Die Diebin und der Kommissar

Mit „Leiser Tod“ setzt der Unionsverlag seine Ausgabe der Inspector-Challis-Romane des Australiers Garry Disher fort

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Inspector Hal Challis muss in Leiser Tod, dem sechsten auf Deutsch erschienenen Roman mit dem australischen Polizisten als Protagonisten, auf seine Partnerin Ellen Destry, mit der er seit Band 5 (Rostmond, Unionsverlag 2010) auch ein Paar bildet, komplett verzichten. Gerade wo ein Sexualverbrechen das kleine, unterbesetzte Revier des südlich von Melbourne gelegenen Städtchens Waterloo auf Trab hält, befindet sich Destry auf einer zweimonatigen Weiterbildung in Sachen „Sexueller Missbrauch“ im fernen Europa. Also bleiben dem in seiner Freizeit an einem alten Flugzeug herumbastelnden Inspector nur noch die eifrige und ihren Chef heimlich anhimmelnde Pam Murphy und der für den harten Job offensichtlich zu zartbesaitete Scobie Sutton, um sich dem Fall einer nackten jungen Frau zu widmen, die völlig verstört am Rande eines Naturschutzgebietes aufgegriffen wurde.

Garry Disher (Jahrgang 1949), den deutschen Lesern fast ausschließlich bekannt durch seine Kriminalromane, während man ihn in seiner australischen Heimat auch noch wegen seiner zahlreichen Kinder-, Jugend- und Sachbücher schätzt, lässt seinen Helden, nachdem eine zweite entführte, vergewaltigte und getötete Frau aufgetaucht ist und die Gegend zusätzlich von einem Bankräuber und einer raffinierten Diebin heimgesucht wird, kein Blatt vor den Mund nehmen. Einem Reporter der örtlichen Presse gegenüber macht er die Bemerkung, dass man die Millionen für das alljährliche Formel-1-Rennen in Melbourne besser in modernere Ausrüstung und mehr Personal für die Polizei investieren sollte. Von da an steht er auf der Abschussliste einer Behörde, die sich von den eigenen Beamten nur ungern das Nest beschmutzen lässt.

Weil auch der Täter, der bald schon das dritte Opfer in seine Gewalt bringt, bei seinen Gewalttaten zur Einschüchterung der jungen Frauen eine Polizeiuniform trägt, ist zusätzliche Eile geboten. Was zunächst heißt: Polizeiarbeit nach Schema F. Klinkenputzen bei Leuten, denen ein sich in der Nähe der Tatorte herumtreibender Polizist aufgefallen sein könnte, Befragung von Beamten, die in den letzten Wochen den Verlust ihrer Uniform angezeigt haben, landesweite Recherche nach ähnlich gelagerten Fällen und Überprüfung der Alibis aller einschlägig bekannten Straftäter, die sich nicht gerade sicher verwahrt hinter Gittern aufhalten.

Derweil verfolgt ein zweiter Handlungsstrang die akribisch geplanten und mit Raffinesse ins Werk gesetzten Raubzüge einer jungen Diebin auf Tasmanien und im südaustralischen Clare Valley nördlich von Adelaide. Grace nennt sich die clevere, gutaussehende und ihr Erscheinungsbild den sich ständig verändernden Situationen anpassende Frau. Aber „Grace taugte als Name so gut wie jeder andere“, teilt bereits der erste Satz des Romans dem Leser mit.

Auf jeden Fall hat Grace oder Susan oder Anita oder Nina, wie sie sich später noch nennen wird, gute Gründe, vorsichtig zu sein und ein möglichst unauffälliges Leben fern der Öffentlichkeit zu führen. Ein einsam gelegenes Strandhaus ist deshalb auch der Ort, an dem sie sich am wohlsten fühlt. Hierher vermag die Vergangenheit, in der sie sich zu sehr in die Abhängigkeit von Männern begeben hat, die nun seit Jahren auf der Suche nach ihr sind, nicht vorzudringen. Allein wenn sie die Beute ihrer Raubzüge entweder gleich über einen Hehler zu Geld machen lassen oder in einem eigens zu diesem Zweck bei einem Geldinstitut in Waterloo angemieteten Bankschließfach lagern will, ist sie gezwungen, ihre Deckung zu verlassen und die Stadt aufzusuchen. Hier treffen sich schließlich ihre Wege mit denen von Hal Challis, dessen beiden Ermittlern und allen anderen Personen, die in diesem Roman eine Rolle spielen.

Garry Disher ist ein Meister im Verknüpfen von Handlungssträngen. Was eine ganze Weile nebeneinander herläuft, geht in seinen Büchern plötzlich und ganz ohne Zwang Verbindungen miteinander ein. Lebenswege treffen sich, scheinbare Nebenfiguren, die zunächst nur in einer kurzen Episode auftauchen, nehmen hundert Seiten später plötzlich das Heft des Handelns in die Hand. Das alles präsentiert uns der Autor mit leichter Hand, stimmig im Ganzen wie im Detail, nicht ohne Humor und mit einer Hauptfigur, der man von Abenteuer zu Abenteuer gerne folgt.

Nachdem Hal Challis allerdings am Schluss von Leiser Tod für mindestens drei Monate aus dem polizeilichen Verkehr gezogen wird, ohne dass wirklich Hoffnung besteht, den grundehrlichen und bodenständigen Mann anschließend als einen anderen zu erleben, darf man gespannt darauf sein, wie es weitergeht. Vielleicht verkauft er im nächsten Roman endlich sein Flugzeug und legt sich einen neuen Wagen zu. Sicher wird Ellen Destry zurückkommen und seiner Hilfe bedürfen, auch wenn er offiziell nicht ermitteln darf. Vergessen sollte man aber auch nicht, dass der Roman ja noch eine zweite Hauptfigur hat, deren weiteres Schicksal ebenfalls von Interesse sein dürfte: die schöne Diebin mit dem Namen Grace, die mehr für die Lösung all der Probleme tut, die Challis und seine Kollegen umtreiben, als am Anfang zu vermuten ist.

Titelbild

Garry Disher: Leiser Tod. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
Unionsverlag, Zürich 2018.
347 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783293005280

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