Atemberaubendes Debüt

Mit „Zusammenkunft“ legt Natasha Brown ein atemberaubendes Debüt über die vielen Spielarten des Rassismus und den Preis des Erfolgs vor

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Natasha Brown, die nach ihrem Mathematikstudium in Cambridge zehn Jahre lang im Londoner Finanzsektor arbeitete, hat in diesem Kurz-Roman offensichtlich viele ihrer eigenen Erfahrungen verarbeitet. Ihre schwarze namenlose Ich-Erzählerin hat es so in einer Londoner Investment-Bank bis in die oberen Etagen geschafft und steht kurz vor einer Beförderung. Zugleich steht ein Antrittsbesuch bei den Eltern ihres reichen weißen Freundes auf einem herrschaftlichen Anwesen an und macht ihr die fundamentale Unterschiedlichkeit ihrer Existenzen klar.

In einer radikal reduzierten Prosa und mit analytischer (Selbst-)Beobachtungsgabe lässt die Ich-Erzählerin ihr Leben und das ihrer Vorfahren zusammen mit der ganzen Geschichte von Kolonialismus, Sklaverei und brutaler Ausbeutung aufscheinen: „Es ging immer ums Überleben […]. Generationen übergreifendes Durchhalten, ohne Bedeutung und Erinnerung.“ Und sie selbst, die sich gerade eine schöne Eigentumswohnung in London kaufen konnte, muss sich eingestehen: „So viel gelitten, so viel aufgegeben – für diese Chance. Für mein Leben.“

Der Preis für den Erfolg ist für sie hoch, mehrfach höher als für andere: Sexuelle Belästigung, der Neid der Kollegen, gespickt mit rassistischen Anfeindungen und dann die stete Unsicherheit: „Es gibt keinen Erfolg, nur das vorläufige Abwenden des Versagens. Angst.“

Immer nagt der Zweifel an ihr, die sich eine „Fassade neureicher Millenial-Coolness“ angeeignet hat – und die doch immer weiß, dass sie das kulturelle Kapital der weißen Upper Class nie erreichen und ihre ausgeklügelten Codes und Skripts niemals ganz verstehen und beherrschen wird. Es bleibt ihr nur die Rolle, die ihr als Schwarze ins Stammbuch geschrieben scheint: „Sei die Beste. Arbeite härter, arbeite schlauer, arbeite genauer. Übertriff jede Erwartung. Sei aber gleichzeitig unsichtbar, unbemerkbar. […] Existiere nur im Minusbereich“.

Und so hat die Ich-Erzählerin auch keine Aussicht auf Zugehörigkeit – weder zur weißen Upper-Class, noch zu ihren Eltern und zur schwarzen Community, mit denen sie keine gemeinsame Heimat oder Kultur mehr teilt. Erst eine Krebserkrankung scheint ihr die Möglichkeit zu öffnen, doch noch zu sich selbst zu finden.

Natascha Brown ist eine minimalistische Meisterin und erzählt ihren Roman in kurzen Absätzen und luftig gesetzt auf gut 100 Seiten. Und doch bleibt nichts ungesagt. Ihre Sätze sind wie in Stein gemeißelt, landen wie eine Faust im Magen und zeigen, was ein struktureller und ganz alltäglicher Rassismus heute noch immer mit den Menschen anrichtet.

Titelbild

Natasha Brown: Zusammenkunft. Roman.
Aus dem Englischen von Jackie Thomae.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022.
113 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783518430460

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