Eine merkwürdige Karriere

Ross Thomas modernisierte Fassung des Schelmenromans „Die Narren sind auf unserer Seite“ ist in neuer Übersetzung erschienen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man erinnere sich an die Kennzeichen des Schelmenromans? Knapp formuliert ist er um einen sozialen Außenseiter und Underdog herum gebaut, der einen eigenen und unverstellten Blick auf die Gesellschaft hat und deshalb besonders hellsichtig ist. Das Muster hat seiner Entstehung im 16. Jahrhundert zahlreiche Umformulierungen hinter sich gebracht. Mal waren es dann Kinder, dann wieder Künstler, und dann eine Kombination aus allem, was den Schelm im Roman auszeichnete. Immer aber ging es um eine extraordinäre Figur, die die gesellschaftlichen Zustände besonders hellsichtig betrachten konnte – und damit Leser mit ihr.

Der Krimi nun hat ein besonderes Bedürfnis nach eigenen Schelmen, nicht zuletzt deshalb, weil es hier um die Wahrheit und um nichts anderes gehen soll, was gegebenenfalls nicht besonders tröstlich ist, wie Agatha Christie gelegentlich ihren Hercule Poirot sagen lässt. Aber eben doch unumgänglich. Die extremste erkenntnisleitende Figur ist hierbei der Detektiv, der gebotene Konterpart des Polizisten, der immer auch Teil des Systems ist  und bleiben muss und dessen Blick deshalb immer von seiner Position gebunden ist.

Anders der Detektiv, der immer auch ein gesellschaftlicher Außenseiter,  wenn nicht Absteiger ist, was sich nicht zuletzt an seinen Liebesgeschichten zeigt, die eigentlich immer desaströs sind.

Und hier kommt nun Ross Thomas mit „Die Narren sind auf unserer Seite“. Der Roman liegt anscheinend mit der Neuübersetzung von Gisbert und Julian Haefs erstmals in vollem Umfang in deuutscher Übersetzung vor (worunter man sich wohl eine wohlfeile Familienkooperation vorstellen kann, aber beide Übersetzer halten sich da bedeckt, auch gut). 1972 ist eine stark gekürzte Fassung erschienen, wobei man sich bei der Lektüre fragt, was man aus dem Roman hatte wegkürzen können, ohne ihn nachhaltig zu beschädigen.

Denn dieser fast 600 Taschenbuchseiten lange Roman ist von einer Intensität und stilistischen Dichte, dass jedes Wort, das gestrichen würde, zu fehlen scheint.

Erzählt wird die Geschichte eines gescheiterten Spions, der von seiner extrem geheimen Organisation aus dem Verkehr gezogen wird, als ein kommender chinesischer Informant bei einem Verhör mit dem Lügendetektor kollabiert. Der Agent, der auf den wunderbaren Namen Lucifer Dye hört, wird nach drei Monaten aus dem chinesischen Gefängnis freigekauft, dann mit einem kleinen Handgeld freigesetzt. Das schaut nach wenig Perspektive aus, aber kaum hat Dye das Haus verlassen, wird er von einem merkwürdigen – sagen wir – Lobbyisten angeworben, der ihn dazu nutzen will, eine mittlere Stadt in den USA endgültig in die Hände – in diesem Fall der richtigen – kriminellen Macher zu bringen.

Das ist ein beliebtes Thema im amerikanischen Krimi, und geht darauf zurück, dass die Städte in den USA ein auch politisch undurchsichtiges Leben führen, quasi als kleine Kosmen existieren, in denen es Herren und Diener, Gerechte und Schurken gibt. und die wenig Kontakt mit der Außenwelt haben, es sei denn mit den kriminellen Mutterorganisation der Banden, die die Städte ausrauben. Hier machen alle, die irgendeinen Zipfel an Macht haben, ihren Schnitt, und so soll es sein, während die Masse der Leute zugleich dumm und zufrieden gehalten wird, und als auszubeutendes Humankapital gilt. Es gibt also hier eine Menge zu verdienen, vor allem für Ordnungshüter unterschiedlicher Couleur.

Dye wird von seinem Auftraggeber Victor Orcutt in eine Stadt namens Swankerton geschickt, und kaum angekommen, macht sich Dye daran, die bestehenden Machtverhältnisse kräftig durchzuschütteln und neu zu strukturieren. Wobei eben nicht zu erkennen ist, ob er weiterhin im Auftrag und Sinne Orcutts agiert oder ob er sich mit der einheimischen Machtelite gemein macht, mit der er umgehend Kontakt aufnimmt.

Am Ende finden wir Dye irgendwo in Mexiko mit der vormaligen Assistentin Orcutts und einem Handlangerkollegen (gleichfalls in weiblicher Begleitung), einem ehemaligen Polizisten, wieder. Der Auftraggeber ist mittlerweile ermordet worden, in Swankerton wurde das Oberste zuunterst gekehrt und Dye hat sich mit seinen Kollegen so gerade noch absetzen können, bevor das Ganze kollabiert.

So geschildert wirkt Thomas Roman nicht besonders beachtenswert, er lebt aber zum einen von dem extrem schnoddrigen Ton, der jeden Dialog zu einem Genuss macht, er profitiert zugleich von der kontrollierten Durchführung der Handlung, die ansonsten kaum steuerbar zu sein scheint. Und nicht zuletzt hat er einen Protagonisten, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er ein hochbrisantes Spiel durchzieht, an dessen Ergebnis ihm wenig liegt, anders als allen anderen Mitspielern. Das macht ihn beinahe unverletzlich, und bemerkenswert hellsichtig, ein Schelm also, der Böses dabei denkt. Kurz und bündig gesagt: ein großartiger Roman. 

Titelbild

Ross Thomas: Die Narren sind auf unserer Seite.
Aus dem Englischen von Gisbert Haefs und Julian Haefs.
Alexander Verlag, Berlin 2024.
579 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783895816123

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch