Ein Kommissar mit Nickelbrille und siebtem Sinn
Christof Burkard erzählt in seinem Debütkrimi „Starkstrom“ vom Mord an einem umstrittenen Gewerkschafter
Von Rainer Rönsch
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Debütkrimi des Schweizer Autors Christof Burkard beginnt mit einer interessanten Figur, die später wichtig werden soll: dem teilinvaliden Baggerfahrer Luis Molina, der im Schwimmgut am Wehr vor dem Atomkraftwerk eine Leiche findet.
Gleich darauf tritt die Hauptperson auf: Kommissar Blum, „ein großgewachsener Vierzigjähriger in beigem Mantel und mit Nickelbrille“. Der Tote wird als Toni Pereda identifiziert, ranghoher Funktionär bei „Syndica“, der zweitgrößten Gewerkschaft des Landes, erfunden, aber real existierenden Gewerkschaften namensähnlich.
Rasch werden Konflikte zwischen Blum und dem „Vorzeigepolizisten“ Weber offenbar. Letzterer punktet mit „Totaleinsatz“ bei den Vorgesetzten und bildet sich in den Ferien weiter, während der chaotische Blum Freunde und ein Privatleben hat. Zur Polizei trieb ihn einst seine Richtungslosigkeit, doch sein siebter Sinn führt ihn zu Fahndungserfolgen. Mit Indizien und Beweisen kann er besser umgehen als mit Gefühlen, mit Verdächtigen und Zeugen besser als mit der Frau, die er liebt.
Im Fall Pereda fordert sein Kommandant von ihm Diskretion, weil der Tote eine öffentliche Person war. Blums Assistentin Sabine findet heraus, dass auf der letzten Konferenz der Unternehmer mit Pereda über Lohnabzüge verhandelt wurde, deren Ertrag man unter den Verbänden verteilte – kein Pluspunkt für einen Gewerkschafter.
Ein breit erzählter Betriebsausflug der Polizei bringt die Handlung nicht voran. Der Besuch von Blum und Sabine bei Peredas in Komfort wohnender Familie ergibt keine Hinweise auf Bestechlichkeit, denn die Witwe verdient als Abteilungsleiterin im öffentlichen Dienst sehr gut.
Blum sucht den Kontakt mit dem teilpensionierten Gewerkschaftsfunktionär Benny Wies, in dem er „eine Art Anti-Pereda“ sieht und der Pereda kurz vor dessen Tod getroffen hat. Wies gerät „geografisch immer näher zum wahrscheinlichen Tatort“ und war wütend auf Pereda. Die Präsidentin der Syndica sagt dem Kommissar, nachdem sie ihn lange warten ließ, Pereda sei zwar ihr Gegenspieler gewesen, sie habe ihn aber unbedingt in der Gewerkschaft halten wollen. Danach bezeichnet ein Nationalrat Pereda als „großartig und ein Arschloch“, möchte aber nicht zitiert werden. Sabine findet heraus, dass die Pensionskasse der Syndica mit Portfolios der Arbeitgeber verquickt war. Das passt schlecht zur angeblich „konfrontativen Sozialpartnerschaft“, von der Blum in einem von Pereda verfassten Buch liest, nachdem er sich mit einem Curry den Magen verdorben hat.
Dann führen Spuren zur Vergangenheit eines Fußballklubs und bringen den Baggerfahrer Luis Molina ins Zwielicht, weil er seine frühere Freundschaft mit Pereda verschwiegen hat. Die ging in die Brüche, als Pereda den Torschützenkönig Molina zu Unrecht der Drogenabhängigkeit beschuldigte und damit dessen sportliche Karriere abrupt beendete. Als sich herausstellt, dass Molina den ehemals besten Kumpel zwei Tage vor Auffinden der Leiche getroffen hat, sieht alles nach später Abrechnung wegen der Jugendfehde aus. Molina könnte gehofft haben, dass die Polizei nicht den verdächtigt, der die Leiche bei seiner Arbeit findet.
Eine totale Wendung deutet sich an, als eine alte Frau gesteht, Pereda mit ihrem Gehstock getötet zu haben, weil ihr Mann seinetwegen in Vergessenheit geraten war. Das erweist sich rasch als Lüge, gibt aber Blum den Impuls, allen Verdächtigen ein Attribut zuzuweisen. Da gibt es den Verratenen, den Enterbten, den Verheizten und den Strippenzieher. Sie und noch weitere, die auf Blums Flipchart verzeichnet sind, waren jedoch nicht der Täter.
Der Autor schießt eine Breitseite gegen „Menschen, die Lebenswege gewählt hatten, auf denen sie niemals handeln mussten, aber immer reden durften“. Einer von denen ist der Mörder, und ich gestehe, dass ich ihn nicht in Verdacht hatte.
Neben dieser Überraschung, dem interessant unangepassten Ermittler und den oft harten Dialogen gehört zu den Stärken des Romans, dass der Autor seine Erfahrungen als Jurist einbringt und die schwierigen, zwischen Kumpanei und Konflikt schwebenden, Beziehungen zwischen Unternehmern und Gewerkschaft anschaulich schildert. Auch vermeidet er Schwarzweißmalerei und zeichnet lebensechte Grauzonen ohne strahlende Helden.
Allerdings bekommt der sympathisch unaufgeregte Erzählton mit allerlei Abschweifungen dem Spannungsbogen nicht durchweg, obwohl es so viele Verdächtige gibt. Starkstrom ist ja nichts anderes als Hochspannung – und Letztere darf beim zweiten Krimi dieses bemerkenswerten Autors gern noch zunehmen.
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