Der Leser als Stalker

Philip Roths „Zuckerman Unbound“

Von Johannes FranzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Franzen

Die Figur des ‚schlechten‘ Lesers, der kurzschlüssig das reale Leben des Autors und anderer realer Personen in die fiktionalen literarischen Kunstwerke hineinliest, führt ein geisterhaftes Leben im gesamten poetologischen Diskurs der Moderne; ‚geisterhaft‘ deshalb, weil dieser Leser, aufdringlich und voyeuristisch, die Autoren mit seinen ‚inadäquaten‘ Lesarten regelrecht heimsucht. „Der Schriftsteller“, schreibt Wolfgang Koeppen in seinem Essay Die elenden Skribenten von 1952, „wird belästigt, er wird geschmäht, bedroht; wie die Wegelagerer fallen seine Personen, die plötzlich behaupten, Personen des Lebens zu sein, über ihn her.“

In Philip Roths Zuckerman Unbound (1981) wird der Schriftsteller Nathan Zuckerman, Verfasser des erotischen Skandalromans Carnovsky, von einer Meute penetrant neugieriger Leser geradezu gehetzt. Ihn erreichen unzählige Leserbriefe, die nicht an Zuckerman selbst adressiert sind, sondern an sein angebliches Alter Ego, den Erotomanen Gilbert Carnovsky. Auf der Straße wird er von Passanten angesprochen, die den Roman nicht als ein Werk der Fiktion, sondern als kaum verschlüsselte Form der Autobiographie gelesen haben: ,,Hey, you do all that stuff in that book? With all those chicks? You are something else, man.“ Anstatt sich für das Werk und seinen ästhetischen Wert zu interessieren, richtet die Öffentlichkeit, vor allem die Klatschpresse, den Fokus gnadenlos auf das Leben des Autors. Es geht etwa um das Vermögen, welches ihm der Bestseller eingebracht haben soll, um sein angeblich ausschweifendes Intimleben und um seine Familie, deren Mitglieder Zuckerman, so der allgemeine Verdacht, im Roman porträtiert habe. Verärgert muss Zuckerman konstatieren: “They had mistaken impersonation for confession and were calling out to a character who lived in a book.”

Besonders Zuckermans Mutter leidet unter der unangemessenen Aufmerksamkeit, die der Skandalerfolg ihres Sohnes generiert. Denn die biographistischen Lektüren Carnovskys betreffen nicht nur das Privatleben des Autors, sondern weiten sich auch auf sein persönliches Umfeld aus. Dahinter steht die Annahme, dass, wenn der Autor mit seinem Protagonisten gleichgesetzt werden kann, die Mutter des Protagonisten auch die Mutter des Autors sein muss. Zwar versucht Zuckerman, seine Mutter auf den Medienrummel vorzubereiten, den die Veröffentlichung seines Buches nach sich ziehen wird, er kann aber nicht verhindern, dass Nachbarn und Familienmitglieder mit ihren Fehldeutungen an sie herantreten:

‘Oh, you should hear me, Nathan. I’m courteous, of course, but I cut them [die Presse, JF] dead, exactly the way you said. But with people I meet socially it’s different. People say to me—and right out, without a second thought—‚I didn’t know you were crazy like that, Selma.‘ I tell them I’m not. I tell them what you told me: that it’s a story, that she is a character in a book.’

Der Hinweis auf den Unterschied zwischen Figuren in einem Buch und realen Personen reicht nicht aus, um Zuckermans Mutter davor zu schützen, mit der Mutter des Protagonisten gleichgesetzt zu werden. Die Beteuerung ihres Sohnes, „you know you are yourself and not Mrs. Carnovsky, and I know you are yourself and not Mrs. Carnovsky”, kann nicht darüber hinwegtrösten, dass ihre Lebensqualität unter der Veröffentlichung des Romans gelitten hat. Sie klagt darüber, dass ihr persönliches Umfeld den Hinweis auf die Fiktionalität des Romans nicht gelten lasse: „‚Why does he write a story like that, unless it’s true?‘ And then really what can I say—that they’ll believe?“

