Ränkespiele und doppelte Böden:

Mahi Binebines Roman „Der Hofnarr“ ist (nicht nur) eine packende Familiengeschichte

Von Jan RheinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Rhein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mahi Binebine ist nicht nur einer der bekanntesten Maler marokkanischer Herkunft, sondern macht, spätestens seit sein jüngster Roman Le fou du roi (Der Hofnarr. Roman aus Marokko) in Frankreich für den vielbeachteten Prix Renaudot nominiert wurde, auch durch sein literarisches Werk auf sich aufmerksam. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, einige auch ins Deutsche. Vielleicht auch, weil seine Werke bei verschiedenen Verlagen erschienen sind und von unterschiedlichen Übersetzer(innen) übertragen wurden, ist er im deutschsprachigen Raum noch wenig bekannt – zu Unrecht, denn Binebine erzählt universelle Geschichten, längst nicht nur für Marokko-Kenner.

In Der Hofnarr berichtet der titelgebende Ich-Erzähler Mohammed im Rückblick von seinem Leben am Hof des marokkanischen Königs – von den Ränkespielen und dem Buhlen um die Gunst des Herrschers, nach dessen Tod erst Mohammed seine Geschichte erzählen kann. Obgleich ein Großteil des Buchs als eine Art Kammerspiel bei Hof angelegt ist, der als eine in sich geschlossene „Welt im Kleinen“ mit eigenen Regeln und Gesetzen gezeichnet wird, enthüllen sich nach und nach auch die familiären Hintergründe Mohammeds und dessen zentraler Konflikt: Das gebrochene Verhältnis zu seinem Sohn Abel, der an einem Staatsstreich auf das Königshaus beteiligt war und in Gefangenschaft sitzt, wogegen der Vater aus Opportunität nichts unternimmt.

Es handelt sich nicht nur um einen politischen Schlüsselroman, sondern, wohl mehr noch, um einen Familienroman: Der Vater Binebines selbst diente jahrzehntelang am Hof des absolutistischen Königs Hassan II., sein älterer Bruder war am Staatstreich beteiligt und war anschließend 20 Jahre in Haft, lange auch in dem berüchtigten Geheimgefängnis Tazmamart. Doch dieser autobiographische Hintergrund, der in der schlichten Widmung „Für Papa“ sowie in dem von Übersetzerin Regina Keil-Sagawe verfassten Nachwort herausgestellt wird, bedeutet nicht, dass man das Buch auch oder nur autobiographisch lesen muss. Die Geschichte des von der Macht abhängigen Vaters und des verlorenen Sohns – Binebine selbst spricht in Interviews von einer „shakespeareschen Konstellation“ – ist literarisch ebenso stark wie das Bild des bald tyrannischen, bald schmeichelnden Königs, der gerade so stark überzeichnet wird, dass sein Verhalten auf dem schmalen Grad zwischen Realismus und Absurdität an bekannte Herrscherfiguren erinnert: Ist das noch Donald Trump oder schon „Ubu Roi“? 

Das Setting des Romans und insbesondere sein Figurenpersonal – der Hofarzt, die Prinzessin, der Seher, der Musiker, der Zwerg – erinnern an orientalische Märchen, ebenso der arabeske Stil. Dies ist sehr wirkungsvoll – vor allem im Kontrast zur geschilderten Grausamkeit bei Hof und dem schweren Leben der verschiedenen Protagonisten, die in ständiger Angst vor der Willkür des Herrschers leben. So ist die märchenhafte Dimension hier kein Selbstzweck, sondern resultiert zunächst aus dem Umstand, dass der Erzähler eben genau das ist – ein Geschichtenerzähler: Seine Aufgabe besteht darin, den König zu unterhalten, ihm zu schmeicheln – und es gelingt ihm gelegentlich sogar, ihn zu seinen Gunsten zu manipulieren. Ganz ähnlich verfährt Binebine mit dem Leser, indem er seiner Herrschaftskritik eine zeitlose bis anachronistische, unterhaltsam zu lesende Form gibt, die beides ist: ein Ausflug in ein „Reich der Fabulierkunst“, aber eben auch Ausdruck des angstgeprägten Klimas bei Hof, wo eine allzu klare Aussage 100 Stockschläge bedeuten kann. Für diese Sprache mit doppeltem Boden hat Regina Keil-Sagawes Übersetzung das passende deutsche Äquivalent gefunden.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Mahi Binebine: Der Hofnarr. Roman aus Marokko.
Aus dem Marokkanischen übersetzt von Regina Keil-Sagawe.
Lenos Verlag, Basel 2018.
200 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783857874840

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