Die Zigarette – zurück zum Stil
Über das Rauchen in den Filmen „Die Anfängerin“ und „Der Hund begraben“
Von Theresa Müller
Nahaufnahme. Die Hand bewegt sich in Richtung Mund. An einem Feuerzeug entzündet sich eine kleine Flamme. Ein langer Atemzug lässt die Zigarette erglimmen. Rauch steigt langsam nach oben. Die Kamera entfernt sich. Der Protagonist zieht genüsslich, hektisch, beiläufig oder nachdenklich an der Zigarette. An einer Marlboro, einer Selbstgedrehten, einer Aufgeklaubten oder einer Zugesteckten.
Die Zigarette gibt als Requisit der Figur etwas in die Hand, womit sie spielen kann. Sie erzählt etwas über die Figur und ihre Zeit. Doch heute sieht man kaum noch Raucher im Film, denn Zigaretten gefährden nicht nur die Gesundheit, wie unlängst auf Tabakverpackungen mit Fotos verstärkt demonstriert wird, sondern bedeuten auch ein Risiko für das Image und somit auch für den Profit. Von der Weltgesundheitsorganisation wurde gar die Forderung gestellt, dass die Altersfreigabe für Filme mit Raucher-Szenen nach oben gesetzt werden solle. Dabei ist gerade das Kino „eine Schule der Semiotik des Rauchens“, wie der Filmkritiker Georg Seeßlen behauptet. Es gibt unendlich viele Arten des Rauchens, die ein Statement setzen können, aber auch die Zigarette selbst kann sehr unterschiedlich gedeutet werden. Bei Jugendlichen wird die Zigarette zum Symbol einer subversiven Haltung. Im Wilden Westen galt sie als Zeichen von Freiheit und Männlichkeit. Und im Film gehörte der rauchende Kriminalpolizist auf der Suche nach dem Verbrecher bis in die 1970er Jahre zur Norm. Die Zigarette war lange ein beliebtes Requisit und manchmal auch der Beginn einer Story wie in Pierre Arditis Filmen Smoking und No Smoking. Inzwischen ist die Zigarette aus den Händen von Schauspielern fast ganz verschwunden. Heute findet man sie meist nur noch in den Mundwinkeln von Schurken und Antihelden, was nicht verwundert in einer Gesellschaft, in der man sogenanntes Superfood und Soja-Milch einkauft, weil Influencer auf Instagram das gesunde Leben predigen. Seit einigen Jahren findet eine Sanktionierung des Zigarettenkonsums statt, welche sich im Film stärker niederschlägt, als es in der Realität der Fall ist. Dabei ist es auch die Aufgabe des Mediums Film, Realitäten zumindest wahrzunehmen. Auch wenn nur noch eine Minderheit rauchen mag, so ist sie dennoch nicht wegzudenken, denn mit ihr würde auch eine Sprache verschwinden – die Sprache der Zigarette. Schließlich macht es durchaus einen Unterschied, ob beispielsweise eine Zigarette oder ein Strohhalm zwischen den Lippen steckt.
Rauchen im Film ist nicht nur eine Form der Darstellung der Figur und eine Sprache zwischen Subjekten, es schafft auch eine Atmosphäre. Leider ist das in den aktuellen Filmen viel zu selten der Fall, wie zuletzt das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen zeigte. Dennoch ganz verschwunden ist die Zigarette aus dem deutschen Film noch nicht. Das demonstrieren Filme wie Die Anfängerin oder Der Hund begraben, die auf dem Festival gezeigt und diskutiert wurden. In Die Anfängerin, ein Film von Alexandra Sell, ist es die Ärztin Annebärbel Buschhaus (Ulrike Krumbiegel), die an der Zigarette zieht, um einen Moment der Ruhe zu finden. Annebärbel ist gezeichnet von ihrer Kindheit in der DDR, von Isolation und von ihrer strengen Mutter Irene (Annekathrin Bürger), nach deren Anerkennung sie sich sehnt und die nur Kritik für sie übrig hat. Und so geht sie griesgrämig und ohne Empathie ihren Patienten und Mitmenschen gegenüber zeigend durch den Alltag. Immer wieder steckt sie sich eine Zigarette an, raucht mit eingefrorenem Gesichtsausdruck. Die Zigarette funktioniert in diesem Film als Symbol eines Lasters und verstärkt das Bild einer unzufriedenen und lustlosen Frau. In Zeiten von Selbstoptimierung und Fitnesswahn gehört sie zu einer Randgruppe, die sich schon mal missachtende Blicke gefallen lassen muss. Rauchen ist längst verpönt und wird fast ausschließlich als selbstschädigend angesehen, doch das scheint Annebärbel alles gleichgültig zu sein. Leider verliert die Handlung mit der Zeit an Glaubwürdigkeit, sodass der Film letztlich einem Kindermärchen ähnelt: Als Kind wollte die Ärztin Eiskunstläuferin werden, doch die Mutter sah in ihr kein Talent, wovon nur Alptraum-ähnliche Erinnerungen zurückbleiben. Mit 58 Jahren wagt sie sich dennoch wieder aufs Eis und kämpft um die Anerkennung ihrer Mutter. Im blauen Kleidchen und mit Blümchen im Haar tritt sie schließlich bei einem Schaulaufen auf und erreicht, was sie sich so sehnlichst gewünscht hat: Den Applaus der Mutter. So verwandelt sich eine alte, unsympathische rauchende Frau in eine glückliche, ihren Kindheitstraum erfüllende Tochter. Die Zigarette funktioniert in diesem Film daher als Verstärker, um das Klischee-Bild einer Antiheldin aufzuzeigen.
