Der Lorbeerkranz zum Fest

Eine Figuration der Flüchtigkeit

Von Ulrike SteierwaldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrike Steierwald

O nehmt ihn weg von meinem Haupte wieder, […]
Daß wie aus einem schönen Traum erwacht
Ich ein erquicktes neues Leben fühle.
Torquato Tasso

Welch’ einen sonderbaren Traum träumt ich?! –
[…] Ich streck, in unaussprechlicher Bewegung
Die Hände streck ich aus, ihn zu ergreifen […].
Prinz Friedrich von Homburg

Der Lorbeer zum Fest der Sieger*innen![1] Schließlich scheint der Kranz untrügliches Zeichen eines zu feiernden Sieges. Der transitorische Akt vegetabiler Bekränzung ist seit der griechischen Antike Bestandteil der Festkultur. Jedoch ist jede Verleihung bei aller befestigenden Ehrung zugleich Geste der Überwindung fester Grenzen (bei Toten-, Hochzeits- wie Siegesfeiern) und wird damit zu einem in der europäischen Geschichte wirkmächtigen ambivalenten Sprachbild. In ihrer repräsentativen Zeichenhaftigkeit allein sind die Lorbeer-Ehren nicht zu fassen. In mythologisch-literarischer Tradition erscheinen sie vielmehr in der materiellen Verschränkung von Form und Transformation auch als eine Figuration der Flüchtigkeit.

So sehr jede Festkultur eine auf Dauerhaftigkeit ausgerichtete Ehrung oder ein zu etablierendes, institutionalisierendes Gedenken zum Ziel hat, schleichen sich in ihre Praktiken immer Momente des Ephemeren ein. Ins Gedächtnis sich einprägende, rauschende Feiern oder ritualisierte Freudenbekundungen über die Wiederkehr von Jahrestagen produzieren zwar oft veritable Erinnerungswerte; der Wunsch nach dauerhafter Manifestation wird aber gleichzeitig über Effekte des Verschwindens und der Auflösung untergraben und damit spannungsreich verstärkt. Was haben die flackernden Kerzen des der Vergänglichkeit preisgegebenen Adventskranzes, Weihnachtsbaumes oder Geburtstagskuchens, was die fliegenden Sektkorken zum Jahreswechsel, was die Flüchtigkeit dieses kleinen Essays mit der machtvollen Geste der Lorbeer-Bekränzung eines als siegreich hervorzuhebenden Hauptes zu tun? Sehr viel. Denn all diesen Sprech-Fest-Akten ist ein transitorischer Gestus gemein: Sprachbilder des Vitalen (Flamme), Festen (Korken) oder Manifestierten (Buchstaben) werden durch einen performativen oder narrativen Aplomb spannungsvoll in eine Konfiguration des Flüchtigen transformiert.

Eine Dialektik von Präsenz, Dauer und bewegender wie bewegter Flüchtigkeit bestimmt die Künste seit ihren Anfängen. So wird auch an den historisch-divergenten Bedeutungszuschreibungen des Lorbeerkranzes erkennbar, dass eine einfache Einordnung als klassisches ikonographisches Sieger-Attribut zu kurz greift. Vielmehr lassen sich für diese Begriffskombination historische Phasen beschreiben, in denen sie dominiert, scheinbar verschwindet oder zwischen verschiedenen sich überlagernden oder abgrenzenden Diskursen – Politik, Krieg, Sport, Kunst – wechselt. In der Beobachtung und Analyse solcher Phasen wird der Lorbeerkranz als sprachbildliche Konfiguration zu einer Art Seismograph für epochale politisch-gesellschaftliche wie ästhetische Grenzverschiebungen.

