Gezähmtes Afrika

Maryse Condé erzählt in ihrer Autobiografie von ihrem Weg durch Afrika zur Schriftstellerin

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als im Mai 2018 feststand, dass die zerrüttete Schwedische Akademie keinen Nobelpreis für Literatur ausrichten würde, beschloss die „Neue Akademie“ einen alternativen Nobelpreis zu vergeben. Er ging an eine der bedeutendsten Schriftsteller*innen der Frankophonie, an die aus Guadeloupe stammende Maryse Condé (*1937). In ihrem umfangreichen Œuvre verhandelt die zwischen der Karibik, Europa, Afrika und den USA pendelnde Weltbürgerin die Frage nach karibischer Identität und eine damit unmittelbar verbundene – oft desillusionierende – Begegnung mit dem afrikanischen Kontinent. Condés 1976 erschienener erster Roman Hérémakhonon beispielsweise begibt sich auf die Suche nach der Geschichte der afrikanischen Vorfahren, der Romanzyklus Ségou (Segu, 1984/85) widmet sich einer von religiösen Konflikten geprägten Familiengeschichte in Mali. Neben Theaterstücken, Romanen, Novellen und Essays ist Condé auch Autorin theoretischer Schriften wie La Civilisation du Bossale (Die Kultur des Bossale, 1978), in der sie sich mit karibischer Literatur und dem Einfluss oraler Literatur und Mythen beschäftigt, oder La Parole des femmes (Die Stimme der Frauen, 1979), worin sie sich explizit karibischen Autorinnen widmet und eine Entwicklung aufzeigt, die auch ihr eigenes Schreiben berücksichtigt.

Nun liegt die deutsche Übersetzung von Condés bereits 2012 auf Französisch erschienener Autobiografie (La vie sans fards) vor, die von einem aufregenden, aber auch schicksalsgeladenen Leben und der Entwicklung einer unabhängigen Frau zur Schriftstellerin erzählt. Es scheint fast, als habe Condé erst einmal leben müssen, um mit knapp 40 Jahren ihren ersten Roman schreiben zu können: „Tatsächlich begann ich mit dem Schreiben, als meine eigenen Probleme ein Ende hatten, als ich die echten Dramen gegen Dramen auf dem Papier eintauschen konnte.“ Dieser Fokus der Autobiografie auf dem Leben vor der Tätigkeit als Schriftstellerin mag im ersten Moment etwas enttäuschen, doch schnell wird klar, dass sie aus dieser früheren Lebensphase, in die vor allem die grundlegenden Erfahrungen in Afrika fallen, beim Verfassen ihrer späteren Texte schöpft. Immer wieder stellt sie in der Autobiografie Bezüge zwischen ihren Erfahrungen in Afrika und ihren Werken her.

Tatsächlich verläuft Condés Leben äußerst turbulent: Sie wechselt Orte und Jobs so oft wie auch die Männer, bringt ungewollt vier Kinder auf die Welt, ist häufig alleinerziehende Mutter. Bereits 1953 verlässt sie ihre Heimat Guadeloupe, um nach Paris zu gehen. Über ihre Kindheit auf Guadeloupe erfahren wir – mit Ausnahme von ein paar Anekdoten – nicht allzu viel, allerdings hat sie diese in ihrem autobiografischen Bericht Le Cœur à rire et à pleurer. Contes vrais de mon enfance (1999) bereits verarbeitet. Condé studiert schließlich an der Sorbonne, wird nach einem kurzen Intermezzo mit dem haitianischen Journalisten und Aktivisten Jean Dominique sowohl schwanger als auch sitzengelassen und heiratet 1958 den aus Guinea stammenden Schauspieler Mamadou Condé, um mit dieser Heirat ihre „Schande“ zu tilgen, wie sie schreibt.

Doch bereits nach drei Monaten halten sie es nicht mehr zusammen aus und Maryse, erneut schwanger, bricht an die Elfenbeinküste auf, um als Lehrkraft am Collège von Bingerville zu arbeiten. Die französische Staatsangehörigkeit will sie hinter sich lassen, um zurück zu Afrika zu finden: „Dass ich mir Afrika wiederaneignete, war ein Beweis, dass ich weiter ging als mein geistiges Vorbild, Aimé Césaire, das Oberhaupt der Négritude. Es war ein Beweis, dass ich anfing, mich selbst zu verwirklichen.“ Empörte sich Condé in ihrer Pariser Zeit über Frantz Fanons Schwarze Haut, weiße Masken, indem sie ihm Unverständnis und eine Herabsetzung der antillischen Gesellschaft vorwarf, so wird dieses Urteil in Guinea revidiert: Sie löst sich von Aimé Césaire, allerdings ohne ihre Bewunderung für seine Dichtung aufzugeben, und wird zur überzeugten Anhängerin Fanons, der, im Unterschied zur Négritude-Bewegung, Kultur nicht als monolithischen Block, sondern in dauernder Bewegung sieht.

