am Ende schließlich die Zeche zu bezahlen haben.

Titelbild

Adam Brookes: Der chinesische Verräter. Thriller.
Herausgegeben von Thomas Wörtche.
Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Heckmann.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
405 Seiten, 15,95 EUR.
ISBN-13: 9783518470053

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