Die Wortfamilie des altgriechischen στέφανος (stéphanos/Kranz) verbindet in ihrer Wurzel stéph die Zustände des Festen/Dichten, aber auch die transitiven Verbalisierungen des Umgebens und Umschließens.[2] Die Rund- und Reigenfigur des Kranzes ist dabei eng mit der Vorstellung eines ringförmigen Himmels verbunden, die auf die Kosmogonien vorsokratischen Denkens zurückgeht.[3] Es ist also nicht nur nach der Materialität, sondern auch nach der Denkfigur der Kreisform eines Lorbeerkranzes zu fragen. In der Etymologie des Wortes δαφνοστέφανο (dáphnostéphano/Lorbeerkranz) lassen sich sehr sprechende Figurationen ausfindig machen. Die Bedeutungsebenen des Umgebens, des Verfestigens, der Dichte, des Festhaltens, Stützens oder Hemmens[4] (= στέφανος) bergen gleichzeitig das Potential ihrer möglichen Überwindung in einem (Los-)Lösungs- und Befreiungsakt (= δαφνο) in sich, denn im Altgriechischen sind der Name der mythologischen Figur und der Name der Pflanze noch kongruent. Der transaktionale, oszillierende Kopplungseffekt unterschiedlicher Sinnbezüge, den jede Metapher bereithält, wird in der mehrteiligen Begriffskombination ‚Lorbeer-Kranz‘ potenziert und führt so zu einer figurativen Aufladung und spannungsvollen Poetisierung der Sprache. Für den deutschsprachigen Bildbegriff ‚Lorbeerkranz‘ gilt dies in seinen durch Geschichte und Mythologie aufgeladenen Relationen in besonderer Weise.

In der Antike verstand man die mit Opfer und Sieg, Leben und Tod eng verbundenen Auszeichnungen als maßgebliche, die Gesellschaft konstituierende Rituale. Das runde Flechtwerk wurde aus unterschiedlichen Laubsorten hergestellt, die den jeweiligen Gesellschaftsbereichen wie Sport, Kunst, Militär oder Politik in enger Verschränkung zu den religiösen Kulten einzelner Götter zugeordnet werden können.[5] Was diese Ehrenbekränzungen – ob aus Myrten-, Eichen- oder Efeublättern, Oliven- oder eben Lorbeerzweigen – verbindet, ist die Auszeichnung einer mit dynamischer Bewegung verbundenen Überwindung. Es geht um die sportliche Überwindung von Hindernissen, um militärische Überwindungen als feindlich empfundener Begrenzungen und Bedrohungen, um die stimmliche Überwindung des Unsagbaren in der Dichtung. Symposien, Totenfeiern oder religiöse Kulte dienten ebenso als Plattformen für die öffentliche Austragung und Würdigung wie Wettkämpfe oder Siegesfeiern. Die überlieferten bildlichen und epischen Darstellungen zeigen, dass auch die olympische Idee immer auf eine Gesamtschau sportlicher, rhetorischer, politisch-militärischer wie künstlerisch-gestaltender Beweglichkeit und (Macht-)Entfaltung zielte. So wurde der vegetabile Kranz schließlich zu einem übergreifenden, integrativen Bestandteil der die Gesellschaft und ihre herrschenden Schichten wiederum ‚festigenden‘ Festkulturen.

Während beispielsweise in Olympia der Olivenzweig zur Bekränzung der siegreichen Sportler diente oder im Dionysos-Kult Wein- und Efeublätter vorherrschten, war das Heroisierungspotential des Lorbeerblattes nach den ersten erhaltenen Quellen immer schon mit dem apollinischen Kult verknüpft. So wurden die Kultprozessionen um das delphische Heiligtum des Apollon von einem lorbeerbekränzten Kind als Träger und Überbringer (daphnephorós / Lorbeerträger) angeführt, dem ein Chor bekränzter Mädchen folgte. Nach Homer ist das Orakel von Delphi eng mit Apolls Weissagungen aus einem Lorbeerhain (ἐκ δάφνης, / aus dem Lorbeer) verbunden, nachdem der Gott das über das Heiligtum wachende Ungeheuer Python besiegt und damit den Ort in Besitz genommen hatte.[6]

Abb.1: Apollo und Daphne von Gian Lorenzo Bernini, um 1624. Rom, Galleria Borghese.

