Weltenwandel

Lutz Berger erklärt die „Entstehung des Islam. Die ersten hundert Jahre. Von Mohammed bis zum Weltreich der Kalifen“ als folgerichtige Konsequenz der im Wandel begriffenen Welt der Spätantike

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Zeiten rechtspopulistischer Stimmungsmache ist ‚der Islam‘ ein beliebtes Feindbild – mit Anschlussfähigkeit an weite Teile dessen, was sich gerne Mitte der Gesellschaft nennt: ‚Der Islam‘ gehört dann wahlweise nicht zu Deutschland oder gar zur ‚abendländischen Kultur‘. Als gelte es, im Zweifel Abwehrschlachten zu schlagen wie einstmals Karl Martell, der 732 vor Tours zum ersten ‚Retter des Abendlands‘ vor den fremden Eindringlingen wurde.

Längst aber gehört der Islam zu uns. Muslime sind Teil der Gesellschaft in Deutschland und in Europa. Trotzdem fehlt es oft an Informationen über ‚den Islam‘. Der Kieler Islamwissenschaftler Lutz Berger konzentriert sich in seinem Buch „Die Entstehung des Islam“ auf „die ersten hundert Jahre“.

In sechs Kapiteln beleuchtet der Autor die historisch-kulturellen Ausgangsbedingungen in der Spätantike, unter denen sich der frühe Islam entwickeln konnte. Mit dem Zerfall des alten römischen Imperiums verlagerte sich seit dem 3. Jahrhundert der Machtschwerpunkt nach Osten. Konstantinopel, das byzantinische Rom, trat das Erbe an, das inzwischen wesentlich geprägt ist vom Aufstieg des Christentums. Im dem Maße aber, wie das Christentum als bestimmende ‚Ideologie‘ die weltliche Macht stabilisierte, stellten die innerchristlichen Lehrstreitigkeiten in dieser Zeit, die der Autor übersichtlich skizziert, eine Bedrohung der die Stabilität dar. Konstantinopel reagierte mit dem Programm der „renovatio imperii“, für das seit dem späten 5. Jahrhundert vor allem der Kaiser Justinian stand. Den Bestrebungen Ostroms stand an seiner Ostgrenze das zweite Großreich der Spätantike, das Reich der Sassaniden, als Konkurrent entgegen. Berger veranschaulicht, wie die dauernde Konkurrenz der beiden Reiche auf Dauer zu einer Auszehrung der militärischen und innergesellschaftlichen Ressourcen führte.

Während dieser „Krisenperiode des 6. und 7. Jahrhunderts“ begann auf der aus Sicht der beiden Großreiche abseitig gelegenen arabischen Halbinsel ein Einigungsprozess. Die traditionell zersplitterten arabischen Stammesgesellschaften formten sich zu einer neuen Einheit, die innerhalb kurzer Zeit zu einem ernsthaften Machtfaktor wurde. Zunächst in Mekka, dann in Medina sammelte „der Prophet“ Mohammed Gefolgsleute im Namen einer neuen Religion um sich. Die bis dahin vorherrschenden polytheistischen Religionen kannten zwar den Gott Allah, dem in Mekka auch eine Kultstätte an Stelle der heutigen Kaaba geweiht war, doch dieser Gott war eher eine Art „Dienstleister“, wie Berger erläutert. Ein Gott, der vor allem Hilfe in diesseitigen Nöten versprach. Das Jenseits oblag keinem Gott, sondern „ad-dahr, die alles vernichtende Zeit, die Vergänglichkeit“. So waren, stellt der Autor bündig fest, „für die Weltsicht der alten Araber“ die aus den Offenbarungen des Propheten sich ergebenden „Versprechen des ewigen Heils, die Erlösungsreligionen ihren Anhängern machen“ kaum anderes als „absurde[r] Unsinn“. Wenn dennoch das im Koran verfasste religiöse Angebot des Propheten zunehmend Anhänger fand, dann lag das nicht zuletzt auch an den schnellen militärischen Erfolgen der „Gläubigen“. Für die arabischen Stämme ‚lohnte‘ sich der Einsatz für die neue Religion.

Doch nach dem Tod Mohammeds kam es 632 zum „Abfall“ (ridda) vieler dieser Stämme. Mit militärischer Macht wurde die Einheit wiederhergestellt – Voraussetzung für den nun beginnenden Eroberungszug der Kalifen. Die „Stellvertreter“ (chalîfa) des Propheten, die sich bald schon als „Stellvertreter Gottes auf Erden“ verstanden, waren vor allem „Befehlshaber der Gläubigen“. Der Titel betonte die militärische Funktion des jeweiligen Führers der Gemeinde. Im Verlauf der nächsten kaum hundert Jahre breitete sich der Islam in Syrien, im Irak undim Iran in Zentralasien, Ägypten im Maghreb und bis nach Al-Andalus (Spanien) aus. Bei ihrem Vormarsch profitieren die Moslems zunächst auch von der Schwäche ihrer Kontrahenten. Ostrom, das Sassanidenreich, aber auch die Westgoten in Spanien hatten den Eroberern militärisch wenig entgegenzusetzen. Zudem gelang es den neuen Herrschern, die jeweilige Verwaltungselite in den eroberten Gebieten auf ihre Seite zu ziehen. Oft behielten diese ihre Funktionen, die neue Obrigkeit erwies sich für sie „als profitabel“.

Berger konzentriert sich in seiner Frühgeschichte des Islam in erster Linie auf die Darstellung der historischen Abläufe. Das erscheint angemessen, denn bevor der Islam eine „Universalreligion“ wurde, war er die „Religion einer Eroberungsgemeinschaft“. Als solche wurde sie von den Zeitgenossen wahrgenommen. Erst die Konstituierung einer stabilen muslimischen Welt machte das religiös-theologische Selbstverständnis bedeutsam. Nun wurde klar, dass der Islam sich neben Christentum und Judentum als Religion behaupten wollte.

Für die Welt um das Jahr 750, so resümiert der Autor, bedeutete die muslimische Eroberung keinesfalls den markanten Wandel, den die spätere Geschichtsschreibung ihr zuschrieb. Denn nicht „die von den Muslimen eroberten Gebiete schieden aus der Welt der komplexen, ‚zivilisierten‘ Gesellschaften aus, sondern die Gegend[M1]  im Nordwesten des Mittelmeers“. Der Westen war „zu einem Entwicklungsland geworden, auf das Muslime wie orientalische Christen für Jahrhunderte – wenn überhaupt – mit Herablassung blickten“.

Titelbild

Lutz Berger: Die Entstehung des Islam. Die ersten hundert Jahre. Von Mohammed bis zum Weltreich der Kalifen.
Verlag C.H.Beck, München 2016.
334 Seiten, 26,95 EUR.
ISBN-13: 9783406696930

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