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Laura Mokrohs würdigt die Dichtung der Revolution

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Noch bis Ende Juni 2019 zeigt die Münchner Stadtbibliothek Monacensia die Ausstellung „Dichtung ist Revolution“, und drumherum gibt es ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm. Das Buch Dichtung ist Revolution, das die Ausstellungskuratorin Laura Mokrohs erarbeitet hat, versteht sich als Begleitbuch zu dieser Schau. Es ist aber noch viel mehr. Die im Untertitel versprochenen Bilder, Dokumente und Kommentare wird man noch lang nach Ende der Ausstellung mit Gewinn betrachten, lesen und studieren. Ein schönes Buch! Es geht hier nicht noch einmal um den vielfach dokumentierten Ablauf der Münchner Ereignisse der Jahre 1918 und 1919, jedenfalls nicht in erster Linie. Es geht um die Dichtung – und um die Frage, was Literaten wie Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller dazu bewog, sich in die Politik einzumischen und die Revolution, zumindest in München, entscheidend mitzugestalten. Die zum Teil erheblichen Unterschiede zwischen den oft in einem Atemzug genannten Dichtern treten deutlicher hervor als andernorts. Vier Revolutionäre, sicher – aber eben auch vier ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, die als Literaten nicht über einen Kamm zu scheren sind und auch in vielen praktischen Fragen nicht immer einer Meinung waren.

Wer nach der Einleitung und dem Abschnitt über „München um 1900“, in dem es um das Verhältnis von Bohème und Arbeiterbewegung, um nationalistisch-völkische Strömungen und um den Januarstreik 1918 geht, womöglich befürchtet, in ein germanistisches Fachbuch geraten zu sein, kann beruhigt werden: Die Autorin, die ihr Material nicht nur aus den schier unerschöpflichen Beständen der Monacensia, sondern aus vielen Archiven zusammengetragen hat, unter anderem aus dem Moskauer Maxim-Gorki-Institut für Weltliteratur, schreibt klar und anschaulich.

Wie eng Kurt Eisner als Dichter dem 19. Jahrhundert verbunden war, erfährt man hier – er konnte bereits auf ein „Werk“ zurückblicken und 1918, während seiner Haftzeit, Texte für seine zweibändigen Gesammelten Schriften zusammenstellen. Sein erst 1920 erschienenes, für sein Gesamtwerk zentrales und deshalb genauer analysiertes Theaterstück Die Götterprüfung hatte er schon 1898 begonnen. Eisners zeittypische Lyrik kommt nicht zu kurz, etwa sein Gesang der Völker mit den Schlussversen: „Die Menschheit gesunde / In schaffendem Bunde, / Das neue Reich entsteht. / Oh Welt werde froh! / Welt werde froh!“.

Die vehementen Zweifel, die Gustav Landauer am nachhaltigen Erfolg der Revolution hegte, werden nicht verschwiegen: „So stehen wir vor der größten Wandlung, ohne dass die meisten innerlich bereitet und gewandelt sind“, schrieb er 1918 noch vom schwäbischen Krumbach aus, das mit dem oberfränkischen Kulmbach nicht zu verwechseln ist. Laura Mokrohs weist in ihren Bemerkungen zu seiner Ansprache an die Dichter auch darauf hin, dass Gustav Landauer den Idealen der Französischen Revolution und dem Pathos von Beethovens neunter Symphonie bis zu seinem gewaltsamen Tod eng verbunden blieb.

Was für Differenzen Erich Mühsam nicht nur tagespolitisch, sondern auch als Dichter und Lebensreformer mit Kurt Eisner hatte, arbeitet die Autorin einprägsam heraus. Es ist bekannt, dass für Mühsam, anders als für Eisner, die Revolution erst mit der vollständigen Herrschaft der Räte an ihr Ziel gelangen kann – aber es wird auch klar, dass Mühsams sensationelle Zeitschrift Kain qualitativ höher einzuschätzen ist als Eisners Schriften. Herzzerreißend seine im abschließenden Kapitel "Von der Revolution zur Reaktion" abgedruckte, in der Festung Niederschönenfeld entstandene Seite aus Meiner Zenzl zum Hochzeitstag (1923)!

Der jüngste der vier Literaten, Ernst Toller, „sehnt die Revolution oder den politischen Wandel nicht bereits über Jahre herbei, sondern wird von den Ereignissen erfasst“, betont Laura Mokrohs, die wenig Zweifel daran lässt, dass der Verfasser von Masse Mensch (1921) ein erstrangiger und bis heute lesenswerter deutscher Dichter ist. Das letzte Kapitel, das vor allem den massiven Antisemitismus der gegenrevolutionären Propaganda herausstellt und die mehr als unrühmliche Rolle des immer noch mit einem Schwabinger Straßennamen geehrten Psychiaters Emil Kraepelin im Standgerichtsprozess gegen Toller beleuchtet, ist vielleicht das beste des ganzen Buches. Laura Mokrohs, die sich dort unter anderem mit den Gedichten aus Ernst Tollers Schwalbenbuch (1924) auseinandersetzt, kann auch berührend subjektiv schreiben: „Noch heute leben Schwalben in der JVA Niederschönenfeld, und das Leben und die Geräusche, die sie in die Zellen bringen, machen die Empfindungen Tollers deutlich nachvollziehbar“. Im Rückblick wird die Empörung über die blindwütige und grausame Niederschlagung der Räterepublik Anfang Mai 1919 überlagert von Trauer und Wehmut. Dafür aber sind schon immer die Dichter zuständig.

Informationen über Ausstellung und Begleitprogramm unter www.muenchner-stadtbibliothek.de/monacensia.

Titelbild

Laura Mokrohs: Dichtung ist Revolution. Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam, Ernst Toller. Bilder – Dokumente – Kommentare.
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2018.
128 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783791729770

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