So vielfältig die mythologisch verbundenen und verbindenden Erzählungen von den Konfigurationen des apollinischen Lorbeers sind – die in der Antikenrezeption des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit herrschende Vorstellung vom Lorbeerbaum als einer weiblich-vegetabilen Verkörperung des Flüchtigen ist vor allem durch Ovids Metamorphosen bestimmt. Ovid holt die sprachbildliche Koinzidenz der festen, ledrigen Blätter des immergrünen Lorbeerbaumes (δάφνη, dáphnē) mit der Transformation der vor Apoll fliehenden Nymphe Daphne erzählend ein. Der verfolgten Daphne gelingt es, sich dem göttlich-apollinischen Liebeswunsch durch die Verwandlung in einen Lorbeerbaum zu entziehen. Sie kann also als heimliche Siegerin gesehen werden, die jenseits attributiver Zuschreibungen selbst zur Lorbeerpflanze wird und damit dem Übergriff und der Herrschaft des Verfolgers entkommt. Dennoch wird der Lorbeer als Attribut des Siegers im Zuge der Antikenrezeption dem Apoll zugeordnet. Und schließlich fungiert das Portrait des lorbeerbekränzten Dichters Ovid in der italienischen Renaissance selbst als Bild des Siegers und Überwinders. Denn seine Metamorphosen beschreiben ja nicht nur die Verwandlung der vor dem Liebeswunsch Apolls fliehenden Bergnymphe, sondern es geht auch um eine Metamorphose der mythologischen Überlieferung selbst. Diese poetologischen Einholungs- und Transformationsprozesse werden das neuzeitliche Bild des Künstlers und Dichters als das eines Liebenden prägen. Die Frage, ob und an welcher Stelle der Verfolgungsgeschichte die transformatorische Überwindung gelingt, ist und bleibt aber offen und bildet in dieser Offenheit ein Movens für weitere zahlreiche ‚Metamorphosen‘ in den Literaturen der Moderne.

Seit der Ovid-Rezeption der Renaissance ist der Lorbeer nicht nur ein Attribut des Apoll, vielmehr wird die Bekränzung Teil seines Körpers. Haar und Lorbeer bilden eine Einheit. Diese Anverwandlung ist weder ein Zeichen des Sieges noch der Niederlage. Die Bildlichkeit wird zu einer Konfiguration des künstlerischen Aneignungs- wie Produktionsprozesses. Auch wenn sich die apollinisch-männlich besetzte Rolle des Künstlers im Zuge der Moderne immer wieder stark wandelte, blieben Relikte dieser Vorstellungen von der Figur des Künstlers bzw. Dichters als eines Jagenden und zugleich Gejagten bis heute erhalten, wobei die Rollen genderneutral gewechselt werden können. In Berninis Skulptur (Abb. 1) gehen die beiden sexuell indifferenten Körper und der Lorbeer in einer gemeinsamen Bewegung scheinbar ineinander über und werden so zur transitorischen Figura der Metamorphose.

Doch zurück zu den historischen Kulturen der Bekränzung: In den christlichen Liturgien und politischen Machtentfaltungen des hohen Mittelalters zerbrachen die integrativen Gesellschaftsformen und Festkulturen der Antike. Die Zusammenschau von religiösen Kulten, künstlerischen wie sportlichen Wettkämpfen und politischen wie militärischen Beweisen der Selbstbehauptung gelingt nicht mehr. Der Olymp ist leer. Der Lorbeerkranz verschwindet im religiösen wie politischen Diskurs aus dem Formenrepertoire siegreicher Überwindung. Ersetzt wird er im sakralen Bereich durch die Dornenkrone und den mit ihr verbundenen Verweisungsgestus auf eine der weltlichen Macht entgegengesetzte, transzendental wirksame wie mächtige Gottesvorstellung. Im Bereich des Irdischen löst die kaiserliche Krone als Teil der Insignien des Heiligen Römischen Reiches den antiken Kranz ab. Je deutlicher der Lorbeer aus dem politischen und religiösen Diskurs verschwindet, umso mehr wird er in spätem Mittelalter und Früher Neuzeit zur höchsten Auszeichnung des Dichters. Aber auch wenn die poetae laureati der Renaissance sich gern als Grenzüberwinder und Bindeglieder zwischen antiker Tradition und deren Wiedergeburt in einer neuen Zeit sahen, auch wenn eine genealogisch gedachte Geschichte den Kranz scheinbar mit Leichtigkeit von den kaiserlichen Häuptern auf die Köpfe der Künstler übertragen sollte – der integrative Effekt einer Einheit stiftenden gesellschaftlichen Machtentfaltung wie in der Antike war verloren. Denn ein Kranz ist nun mal keine Krone. Die Künste sind als eine ausgezeichnete und zugleich als das Andere gezeichnete Gattung separiert und in exponierter Stellung zur Betrachtung freigegeben.