Es scheint, als verfügten die Leser, die Zuckermans Mutter mit indiskreten Fragen und Anschuldigungen belästigen, über keinerlei Fiktionsbewusstsein oder über keinerlei Fiktionskompetenz. Die Frage, warum der Autor solche Geschichten überhaupt schreibe, wenn sie doch nicht wahr seien, lässt ein Ausmaß an Fiktionsskepsis erkennen, das jede Form der literarischen Erfindung mit Lügen gleichsetzt. Selbst Zuckermans Mutter gelingt es nicht vollkommen, diese Skepsis zu unterdrücken. Auf die Versicherung ihres Sohnes, dass seine Kindheit, im Gegensatz zur Kindheit seines Protagonisten Carnovsky, „nearly heaven“ gewesen sei, erwidert sie: „‚But that isn’t what the book says. I mean, that isn’t what people think, who read it. They think it even if they don’t read it.‘“

Der Einwand, dass es so aber nicht im Buch stehe, verrät, dass auch Zuckermans Mutter, zumindest unbewusst, die Welt des Romans an der Wirklichkeit ihrer eigenen Lebensgeschichte misst. Das Personenwissen des Romans wird übertragen in die reale Welt und steht dort selbst denen zur Verfügung, die das Buch gar nicht gelesen haben. Es wird zu einem anekdotischen Wissen, das sich rasch verbreitet und den guten Ruf der Mutter gleichermaßen kontaminiert. Die literarästhetisch ungeschulte Lesekompetenz ist in diesem Fall zwanghaft darauf fixiert, die Vorbilder hinter den Figuren zu entschlüsseln. Zuckerman Unbound, dessen Titel bereits auf die anarchische Entfesselung der Autoridentität über die Grenzen der Fiktion hinaus anspielt, erscheint als eine Reflexion dessen, was geschehen kann, wenn dem Autor die Kontrolle über die Rezeption seines Werkes entgleitet – dargestellt wird der persönliche und kreative Schaden, den biographistische Lektüren anrichten können.

Der Roman ist damit unter anderem eine Satire auf die Rezeptionspathologien ‚schlechter‘ Leser, die den ‚wahren‘, nämlich ästhetischen und intellektuellen Wert des Buches nicht zu würdigen wissen, die an jenen Aspekten eines Werkes, die dem Autor am Herzen liegen, konsequent vorbeilesen, um den intimen Gehalt aufzuspüren, der sich – zumindest in der Vorstellung solcher Leser – hinter der Maske der Fiktion verbirgt. Zuckerman muss feststellen, dass selbst solche Leser, die es eigentlich besser wissen müssten, seinen Roman als Schlüsselroman rezipieren. So beschuldigt ihn eine Nachbarin seiner Ex-Frau, eine pensionierte Englischlehrerin, er habe sich unverzeihlicher literarischer Indiskretionen schuldig gemacht:

‚But that you could do what you have done to Laura…’

‚What is that?’

‚The things you wrote about her in that book.’

‘About Laura? You don’t mean Carnovsky’s girlfriend, do you?’

‚Don’t hide behind that ‚Carnovsky’ business. Please don’t compound it with that.’

‚I must say, Rosemary, I’m shocked to find that a woman who taught English in the New York school system for over thirty years cannot distinguish between the illusionist and the illusion. Maybe you’re confusing the dictating ventriloquist with the demonic dummy.‘

Zuckermans empörter Verweis darauf, dass doch wenigstens eine ehemalige Englischlehrerin zwischen Autor und Erzähler, zwischen Person und Figur unterscheiden können sollte, indiziert seine anwachsende Frustration. Selbst die Nachbarin liest den Charakter Carnovsky als Maske, hinter der sich der exhibitionistische Autor schmutziger Geschichten nur verstecken möchte. Zuckerman dagegen beruft sich auf die konventionellen Mechanismen literarischer Kreativität: Schreiben bedeutet für ihn, die Stimme und Identität eines anderen zu verkörpern, der Schriftsteller fungiert als Bauchredner seiner Figur und nicht als ihr Ebenbild – es geht ihm um Imitation, nicht um Konfession. Zuckerman Unbound bezieht sein satirisches Potential aus dieser Diskrepanz zwischen den Rezeptionserwartungen des literarisch gebildeten Autors und dem tatsächlichen Rezeptionsverhalten der ‚unprofessionellen‘ Leser.

Im Verlauf des Romans allerdings erscheint auch Zuckermans Frustration über die ständigen biographistischen Lesarten, mit denen er und seine Familie belästigt werden, in einem gewissen Zwielicht; denn die Darstellung der Arbeitsweise des Autors rechtfertigt teilweise die ‚unangemessenen‘ Lektüren. Zuckerman wird im Verlauf der Handlung Opfer eines Stalkers, Alvin Pepler, der sich dem Schriftsteller beharrlich aufdrängt und sich in zunehmend wahnhafter Art mit dessen Romanen identifiziert. Pepler bittet Zuckerman zunächst um Hilfe bei der Niederschrift seiner Autobiographie, um ihm dann, nach immer intensiveren persönlichen Grenzüberschreitungen, wutentbrannt vorzuwerfen, er habe Aspekte seiner Lebensgeschichte für Carnovsky gestohlen, insbesondere den zwanghaften Onanismus der Figur („those hang-ups“):

‚Unbiased by the fact that those hang-ups you wrote about happen to be mine, and that you knew it—that you stole it!’

‚I did what? Stole what?‘

‚From what my Aunt Lottie told your cousin Essie that she told to your mother that she told to you. About me. About my past.‘

Der Kurzschluss biographistischer Lektüren wird im Falle des psychisch gestörten Pepler in sein Gegenteil verkehrt und lässt die Identifizierung des Lesers mit den lebensähnlichen Figuren in eine groteske Form der Überidentifikation auswachsen: Pepler fühlt sich durch die Realitätsnähe der Darstellung im konkreten Sinne gemeint, sodass sich in seiner Vorstellung die fixe Idee formieren kann, Zuckerman habe ihm seine Lebensgeschichte gestohlen. Die Evidenz bezieht er aus einer Verstrickung seiner Familie mit der Familie Zuckermans. Auch hier kommt die Fiktionsskepsis zum Ausdruck, die der Imagination des Autors schlechterdings nicht zutraut, Handlungen und Figuren nur zu erfinden. In diesem Fall richtet sich der Verdacht aber nicht auf mögliche autobiographische Hintergründe des Romans, sondern geht davon aus, dass der Schriftsteller sich bei der Gestaltung seiner Figuren an fremden Lebensgeschichten schamlos bedient hat.

Die poetologische Ironie, welche in Zuckerman Unbound inszeniert wird, besteht darin, dass Zuckermans Verhalten, trotz aller Absurdität der Anschuldigungen Peplers, die generelle Legitimität des Vorwurfs durchaus bestätigt, indem gezeigt wird, wie die Konfrontationen mit dem Stalker für spätere literarische Verwertungen aufgezeichnet werden: „Zuckerman found a fresh composition book and […] began to record what he could still recall of the previous day’s business.“ Das Wort „business“ meint das Erleben literarisch verwertbarer Erlebnisse. Der lästige Pepler ist für Zuckerman eben auch Quelle und Rohstoff zukünftiger literarischer Projekte: „My God, from the point of view of business, yesterday was wonderful!“ Während Zuckerman sich gegen den ungerechtfertigten Vorwurf Peplers, er habe seine Geschichte gestohlen, zur Wehr setzt, tut er im Wesentlichen genau das: Er eignet sich Peplers Geschichte an („Oh, what a novel this guy would make!“).

