Babel und kein Ende
Andrea Polaschegg und Michael Weichenhan legen eine Textsammlung über die deutsche Babylon-Begeisterung vor
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Besucher des Pergamonmuseums in Berlin mögen vom Glanz des Ischtar-Tores geblendet sein, das in seiner Rekonstruktion wenig von den Mühen erkennen lässt, die es kostete, es aus hunderttausenden Bruchstücken zu errichten. Aber das Tor ist das Resultat einer dauerhaften Beschäftigung der Deutschen mit jener Stadt, die ihrer eigenen Hauptstadt den Beinamen gegeben hat: Babylon.
Für die einen war das babylonische Reich Folie des eigenen Herrschaftsanspruchs, für die anderen Signum eines fatalen Irrwegs. Die Babylon-Faszination der Deutschen reicht weit ins 19. Jahrhundert und ist nicht zuletzt als archäologischer Ausdruck des Anspruchs des Reiches zu sehen, den Rang einzunehmen, der ihm als neue Wirtschaftsmacht eben auch politisch zustand.
Babylon und Berlin gehören bereits im frühen 20. Jahrhundert untrennbar zusammen. Und bis in die Gegenwart reicht die Kontamination Berlins mit jener sagenhaften orientalischen Stadt, die derart grandios gewesen sein soll und die unerhört gründlich untergegangen war. Der Turm zu Babel hat als Zeichen menschlicher Hybris biblische Referenz, verbunden mit dem Sprachenwirrwarr, das auch das neue, moderne Berlin auszeichnete, und dem schlechten Ruf als Sünden-Babel, der in der Publizistik der 1920er Jahre ubiquitär ist. Die „Hure Babylon“ stand moralkonservativen bis nationalsozialistischen Protagonisten, die sich beim Anblick der Vergnügungstempel wohlig zu schütteln schienen, eben auch für das mondäne Berlin.
Karl May und Alfred Döblin schickten ihre Helden nach Babylon, um die Reste der antiken Metropole in Augenschein zu nehmen, während die Architekten der Weimarer Republik sich nicht scheuten, Anleihen bei jenen Bauideen zu nehmen, die seinerzeit zum Untergang des Reiches geführt haben sollten. Otto Kohtz’ Berliner Reichszentralbürohaus aus dem Jahr 1920 erscheint noch in der Entwurfszeichnung grandios und überstiegen, was in Fritz Langs und Thea van Harbous Metropolis seinen Widerhall fand.In der Geschichte, die der Film erzählt, ist es Ausdruck für den notwendigen Untergang des Oberschichtenreiches, das auf den Knochen der Arbeiter seine Prachtbauten errichtet. Die Kontamination der wilden zwanziger Jahre mit Babylon ist bis heute derart stark geblieben, dass die vor kurzem massiv beworbene Sky- und ARD-Serie, die die historischen Krimis Volker Kutschers als TV-Spektakel ausschreibt, den Titel „Babylon Berlin“ trägt.
Andrea Polaschegg und Michael Weichenhan kommen also mit ihrer Textsammlung zum Themenkreis „Berlin-Babylon“, die im vergangenen Jahr bei Wagenbach erschienen ist, gerade zur rechten Zeit. Die Texte, die sie zusammengestellt haben, unterfüttern die Assoziationen, die der Serientitel anheizt, mit einem vielfältigen historischen Material, vom Romanauszug über die freie Nachdichtung des Gilgamesch-Epos und über die Erinnerungen des letzten deutschen Kaisers an seine große Zeit und deren Vorlagen bis hin zu den persönlichen Berichten an die Grabungen vor Ort. Zwar stammen die Texte aus mehr als dreißig Jahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts, beginnend mit Karl May 1898 und endend mit Alfred Döblin 1934, dennoch ergeben sie das konsistente Bild eines kulturellen Musters, das von der Zeit nicht nur beiläufig generiert wurde, sondern ihre Wahrnehmung entschieden geprägt hat.
Dabei geraten die Reminiszenzen an das große Reich und seine Macht, die Wilhelm II. noch bewegt zu haben scheinen, in den Hintergrund. Immerhin war den Zeitgenossen der fulminante Untergang der Stadt bewusst genug. In der Verdammung des Sündenbabels schwingt immer auch der drohende Untergang mit, dem nur mit einer raschen und radikalen Kehrtwende zu begegnen wäre. Aber das hat niemanden davon abgehalten, sich wieder und wieder in die Vergnügungen zu stürzen, die die große Stadt zu bieten hatte.
Die Textsammlung, die Andrea Polaschegg und Michael Weichenhan kundig und hilfreich kommentieren, hilft auch dabei, sich von der wohlfeilen Assoziation zu lösen, mit der sich die moderne Metropole Berlin und ihre antike Vorgängerin Babylon untrennbar verbinden lassen, und sich weiteren Motivationen zuzuwenden, sich etwa mit der untergangenen Stadt, ihrem mythischen Bild und seinen Aktualisierungen zu beschäftigen. Und das fördert Erstaunliches zutage. Jenseits von Hadschi Halef Omar und Kara ben Nemsi. So grandios die beiden auch sein mögen.
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