Und je heftiger das Heilige Römische Reich ins Wanken gerät, desto intensiver werden die literarischen und ikonographischen Beschwörungen siegreichen Heldentums in den als ‚Antike‘ aufgerufenen Traditionszusammenhängen, umso inflationärer wird die Vergabe des Kranzes an den poeta. Zelebriert wurde sie in der Gegenüberstellung des Ehre und Würde verleihenden Kaisers bzw. seines mit kaiserlichem Vergabeprivileg ausgestatteten Repräsentanten mit dem weniger Sieg als Demut ausstrahlenden, kniend empfangenden Dichter. Die Skepsis gegenüber dieser Auszeichnung war unter den deutschsprachigen Schriftstellern allerdings bereits seit den Anfängen des 18. Jahrhunderts stetig gewachsen. Die Rituale einer entsakralisierten wie entzauberten Auszeichnung waren als Formen der Ausgrenzung durchschaut und brachten den Lorbeer als exklusives Dichtersignet auch im Rahmen der nachbarocken Antikenrezeption in Verruf. Die in jeder Hervorhebung liegende separierende Grundrelation zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft wird gerade in Deutschland, im Zuge der Entstehung einer dominanten bürgerlichen Öffentlichkeit und deren eigener ‚Nationalliteratur‘, als eine ambivalent einzuschätzende Sonderstellung gewertet. Die letzte Kranzvergabe fand 1804, also rund zwei Jahre vor Auflösung des Reiches, statt. Sprechenderweise tauchen die Kränze jetzt, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in historisierender oder zitierender Absicht auch in anderen gesellschaftlichen Diskursen als Ehrenbezeugungen wieder auf.

Ersten und letzten Höhepunkt der Selbstdarstellung eines modernen, den Lorbeerkranz als integratives Zeichen der Anerkennung ersehnenden und zugleich ablehnenden Dichters sehen wir in Goethes Torquato Tasso[7], entstanden 1790, zu Beginn der Französischen Revolution und wenige Jahre vor den europäischen Kriegen für oder gegen einen aus unteren Schichten stammenden, von Goethe verehrten Kaiser Napoleon. Goethe führt die Figur des Renaissance-Dichters Torquato Tasso im ersten Aufzug seines Schauspiels durch ein regelrechtes Potpourri von Bekränzungsszenen ein. Sie beginnen mit den barocken Schäferspielen der beiden Leonoren, die im Garten des Lustschlosses Belriguardo, im „Schatten dieser immer grünen Bäume“[8], die Hermen des Vergil und Ariost mit Kränzen schmücken. Die immergrünen Bäume erinnern an den delphischen Hain und lassen die Ehrung der steinernen Häupter zu einem traditionsbewussten, gebildeten wie in spielerisch souveräner Leichtigkeit vollzogenen Spiel werden. Aber erst der liebevolle Blick der beiden Frauen auf den Zeitgenossen, den in sich gekehrten Dichter Tasso, macht den schönen Reigen historischer Zitate als Akt der Fokussierung auf das hier ins Zentrum der Macht zu rückende ‚Objekt‘ erkennbar. Der Versuch, den als Künstlertypus aus den Genievorstellungen des 18. Jahrhunderts entsprungenen Tasso durch eine zur Bekränzung der steinernen Büsten analoge Ehrung zu integrieren, muss scheitern. Das hervorzuhebende und auszuzeichnende Objekt begreift sich bereits als widerständiges, schöpferisches Subjekt. Die Identifikation des Autors Goethe ist unübersehbar, Distanz und Abgrenzung sind es allerdings auch. Bald wird er den Lorbeer selbst in die Hand nehmen und den Anspruch stellen, im Rahmen von Kanon und Kritik würdigend wie selektierend über Ehre oder Missachtung zu entscheiden. Das Weimarer Goethe-Schiller-Denkmal von Ernst Rietschel zeigt einen Goethe, der den Lorbeer nicht auf dem Haupt, sondern in der Hand trägt. Die Frage, wer oder was diesem merkwürdig fliegenden Kranz die Stabilität gibt, bleibt offen (Abb. 2). Schiller jedenfalls nicht.

Abb. 2: Goethe-Schiller-Denkmal von Ernst Rietschel, 1857. Weimar, Theatervorplatz.

„Die schöne Last“ des Kranzes, aus „teuren Händen“ kniend empfangen[9], birgt bereits in Goethes Künstler-Drama von 1790 nur Konfliktpotential. Die mit ihr verbundene Poetologie des Flüchtigen und der Liebe wird in diesem Text eher von den beiden Frauenfiguren als vom Protagonisten aufgerufen.

Leonore.
Hier ist die Frage nicht von einer Liebe,
Die sich des Gegenstands bemeistern will,
Ausschließend ihn besitzen, eifersüchtig
Den Anblick jedem andern wehren möchte.
Wenn er in seliger Betrachtung sich
Mit deinem Werth beschäftigt, mag er auch
An meinem leichtern Wesen sich erfreun.
Uns liebt er nicht, — verzeih daß ich es sage! —
Aus allen Sphären trägt er was er liebt
Auf einen Namen nieder den wir führen,
Und sein Gefühl theilt er uns mit; wir scheinen
Den Mann zu lieben, und wir lieben nur
Mit ihm das höchste was wir lieben können.[10]

Der Dichter ist nur zu narzisstisch-produktiver Selbstliebe fähig. Tasso leidet zwar an seinem Ringen um sprachliche Gestaltung, letztlich triumphiert jedoch der künstlerisch wie gesellschaftlich sich behauptende Dichter über die ephemere, flüchtige Gestalt der Liebe. Das hervorgehobene Individuum kann ohne Attribut auskommen und wird gerade damit zur göttlichen, apollinischen Figur verklärt. Stellt man die Gewinner-/Verlierer-Frage in der mythologischen Konstellation der Metamorphose und künstlerischen Transformation, so ist die Antwort eindeutig: Daphne ist hier die klare Verliererin.

Abb. 3/4: Der Apoll vom Belvedere, Rom, Vatikanische Museen, neben Johann Wolfgang von Goethe von Alexander Trippel, 2. Fassung, Sign.: FECIT IN ROMA 1790. © Klassik Stiftung Weimar.

„Meine Büste ist sehr gut geraten; jedermann ist damit zufrieden. Gewiß ist sie in einem schönen und edlen Stil gearbeitet, und ich habe nichts dagegen, daß die Idee, als hätte ich so ausgesehen, in der Welt bleibt.“[11] In der Entstehungsphase des Tasso kreierte Alexander Trippel seine als Apoll-Double gestaltete Goethe-Büste, bei der der Lorbeerkranz sprechenderweise fehlt (Abb. 3). Goethes retrospektiv in der Italienischen Reise in Briefform festgehaltener Kommentar spricht für sich. Der Gipsabdruck des Marmors diente zur Serienanfertigung – der Produktion und Reproduktion des neuen klassischen Dichterbildes. Wie bei der in der Antikenrezeption dieser Zeit als Replik bereits omnipräsenten Statue des Apoll vom Belvedere ist der Kranz durch den lockenprächtigen, wenn auch etwas bescheidener ausfallenden Haarknotenaufsatz über der Stirn abgelöst. Nicht Gott, aber ebenso wenig Mensch – die Zwischenposition eines narzisstisch-produktiven Selbstverständnisses findet in Tasso sein Konterfei: „Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, / Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide.“[12]