Anders ist es in dem Film Der Hund begraben, in dem die Zigarette zum Anlass für Handlungen wird und die Story vorantreibt. Hans (Justus von Dohnányi) verliert seinen Job, traut sich jedoch nicht, seiner Familie davon zu erzählen, was zu Beginn nicht schwerfällt, da ihn daheim ohnehin keiner mehr so richtig beachtet. Denn eines Abends lief der Familie ein streunender Hund zu. Seither sitzt Hans nunmehr alleine am Küchentisch, während sich vor allem seine Ehefrau Yvonne (Juliane Köhler) nur noch für den Hund interessiert. Trotz allem versucht Hans in der Rolle des perfekten Vaters und Ehemanns zu bleiben. Mit grandiosem schwarzem Humor erzählt der Regisseur Sebastian Stern die Geschichte eines Mannes, der seine Probleme nicht ausdrücken kann, und die einer Familie, in der alle nur noch nebeneinander existieren. Von einer Werbetafel inspiriert, kauft Hans sich ein Cabrio und fährt über das Land dem ersehnten Glück hinterher. Als plötzlich der Hund auf die Straße springt, kann er nicht mehr rechtzeitig bremsen. Mike (Georg Friedrich), den Hans in einer Kneipe trifft, bietet ihm an, bei dem toten Hund zu helfen. Dennoch multiplizieren sich die Probleme, sodass die Figuren in immer groteskere Situationen geraten. Immer dann, wenn Hans’ Fassade zu bröckeln droht und sein schauspielerisches Können versagt, verschwindet er nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen. Einatmen, Ausatmen, Nachdenken. Die Zigarettenpausen werden zu wichtigen Momenten, in denen Entscheidungen und Absprachen getroffen werden. Damit nimmt das Rauchen eine wichtige dramaturgische Rolle ein. Es würde auch komisch und verdächtig wirken, bei kalten nächtlichen Temperaturen ohne Zigarette hinterm Haus zu stehen. Die Zigarette wird im Film zum Zeichen der Krise und zum Begleiter existenzieller Momente. Dabei möchte Hans nur wieder die Kontrolle über die Situation erlangen und vielleicht auch einfach mal kurz ausatmen.
Das Rauchen führt jedoch letztlich nicht immer zu Entscheidungen, denn manchmal ist es eine Pause von der verspürten Einsamkeit, wie in Die Anfängerin. Manchmal ein Grund, um sich abseits des Geschehens mit anderen Personen zu treffen. Und manchmal ist die Zigarette, wie Jim Jarmusch, der Regisseur des Episodenfilms coffee and cigarettes, sagt, „just a pretext for showing the undramatic part of your day, when you take a break […]. It’s a pretext for getting characters together to talk in the sort of throwaway periods of their day.“ (siehe Interview auf indiewire.com) Es sind diese kleinen, scheinbar unbedeutenden Momente, die eine Story und manchmal auch einen Film ausmachen. Doch leider stellt der rauchende Protagonist zunehmend die Ausnahme dar, in einer Filmlandschaft, in der man vor allem ökonomischen Interessen folgt und Stereotypen abbildet. Zu den wenigen Ausnahmen gehören fast nur noch Arthouse-Filme, die ab und zu noch die narrativen Codes aufbrechen. Das Rauchen bleibt jedoch in der Regel dem Typus des Antihelden zugeschrieben. Es wäre schade, wenn die Sprache der Zigarette verschwinden würde, diese kann doch so wunderbar vieldeutig sein.
Besprochene Filme
Die Anfängerin
Deutschland 2018
Regie: Alexandra Sell
Darsteller: Ulrike Krumbiegel, Annekathrin Bürger, Maria Rogozina
99 Minuten
Der Hund begraben
Deutschland 2017
Regie: Sebastian Stern
Darsteller: Justus von Dohnányi, Georg Friedrich, Juliane Köhler
86 Minuten
Besprochene Lektüre
Georg Seeßlen: „Eine letzte Zigarette“. In: Deutsches Filminstitut (Hg.): Thank you for Smoking. Die Zigarette im Film. München 2014, S. 208-213.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen