100 Jahre Übermenschen
Markus Dichmann fasst mit „Boooom!!!“ die wunderbare Geschichte der Superhelden-Comics in ein Buch
Von Walter Delabar
Nun gut, es sind noch keine 100 Jahre, nicht einmal 90, aber die paar Jahre kann man ruhig unterschlagen, zumal es – antike Heroen hin, Übermensch her – durchaus auch belastbare Vorgänger der gängigen Superhelden gibt, um die es im wunderbaren Band von Markus Dichmann geht. „Boooom!!!“ macht es in der Welt der Superhelden – mit vier Os und Ausrufezeichen –, und damit liegt dann so eine Art reflektierte Geschichte des (Comic)Genres vor, für die man einigermaßen dankbar sein darf. Im Jahr 1938 erschien der erst Comic mit jenem menschenähnlichen Alien, der sich trotz seiner übermenschlichen Kräfte einmal nicht vorgenommen hatte, gleich die ganze Welt zu unterjochen, sondern sich lieber als Weltretter aufspielte. Superman stemmt gleich mit seinem ersten Erscheinen auf dem Titel eines Blattes, das sich klangvoll „Action Comic“ nannte, ein seinerzeit hypermodernes Gefährt und schmettert es gegen den nächstbesten Felsen – als ob unsereiner das nicht auch ganz gut könnte, einmal nicht aufgepasst im Straßenverkehr. Die keineswegs feine Ironie dieser Zeichnung steckt freilich darin, dass jener Typus Superheld, dessen Entstehung sich der Überforderung des modernen Menschen mit dem, was man moderne Welt nennt (also das tägliche Gewusel um uns herum) verdankt, gleich das wichtigste Symbol des Modernen, das selbstfahrende Gefährt zunichte macht.
Und aus dieser Zwangslage kann niemand die Superhelden, die seitdem in ungeahnter Zahl und Variation die verschiedenen Comic-Kosmen bevölkern, befreien – nicht einmal ihre Antagonisten, die Lex Luthors und Joker dieser Comic-Welten, die überhaupt erst für die drohenden Weltuntergänge zuständig waren. Und auch die Negativvariante der Superhelden – die Anti-Helden, die das Weltrettungsprogramm der Superhelden aus anderer Perspektive zu schreiben bereit waren – blieben den Verstrickungen, denen wir nicht entrinnen können, verpflichtet, in der es auf jeden Einzelnen ankommt und alle einem rigiden System unterworfen sind. Es kommt jeweils auf den Blick an.
Markus Dichmann nun nimmt genau diese Unentrinnbarkeit als Muster, mit dem er die unerhört vielfältige Entwicklung des Genres seit den späten 1930er Jahren schildert.
Dabei geht er gleich zu Beginn auf die naheliegenden Erklärungsmuster los, die den Superhelden bis heute anheften: Darin werden Komplexitätsreduktion eines Genres, das auf Jugendliche abzielt, und einfache Lösungen (Draufhaun) anbietet, mit gesellschaftskritischen Positionen verbunden, die nicht zuletzt aus dem historischen Kontext entlehnt werden, dem das Genre entstammt: Immer dann, wenn die Superhelden reüssieren, sei das, so referiert Dichmann den britischen Comic-Autor Alan Moore, Anzeichen für den Aufstieg eines faschistoiden politischen Systems, das eben den mächtigen Einzelnen (vor allem den da ganz oben) und die Wirksamkeit seiner Handlungen in einer Welt propagiert, die recht simpel auf Gut und Böse getrimmt ist. Wenns danach geht, leben wir in keinen guten Zeiten – und Hand aufs Herz, wer würde das auch behaupten.
Dichmann hingegen hat es mit solchen einfachen Erklärungsmustern nicht, eben weil er zum einen dem Selbstermächtigungsgestus, den das Genre anbietet, durchaus etwas abgewinnen kann (war halt auch mal jung). Zum anderen sieht er in den zahlreichen Variationen des Genres eben auch den Widerspruch gegen die katastrophischen Ambitionen politischer Bewegungen, die in der Ermächtigung eines Einzelnen die Rettung der Welt vor ihren Widersprüchen oder ihrer Komplexität versprechen.
Dichmann arbeitet dabei mit einem Superhelden-Verständnis, das eingestandenermaßen auf den kryptonstämmigen Kerl im enganliegenden Anzug als Typus zurückgeht, der zwar fliegen und die Welt retten kann, aber als Clark Kent seine Lois Lane immer nur vergeblich anhimmelt. Superhelden haben eben auch ein Privatleben.
Vier Kriterien sind es, die den Superhelden dieser Machart ausmachen: seine Aufgabe (Mission Weltrettung), seine Superkräfte, seine Privatexistenz und eben seine enge Anbindung ans Amerikanische. Das ist insofern nachvollziehbar (und auch als Arbeitshypothese denkbar), weil auf diese Weise die Comic-Superhelden von anderen kulturellen Reaktionsformen hinreichend unterschieden werden können. Und dass bei dieser Gelegenheit das Genre unentrinnbar mit den USA verbunden wird, ist, solange Marvel und DC ihren Sitz in den USA haben, plausibel.
Mit diesem Erkenntnismuster ausgestattet, treibt Dichmann uns durch die Zeitalter, die das schnelllebige Genre seit dem ersten Auftritt jenes Superman durchlebt hat. Statusgemäß beginnt es mit dem Goldenen, geht zum Silbernen und Bronzenen über, um dann in der Gegenwart zu enden. Ein Dark Ages gibt’s sogar auch noch. Da ist man ganz klassisch. Beeindruckend ist dabei nicht nur, dass die Zahl der Superhelden ganz schön in die Breite geht, sondern dass die alten Helden ihre sämtlichen Rosskuren und Häutungen spielend überleben. Mehr oder weniger frei nach dem Motto, dass man sich nur treu bleiben kann, wenn man sich ändert. Und das eben nicht nur in der Zeichentechnik, sprich Dynamik der Figuren, sondern auch in der Komplexität der Stories und sogar der Charaktere. Die Comics machen dabei alles mit, was mitzumachen ist, Selbstermächtigung und Selbstzweifel, Zerfall klassischer Männlichkeitsmuster und Restituierung des dominanten Männerbildes. Dass nach den zahlreichen Sündenfällen der Helden, die sich dabei einiges zu Schulden kommen lassen, bis hin zur eigenen Untat letalen Ausgangs, allerdings die Superhelden wieder als Identifikationsfiguren weißer männlicher Milchreisbubis dienen sollen, denen ansonsten die Vorbilder in der nun auch noch woken Superheldenwelt verloren gehen, geht ein bisschen zu weit.
Auch wenn die Griesgrämigkeit (besonders prägnant im Legoformat) Batmans ziemlich nerven kann und Punisher im Comic vor Kraft nicht laufen kann, sind solche – ja, wirklich – gebrochenen Gestalten allemal akzeptabler als die selbstgerechten Weltenretter, die angeblich gerade jetzt gebraucht werden. Die tun auch, was ihnen gefällt und nutzt und geben es als gute Tat aus. Dann lieber keine Weltrettung.
|
||