Ein Schauspiel, das seine Handlung ebenfalls mit der Fokussierung eines Lorbeerreigens initiiert und zu Goethes Tasso in einer deutlichen wie hochprekären Verbindunglinie steht, ist bekanntlich Heinrich von Kleists Prinz Friedrich von Homburg (1809–1811).[13] Beide Texte bieten zu Beginn Szenen einer Bekränzung mit dem Lorbeer, sie könnten in ihren jeweiligen Konsequenzen aber gegensätzlicher nicht sein. Das Sprachbild des Lorbeerkranzes wird in Kleists Drama zu einer vollkommen anderen Denkfigur. Dieser Kontrast betrifft sowohl das Bild des liebenden Verfolgers als auch die mit ihm eng verknüpfte Kunst des Ephemeren und Flüchtigen. Zwischen den Entwürfen der Figur des Tasso und der des Prinzen liegen nicht nur zwanzig Jahre, nicht nur der Generationensprung zwischen zwei konkurrierenden, bis in tiefste Kränkungen sich versteigenden Dichtern. Revolution, Terreur, ganz Europa erfassende Kriege und das Phänomen ‚Napoleon‘ haben in einer bis dato unbekannten Dynamik der Umwälzung und Verwerfung das auf sakrale Dauer angelegte Heilige Reich zu Geschichte gemacht und auch die Frage nach Zeitlichkeit wie zeitlicher Bedingtheit der Künste vollkommen neu formuliert. Napoleon zeigt sich in seiner bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts medial omnipräsenten Werbebildsprache durch einen vergoldeten Lorbeerkranz ‚gekrönt‘ – aber die Insignie ist nur noch historisches Zitat. Der Kranz scheint zwar wieder von einem festigenden, beglaubigenden Charakter politischer Macht geprägt, die extrem beschleunigte Vergänglichkeit seiner Effekte lässt ihn jedoch zugleich wie ein Requisit aus Des Kaisers neue Kleider erscheinen. Kleists antinapoleonische Haltung ist bekannt. Im Kontrast zu Goethes Verehrung für das neue Potential der ‚Naturgewalt‘ des antifeudalen Herrschers lässt sich in dieser Ablehnung nicht nur ein politisches Statement erkennen, sondern auch die Aversion gegenüber einer in ihrer Werbewirksamkeit durchschauten Attitude der Macht.

Bereits im ersten Aufzug des Schauspiels Prinz Friedrich von Homburg wird eine ganz andere Szene der Lorbeerbekränzung aufgemacht, als wir sie im Zitat-‚Reigen‘ der beiden Leonoren lesen konnten. Der Protagonist wird nicht durch das gelehrte Gespräch zweier Frauen in den Brennpunkt des Geschehens gerückt, sondern in einer analytischen, im doppelten Sinne ‚peinlichen‘ Befragung zur Darstellung seines Traumbildes aufgefordert.

Prinz Arthur.
Welch’ einen sonderbaren Traum träumt ich?! –
Mir war, als ob, von Gold und Silber strahlend,
Ein Königsschloß sich plötzlich öffnete,
Und hoch von seiner Marmorramp’ herab,
Der ganze Reigen zu mir niederstiege,
Der Menschen, die mein Busen liebt […].[14]

Prinz Friedrich Arthur von Homburg ist kein Dichter, er ist ein Liebender und fatalerweise zugleich Soldat und Aristokrat. Seine narzisstischen Selbstbespiegelungen werden, anders als bei Tasso, als massive Störungen und Selbstzerstörungen erfahren und sind dem Protagonisten in ihren Symptomen der Isolation selbst quälend bewusst. Die Überwindung bzw. der Verlust dieses Narzissmus in der Konfrontation mit dem Grab, in der es den eigenen Tod zu denken gilt, gehört bekanntlich zu den stärksten transitorischen Szenen deutschsprachiger Literatur:

Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein!
Du strahlst mir durch die Binde meiner Augen,
Mit Glanz der tausendfachen Sonne zu!
Es wachsen Flügel mir an beiden Schultern,
Durch stille Aetherräume schwingt mein Geist;
Und wie ein Schiff, vom Hauch des Winds entführt,
Die muntre Hafenstadt versinken sieht,
So geht mir dämmernd alles Leben unter:
Jetzt’ unterscheid’ ich Farben noch und Formen,
Und jetzt liegt Nebel Alles unter mir.[15]