Fast zehn Jahre verbringt Condé in verschiedenen west-afrikanischen Ländern, an der Elfenbeinküste, in Guinea, Ghana und im Senegal, um schließlich desillusioniert festzustellen: „Afrika genügte es nicht, mich zurückzustoßen. Es raubte mich auch noch aus. Es nahm mir nicht nur meinen Liebsten. Es vernichtete meine Vergangenheit, meine Erinnerungsstücke, kurz, es zerstörte meine Identität.“ Afrika wird für Condé kein Mutterkontinent. Die idealisierte Vorstellung eines einheitlichen Afrikas entpuppt sich schnell als Illusion. Condé macht die schmerzliche Erfahrung, dass Antillaner*innen die Integration in Afrika nicht leicht gemacht wird und nicht leichtfällt. So weigert sie sich, eine der Landessprachen Malinké, Soussou oder Fulfulde zu lernen als auch traditionelle Kleidung zu tragen. In Guinea, das als erste französische Kolonie 1958 die Unabhängigkeit verkündete und unter dem ersten Präsidenten Sékou Touré eine sozialistische Revolution anstrebte, wird sie mit massiven Versorgungsengpässen konfrontiert. Sie beschließt das „ausgeblutete Guinea“ und Mamadou Condé, der unfähig ist, für seine Kinder aufzukommen, zu verlassen.

In Ghana fällt ihr die Kluft zwischen Afroamerikaner*innen, die eine „höhere Kaste“ bilden und den Ghanaer*innen auf und sie muss feststellen, „dass die Négritude nur ein schöner Traum war.“ Durch ihren Liebhaber Kwame Aidoo, einen in Oxford studierten Anwalt mit eigentlich demokratischen Werten und Erbe der Königsfamilie des kleinen Reiches von Ajumako, lernt sie ein feudales Afrika kennen. Wie auch ihre vorherigen Beziehungen zu Männern, vor allem die zu Mamadou Condé, ist auch die zu Kwame schwierig – er erwartet tatsächlich, dass sie ihre Kinder für ihn verlässt. Nach einer Zwischenstation in London, wo sie für die BBC arbeitet und sich die Eierstöcke abbinden lässt, kehrt Condé nur mit zwei Kindern zu Kwame zurück, der ihr kurze Zeit später verkündet, dass er heiraten wird, allerdings eine Andere.

Nach den herben Erfahrungen mit verschiedenen haitianischen und afrikanischen Männern, trifft sie im Senegal ausgerechnet auf den Briten Richard, dem sie den Beginn ihrer Karriere als Schriftstellerin verdankt. An dieser Stelle endet die Autobiografie und fraglich ist, ob es einen weiteren autobiografischen Text geben wird, der diese Phase als Schriftstellerin, die Rückkehr nach Guadeloupe und nach Europa, die Promotion in Komparatistik, die Lehrtätigkeiten an der Sorbonne und in den USA erzählen wird. Die Auseinandersetzung mit Afrika leiten für Condé auf jeden Fall eine neue Lebensphase ein und eröffnen ihr den Zugang zum Schreiben: „So konnte ich Afrika endlich zähmen, in verwandelter Form zog es in alle Winkel meiner Imagination ein, auf diese Weise endlich unterworfen. Es sollte nur mehr den Stoff für unzählige Geschichten geben.“

Condés Autobiografie erzählt von einer bedeutsamen Lebensphase einer beeindruckend unabhängigen Frau, die ein facettenreiches Afrika erst erfahren und „bändigen“ muss, um sowohl ihre karibische Identität als auch ihre Berufung als Schriftstellerin fassen zu können. Wie der Titel bereits verrät, geschieht dies auf unverblümte Weise: Condé scheut sich nicht, Schicksalsschläge, eigene Schwächen und Momente der Desillusion oder Hoffnungslosigkeit – manchmal dramatisch, manchmal selbstironisch – zu schildern, doch trotzdem zeigt dieses „ungeschminkte Leben“, dass es immer weiter geht – wenigstens, wenn man Maryse Condés außergewöhnlichen Mut besitzt.

Titelbild

Maryse Condé: Das ungeschminkte Leben. Autobiographie.
Aus dem Französischen von Beate Thill.
Luchterhand Literaturverlag, München 2020.
304 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783630876337

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