Das Haus Benjamins
Momme Brodersen über das Haus, in dem „die Benjamins zu Hause waren“ – eine „Verschüttete Erinnerung“
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Geschichte eines Hauses zu schreiben ist keine Kleinigkeit, auch wenn deutsche Amtsgerichte mit ihren Grundbüchern schon mal das Grundgerüst zur Verfügung stellen mögen. Aber von den Eigentumsverhältnissen zum gelebten Leben ist es ein weiter Weg.
Der in Sizilien lebende Literaturwissenschaftler Momme Brodersen ist als Walter Benjamin-Spezialist hoch angesehen. Er ist als Herausgeber an der Werkausgabe Benjamins beteiligt und hat nicht zuletzt eine Benjamin-Biografie geschrieben, die zu den Standardwerken in der Forschung gehört – wenn man sich mal so weit aus dem Fenster lehnen darf. Das gerade er die „Biografie“ des Hauses geschrieben hat, in dem Walter Benjamin fast 20 Jahre – mit Unterbrechungen – wohnte, versteht sich von selbst, wenn denn sich irgendwas bei der Biografie eines Hauses von selbst verstehen mag.
Im Jahr 1911 zog die Familie Benjamin in die Delbrückstraße 23 im vornehmen Berliner Bezirk Grunewald. Seit 1918 gehörte das repräsentative Haus, dessen seinerzeit moderne Architektur hoch gelobt wurde, der Familie. Walter Benjamin lebte hier – mit Unterbrechungen – bis 1930, eine zeitlang auch mit seiner Frau Dora Sophie Kellner und Kind. 1930, mit dem Tod der Mutter, zog auch Walter Benjamin aus dem Haus aus. Nach diversen Querelen ging die Immobilie an Benjamins dann schon geschiedene Frau, die es 1936 an einen Danziger Kaufmann veräußerte. Ein weiteres Kapitel der Arisierungspolitik der Nazis. Aus gutem Grund wurden solche Verkäufe nach dem Krieg entschädigt. Während des Kriegs allerdings wurde das Gebäude zerstört, das Grundstück ist mittlerweile neu bebaut, naheliegend nicht weniger repräsentativ als im frühen 20. Jahrhundert. Grunewald, als Villensiedlung im Westen Berlins gegründet, hat bis heute seinen Status als eine der besten Adressen der Stadt erhalten.
Erbaut wurde das Haus im Jahr 1900. Bauherr war der damals renommierte Bildhauer Harro Magnussen, der in aller höchsten Gnaden Wilhelms II. stand, in die er nicht zuletzt aufgrund einer Plastik geraten war, der er den pathetischen Titel Der Philosoph von Sanssouci in seinen letzten Stunden gegeben hatte, ein Bildnis des greisen Friedrich des Großen, in dem die zeitgenössischen Betrachter so manche Weisheit zu entdecken vermochten, nicht zuletzt der vornehmste Kunstkritiker des Reiches, Wilhelm II. selbst. Von Magnussens Erben übernahm der Geldmann Emil Benjamin das Haus, das er 1926 erst seiner Frau, diese wiederum den drei Söhnen in Erbengemeinschaft vermachte.
Und wenn bis dahin nicht klar war, weshalb Brodersen in die Abgründe der Biografie Magnussens steigt, wird es nun ersichtlich: Es geht Brodersen nicht um eine weitere hagiografische Umnebelung Benjamins und seiner Orte (was man ihm eh auch bei anderen Projekten nicht nachsagen kann), sondern darum, die Geschichten, die sich mit den Bewohnern des Hauses verbinden lassen, in extenso vorzuführen, weil das Haus als gemeinsamer Nenner eh keinen Unterschied macht. Und dennoch lässt sich mit einer solchen Umschau eben auch der Blick auf den Intellektuellen Walter Benjamin erweitern.
Sicher, bekannt ist, dass Benjamins Vater einer der prominenteren Privatinvestoren der Reichshauptstadt war (Brodersen zeichnet noch einmal nach, wie die – mit Heine – verwandten Benjamin nach Berlin kamen) und iund sich in zahlreichen Projekten engagierte. Das ging eine ganze Weile gut, bis die Familie in den 1920er Jahren wirtschaftlich in Turbulenzen geriet und das Vermögen verfiel. Ein Risiko, dem gerade Privatinvestoren, seinerzeit Rentiers genannt, während der Nachkriegs- und Inflationsjahre ausgesetzt waren. Chancen und Risiken eben, hier einmal auf der Kapitalseite.
Was der Sohn Walter durchaus nicht wahrnehmen wollte und konnte, beklagte er doch 1920, dass die Eltern die Ambitionen des Sohnes beschnitten, indem sie ihn finanziell kurzhielten. Ein merkwürdiger Vorschein auf den Umstand, dass Benjamin sein weiteres Leben eben auch in wirtschaftlich prekären Verhältnissen verbrachte, das Exil einmal außen vor gelassen. Von den Einkünften aus seinen Publikationen konnte Benjamin wenigstens kaum leben. Das lädt quasi ein zur Diskussion der Bourdieu‘schen Differenz von Finanz- und Kulturkapital. Oder aber zur Lektüre der höchst lesenswerten Geschichte eines Hauses.
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