In dem Moment, in dem der Prinz sämtliche Ehrenzuschreibungen verliert – nicht nur die ersehnten militärischen oder gesellschaftlichen, sondern, und das ist das Entscheidende, auch die Achtung der „Menschen, die mein Busen liebt“[16] –, werden die Zeitlichkeit scheinbar aufgehoben, Sterblichkeit und Flüchtigkeit in der Todesvision zur Sprache gebracht. Verlust und Befreiung gehen ineinander über. Die Metamorphose gelingt, Daphne ist hier die implizite transitorische Figur der Überwindung, und der Sieg gehört ihr. Im Gegensatz zur sozialen Selbstbehauptung und Festigung der Position des Künstlers in Torquato Tasso, der den Lorbeer hinter sich lässt, endet Kleists Schauspiel wieder in und mit der Reigenform, mit dem Lorbeerkranz, mit dessen verführerischem Wunschbild alles begann. Die Paradoxien der Grenzerfahrungen von Liebe und Todesangst werden in der scheinbaren Koinzidenz von Manifestation und Flüchtigkeit im„augenblickliche[n] Stillschweigen“[17], in der Ohnmacht und im Moment des Glücks erfahren. So beginnt und endet das Drama konsequent in dieser schlafwandlerisch-sicheren Konfiguration der Flüchtigkeit: Die nicht verifizierbare Zuständlichkeit des Glücks kann nur im fiktionalen Kippmoment der Grenzerfahrung aufscheinen. Denn die Liebe ist und bleibt als reale Erfahrung – „Ein Traum, was sonst?“[18]

 

Zu Ehren von Barbara Naumann, Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur an der Universität Zürich, anlässlich ihrer Abschiedsvorlesung am 12. Dezember 2019, 18.00 Uhr, in der Aula der Universität. In gekürzter Form erscheint dieser Essay auch in der Festschrift für sie im Aisthesis Verlag.

Anmerkungen
 

[1] Während ich der naiv-euphemistischen Sternchen-Regelung, die meint, das grenzüberwindend Transitorische im Genderdiskurs durch eine normative Vorgabe endlich eingeholt zu haben, eher skeptisch gegenüberstehe, setze ich das Sternchen hier im Bewusstsein seiner Flüchtigkeit für alle Sieger*innen gern.

[2] Vgl. Tomáš Drvota: Die Kosmologie des Parmenides. In: Listy filologické/Folia philologica 129, 1/2, 2006, 1-50, hier 4. http://www.jstor.org/stable/23468453 (zuletzt gesehen: 20. 11. 2019).

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. Hjalmar Frisk: Griechisches etymologisches Wörterbuch. Bd. 2: Kp – Ω. Heidelberg: Winter, 1970, 794 f.

[5] Vgl. Michael Blech: Studien zum Kranz bei den Griechen. Berlin/New York: de Gruyter, 1982. Dieser historische Überblick ist immer noch maßgeblich.

[6] Vgl. Emma Louise Brucklacher/Bastian Max Brucklacher: Lemma: Lorbeerkranz. In: Compendium heroicum. https://www.compendium-heroicum.de/lemma/lorbeerkranz/ (zuletzt gesehen: 20. 11. 2019).

[7] Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso. Ein Schauspiel. Leipzig: Göschen, 1790. [Deutsches Textarchiv]. http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/goethe_torquato_1790 (zuletzt gesehen: 20. 11. 2019).

[8] Ebd., 5.

[9] Ebd., 32.

[10] Ebd., 15.

[11] Johann Wolfgang von Goethe: Den 12. September 1787. In: ders.: Italienische Reise. Goethes Werke in 14 Bänden. Hg. v. Erich Trunz. Bd. 11: Autobiographische Schriften III. München: C. H. Beck, 2002, 397.

[12] Goethe: Torquato Tasso, 221.

[13] Heinrich von Kleist: [Prinz Friedrich von Homburg oder] Die Schlacht bei Fehrbellin. Schauspiel in fünf Akten. Wien/Berlin: Wallishauser u. Reimer [UA Wien 1821, Erstdruck: 1822]. [Deutsches Textarchiv]. http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/kleist_fehrbellin_1822 (zuletzt gesehen: 20. 11. 2019).

[14] Ebd, 9 f.

[15] Ebd., 102.

[16] Ebd., 10.

[17] Ebd., 104 [Regieanweisung].

[18] Ebd., 104.