Am Tiefpunkt

Jessa Crispins pseudoradikaler (Anti-)Feminismus ist die Lektüre nicht Wert

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Davon, was ein lesenswertes Buch auszeichnet, hatte Franz Kafka eine klare Vorstellung. In einem Brief an Oskar Pollak aus dem Jahr 1904 kleidete er sie in die Metapher, es müsse „die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“. Auf den ersten Blick recht ähnlich nimmt sich eine von Emil Cioran formulierte Anforderung aus. Sie besagt, ein Buch müsse „Wunden aufwühlen, sogar welche verursachen“, es müsse „eine Gefahr“ sein.

Jessa Crispin hat ihrem „feministischen Manifest“ Warum ich keine Feministin bin einen der beiden Aussprüche vorangestellt. Es handelt sich nicht um das Diktum des Prager Juden, sondern um die Sentenz Ciorans, der als junger Mann der antisemitisch-faschistischen Jungen Garde Rumäniens nahestand und in den 1930er Jahren ein glühender Anhänger Hitlers war, wofür er später immerhin um Verzeihung bat.

Dass Crispin das Zitat Ciorans vorzog, wird zwar sicher nichts mit dessen politischen Irrwegen zu tun haben, dürfte aber gleichwohl kein Zufall sein – zielt Kafka doch auf die innere Wirkung eines Buches, Cioran hingegen auf die äußere. So ist denn auch Crispins Manifest auf Effekt angelegt, hat aber inhaltlich wenig zu bieten.

Bevor über den Inhalt des Buches zu sprechen ist, sei zunächst einmal festgehalten, dass sich Crispins Buch ausschließlich an Frauen richtet. Nach gut 100 Seiten verschwendet sie allerdings auch ein paar Zeilen an eventuelle Leser. Ganz unabhängig davon, ob diese „grundsätzlich Anhänger des Feminismus“ oder ausgemachte Frauenfeinde seien oder vielleicht „einen Standpunkt irgendwo dazwischen“ vertreten, fordert Crispin sie auf, sie sollten gefälligst „mit ihrem Scheiß“ abhauen. Denn, was immer sie zu sagen hätten, interessiere sie nicht. Das hindert die Autorin aber nicht daran, zu erklären, Männer und Frauen müssten „gemeinsam eine neue Welt […] ersinnen, von der wir alle und nicht nur wir selbst profitieren. Männer können und müssen an diesem Projekt mitwirken.“ Derlei Widersprüchlichkeiten durchziehen das gesamte Buch, dessen Titel zu erklären verspricht, warum seine Autorin keine Feministin ist, während es der Untertitel als feministisches Manifest ausweist.

Schon die ersten Seiten machen deutlich, dass Crispin vor allem auf Krawall aus ist. Werde sie gefragt, ob sie Feministin sei, schüttele sie nicht nur den Kopf, sondern „grinse sogar abfällig dabei“. Und zwar „wegen all der Feministinnen, die ständig Schwänze lutschen, als wäre es Teil der missionarischen Arbeit“. Zudem habe sich „der Feminismus im Laufe seiner Geschichte ungezügelt rassistisch, homophob, fremdenfeindlich und auf sonstige Weise frei von Empathie gezeigt“. Tatsächlich der Feminismus? Einige wenige FeministInnen vielleicht.

Crispin teilt so ziemlich nach allen Seiten im weiten feministischen Spektrum aus. So positioniert sie sich gegen die „Pro-Choice-Bewegung“ und ventiliert ganz im Sinne maskulinistischer AbtreibungsgegnerInnen die kontrafaktische Behauptung „Wer eine Abtreibung vornehmen lässt, empfindet dies häufig als sehr schmerzhaft und reagiert mit Trauer“. Tatsächlich sind solche Reaktionen seltene Ausnahmen. Üblicherweise sind Frauen nach Abtreibungen vielmehr erleichtert, fühlen sich befreit und glücklich, wie aus einschlägigen Forschungen bekannt ist.

Ebenso kritisiert Crispin die ihrer Meinung nach „herablassende Haltung westlicher Feministinnen gegenüber Frauen aus muslimischen Ländern“. Überhaupt seien „Rettung und Schutz maskuline, patriarchalische Vorstellungen“. Soll es ‚westlichen Feministinnen‘ deshalb gleichgültig sein, wenn Frauen etwa in Afghanistan traditionsgemäß gesteinigt werden, weil sie vergewaltigt wurden, oder ihnen, wie im Iran geschehen, die sogenannten Schamtücher auf die Köpfe genagelt werden?

Des Weiteren lastet Crispin FeministInnen an, dass im Kampf gegen die Pornografie Bündnisse mit christlichen Organisationen eingegangen worden seien. Dabei sollten Frauen ihr zufolge doch eine eigene Religion gründen.

Dann wieder hat sie etwas für den „heterosexuellen, weißen, alten Mann“ übrig, den sie gegen die „Empörungsfeministinnen“ der #MeToo-Bewegung in Schutz nimmt. Nach „vermeintlichen Vergewaltigungen oder sexuellen Belästigungen“ propagiere die „feministische Strategie“ dieser „Furien“ „individuelle Racheakte“ und fordere „die Hinrichtung harmloser alter Männer“. Vor allem aber wendet sich die Autorin gegen die Bestrafung überführter Sexualtäter und fragt rhetorisch: „Wollen wir wirklich die Körper von noch mehr (armen und schwarzen) Männern in ein System zwängen, das darauf aus ist sie zu zerstören?“ Ansonsten hält sie den „Missbrauch an einer Frau“ für nichts weiter als „ein privates Problem“.

Bei all ihren antifeministischen Rundumschlägen nennt die Autorin höchst selten einmal Namen der von ihr so heftig angegriffenen Feministinnen. Einmal wird Gloria Steinem als „banale, von der CIA finanzierte Ikone weißer Mittelschichtsfrauen“ beschimpft, ohne darauf einzugehen, wofür Steinem inhaltlich steht. An anderer Stelle fällt der Name Laurie Penny. Das war es dann aber auch schon. Dabei hätte man etwa gerne gewusst, wer denn die feministischen „Wortführerinnen“ sind, die einem „blinden Rassismus“ anhängen und wie er sich äußert.

Penny wird für ihre Ablehnung von Crispins zentraler Heroine Andrea Dworkin abgestraft. Weil sie „fettleibig, kraushaarig und frei von Lipgloss“ gewesen sei, verkörpere Dworkin für heutige Feministinnen all jene „Momente“, „in denen der Feminismus ‚zu weit‘ ging“. Tatsächlich aber sei Dworkin „nicht weit genug gegangen“. Bedauerlich ist allerdings, dass man von Crispin so gut wie nichts darüber erfährt, welche Positionen Dworkin vertrat, und worin sie nicht weit genug gegangen ist. Von der Autorin auch kaum ein Wort zu den Thesen, Theorien und Aktivitäten der wenigen anderen Feministinnen der zweiten Welle, die sie positiv erwähnt, wie etwa Kate Millett oder Shulamith Firestone. Auch ihre Namen lässt die Autorin zwar gelegentlich einmal fallen, mehr aber auch nicht.

Dem von ihr sogenannten „universalen Feminismus“ wirft sie vor, dass er „immer ungefährlich bleiben“ werde. An Stelle dieses „seines Sinnes vollkommen entkleideten“ Feminismus fordert sie einen Feminismus, „der eine umfassende Revolution mit sich“ bringt. Entsprechend vollmundig behauptet sie von sich selbst, sie „stelle eine Bedrohung dar“. Manche ihrer eigenen Positionen sind allerdings alles andere als radikal, sondern eher rückwärtsgewandt wie etwa ihre Verteidigung der traditionellen Familie gegenüber Frauenrechtlerinnen, die „Unabhängigkeit als feministische Tugend“ preisen, ohne daran zu denken, „wie häufig“ die Familie „uns geholfen hat“. Vieles an „Traditionen und Ritualen, Familien und generationenübergreifenden Beziehungen“ sei „wertvoll“ und sollte „beibehalten“ werden. Es scheint, als könne sie sich außerhalb von Familien keine generationenüberreifenden Beziehungen vorstellen.

Seitenlang wettert die Autorin gegen den „Flachfeminismus“, ohne dass sich ihr eigenes Werk durch sonderliche Tiefe auszeichnen würde. So polemisiert sie zwar heftig, argumentiert aber dürftig. Argumentationsketten, stringente gar, sind ihre Sache schon gar nicht. Doch obszöne Aufforderungen wie „fickt euch“ ersetzen Argumente nicht wirklich, auch nicht Wendungen wie „konsumfixierter Hirnfick“.

Immer wieder reiht Crispin Behauptungen ohne jedwede Belege aneinander. Darunter auch schon einmal reinen Unsinn. So erklärt sie etwa: „Damit Atheisten sich als rational und intelligent verstehen dürfen, müssen sie religiöse Menschen abergläubisch und albern finden. […] Und damit Frauen sich als mitfühlend verstehen können, müssen sie behaupten, Männer seien gewalttätig.“ Dann wieder bleibt der Zusammenhang zwischen einer kritisierten Tatsache und deren angeblicher Ursache völlig dunkel: „Die Wut, die in feministischen Foren auflodert, sobald jemand falsche Begriffe benutzt“, behauptet sie etwa, liege daran, dass „die bloße Selbstbezeichnung als Feministin bereits als radikale Haltung gilt“.

Ungeachtet all dieser argumentativen Unzulänglichkeiten führt die Autorin gerne die hehren Worte „Theorie“ und „Philosophie“ im Munde. Von einer Theorie, geschweige denn einer Philosophie ist in dem Buch jedoch rein gar nichts zu finden. Ebenso gerne spricht Crispin vom „System“, das es in einer „umfassenden Revolution“ zu „demontieren“ und zu „ersetzen“ gelte. Ihre Bestimmung, dessen, was ‚das System‘ ausmacht, bleibt denkbar vage: „mit ‚System‘ meine ich die ganze komplizierte Welt, die wir mit Begriffen wie ‚Patriarchat‘ oder ‚Kapitalismus‘ nur unzureichend beschreiben“.

Nun befindet Crispin zwar, es sei „eine interessante Zeit, um die Revolution zu machen“. Doch darüber, wie sie zu bewerkstelligen ist, bietet ihr Buch nur phrasenhafte Allgemeinplätze der Art, es gelte „die Maschinerie selbst an[zugreifen]“ und „die Unternehmenskultur restlos“ zu „zerstören“, um „echte Reformen“ und „echte Veränderungen“ durchzusetzen. Ebenso vage bleibt das anvisierte Ziel einer Gesellschaft „der Kooperation und Solidarität“.

Crispins Buch schlägt so weder Wunden noch ist es gar eine Axt für das innere Eismeer, sondern nur ein (argumentativer) Tiefpunkt in der Geschichte feministischer Publikationen.

Titelbild

Jessa Crispin: Warum ich keine Feministin bin. Ein feministisches Manifest.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.
147 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783518468999

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