Deutlich werden so die Widersprüche in Zuckermans eigener Haltung markiert. Einerseits erwartet er von seinen Lesern die gebotene Fiktionskompetenz, die davon absieht, nach dem faktischen Hintergrund seiner fiktionalen Werke zu fragen; andererseits folgt sein kreativer Prozess einer Form des Realitätsnotats, mit dem die eigenen Erlebnisse für spätere Verwertungen festgehalten werden. Die Interpretation des Lesers, der hinter fiktiven Figuren stets reale Personen vermutet, erscheint durch die Darstellung von Zuckermans parasitärer Perzeption durchaus gerechtfertigt. So erinnert sich Zuckerman daran, wie er die Erlebnisse eines der Schützlinge seiner Ex-Frau, des Jesuiten und Wehrdienstverweigerers Douglas, in seinen Roman eingearbeitet hat: „Recycled and fused with Nathan’s [d. i. Zuckerman] own recollections, some of Douglas’s best stories made their way into the life of Carnovsky […].“Zuckerman erweist sich an dieser Stelle doch zumindest ansatzweise als einer jener Schriftsteller, die – auch ungefragt und ohne Autorisierung – fremde Erlebnisse in ihre Fiktionen einfließen lassen.

Die Verärgerung Zuckermans über die angeblich fehlerhaften Lektüren seines Romans verliert durch die Darstellung seines kreativen Prozesses immer mehr an Legitimität. Die impliziten ethischen Probleme seiner Arbeitsweise werden von Zuckerman selbst zumindest ironisch reflektiert, wenn er sich trotzig zu einer Art ästhetischem Amoralismus bekennt: „Coldhearted betrayer of the most intimate confessions, cutthroat caricaturist of your own loving parents, graphic reporter of encounters with women to whom you have been deeply bound by trust, by sex, by love—no, the virtue racket ill becomes you.” Dieser inszenierte Widerspruch von Haltung und Verhalten bewirkt ein regelrechtes moralisches Versagen des Schriftsteller, das später im Roman eine familiäre Krise auslösen wird.

Als sich Zuckermans schlechtes Gewissen wegen eines möglichen Verrats an seiner eigenen Familie regt, ist er zunächst erleichtert, dass sein dementer Vater den Roman nicht mehr zur Kenntnis nehmen kann. Doch ein wohlmeinender Nachbar der Familie hat dem im Altersheim lebenden Vater das Buch des Sohnes vollständig vorgelesen, wie Zuckerman gegen Ende der Handlung erfährt. So lässt sich erklären, warum der Vater seinem Sohn als letzten Gruß auf dem Sterbebett möglicherweise den Fluch „Bastard“ mit auf den Weg gibt. Die Implikation ist deutlich: Anstatt in den Grenzen der Fiktion als Kunstwerk rezipiert zu werden, hatte der Roman möglicherweise die gravierendsten realweltlichen, nämlich tödlichen Folgen. Der rapide körperliche Niedergang des eigenen Vaters, das wird zumindest nahelegt, resultierte aus der Lektüre Carnovskys. Der Vorwurf wird von Zuckermans Bruder Henry ausgesprochen: „But you killed him, Nathan. With that book. Of course he said ‚Bastard’. He’d seen it! He’d seen what you had done to him and Mother in that book!” Henry artikuliert noch einmal, stellvertretend für die Masse der Leser, deren biographistische Lektüren Nathan abzuwehren versucht, den fiktionsskeptischen Einwand gegen den Roman: „You can’t believe that what you write about people has real consequences. To you this is probably funny too—your readers will die laughing when they hear this one! But Dad didn’t die laughing. He died in misery“.

Nimmt man diesen Vorwurf ernst, so sind es nicht die Rezipienten, denen es an sozialer und ästhetischer Kompetenz mangelt: Es ist im Gegenteil der Autor, der sich als unfähig erweist, seine Leser zu verstehen, dem das Verständnis für das Rezeptionsverhalten ‚normaler‘ Leser völlig zu fehlen scheint. Verblendet durch das literaturtheoretische Postulat der Autonomie des Kunstwerks und ein Fiktionsverständnis, das sich weniger als deskriptive Erkenntnis des Wesens der Literatur denn als präskriptiver Fiktionsimperativ zu erkennen gibt, zeigt sich der Autor selbst als derjenige, welcher die Rezeptionsstruktur literarischer Texte grundsätzlich verkannt hat. Es sind demnach nicht die aufdringlichen Leser, die den persönlichen Schaden anrichten, sondern der Autor, dessen intellektueller Amoralismus ihm den Blick verstellt für die ethischen Probleme seiner Kunst.

Dass die Wirkungsabsichten und Rezeptionsvorschriften im Umkreis von Texten, die als Schlüsselromane verdächtigt werden, oft widersprüchlich sind, zeigt schließlich eine strukturelle Ironie von Zuckerman Unbound. Denn einerseits werden die ‚inadäquaten‘ Leser der Lächerlichkeit preisgegeben, andererseits werden die zerstörerischen Folgen eines ästhetischen Amoralismus inszeniert, der davon ausgeht, in Fiktion überführte Wirklichkeit habe keine Rückkopplungseffekte mehr auf die Realität, der sie entstammt. Vor allem aber ist der Text selbst schon eine Art von Schlüsselroman, insofern, als die Identifizierung realer Vorbilder hinter den Elementen der Fiktion deutlich herausgefordert wird. Nathan Zuckerman ist das fiktive Alter Ego des Autors Philip Roth: ein jüdischer Schriftsteller, der in New York lebt und einen Skandalroman geschrieben hat. Hinter dem fiktiven Roman Carnovsky lässt sich der reale Roman Portnoy’s Complaint (1969) erkennen, der einen ähnlichen Skandal auslöste wie sein fiktives Gegenstück. Auch der in Kritiken oft erhobene Vorwurf, Roth habe es durch seine satirisch-kritische Form der Darstellung jüdischer Lebenswelten an der nötigen Solidarität gegenüber anderen Juden fehlen lassen, wird in Zuckerman Unbound thematisiert.

Die Ähnlichkeiten zwischen der Figur und der öffentlichen Schriftsteller-Persona lassen den Lesern kaum eine andere Möglichkeit, als den Roman als (zumindest partiell) autobiographischen Text zu lesen.[1] So wird auch der professionelle Leser, der sich mit der Frustration Zuckermans über die biographistischen Lesarten ‚normaler‘ Leser identifizieren kann, gleichermaßen mit der Unvermeidbarkeit dieser angeblichen Rezeptionspathologie konfrontiert; denn eben jene Fragen, die sich die ‚schlechten‘ Leser in Zuckerman Unbound stellen und deren hysterische Überidentifikation von Fiktion und Leben parodiert wird, muss sich der Leser, angesichts der offenkundigen Ähnlichkeiten zwischen Zuckerman und Roth nun selbst stellen: Was ist dem Autor wirklich zugestoßen und was entspringt dem ordnenden Zugriff seiner Imagination?

Anmerkung der Redaktion: Die Beitrag ist in einer etwas anderen Fassung zuerst erschienen als Teil der gerade publizierten Monographie: Indiskrete Fiktionen. Theorie und Praxis des Schlüsselromans 1960-2015. Göttingen: Wallstein 2018. Wir danken dem Autor und dem Verlag für die Genehmigung zur erneuten Veröffentlichung in literaturkritik.de.

[1] Dieser Eindruck wird durch einen intertextuellen Verweis noch verstärkt: Das letzte Kapitel, in welchem Zuckerman mit den familiären Folgen seines Romans konfrontiert wird, trägt den Titel „Look Homeward, Angel“. Es handelt sich um eine Anspielung auf den gleichnamigen Debütroman des US-amerikanischen Schriftstellers Thomas Wolfe (1929), dessen stark autobiographischer Charakter ebenfalls zu familiären Spannungen führte – eine Erfahrung, die Wolfe in seinem posthum veröffentlichten Roman You Can’t Go Home Again (1940) thematisierte. Hier fällt der Protagonist, der Verfasser eines erfolgreichen autobiographischen Romans, einer Art Ostrakismos zum Opfer, als er nach längerer Zeit in sein Heimatdorf zurückkehrt. Familienmitglieder und ehemalige Bekannte fühlen sich von seinem Buch bloßgestellt und beleidigt, der Romancier wird aus der persönlichen Gemeinschaft seiner Kindheit vertrieben. Die Anspielung auf Wolfes Roman, wie auch auf den persönlichen Fall eines Autors, der sich durch die Verarbeitung eigener und fremder Erlebnisse seiner Bezugsgruppe entfremdet, weist Zuckerman Unbound zusätzlich als Reflektion der ethischen und ästhetischen Probleme autobiographischen Schreibens aus.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz