Dokumente und literarische Darstellungen zum Tod von Rosa Luxemburg

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

In Kain, der von dem Anarchisten Erich Mühsam aus der Münchner Bohème, herausgegebenen und nach dem biblischen Bruder Abels benannten Zeitschrift für Menschlichkeit, war die Titelseite der am 21. Januar 2019 erschienenen Ausgabe dem Tod Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs gewidmet.Schon die ersten Sätze sind in ihrer Verbindung von politischen und religiösen Motiven exemplarisch für die Vielfältigkeit der Gesichtspunkte, unter denen die Zeitgenossen auf die Ermordung beider reagierten:

Eine grauenvolle Schandtat ist geschehen. Die Christusgeschichte hat eine entsetzliche Wiederholung erfahren. Mit gesträubten Haaren, mit Tränen in den Augen, mit brennender Scham vor der Nachwelt, sind wir, deren Herz und Geist vom Herzen und vom Geist Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs ist, Zeugen des Verbrechens, das den deutschen Namen tiefer und schimpflicher ächtet, als selbst die Gräuel, an denen das deutsche Volk vier furchtbare Kriegsjahre hindurch sich mitschuldig machen ließ.

Zu Rosa Luxemburgs Leben stehen hier die Zeilen:

Rosa Luxemburg war die beseelte Flamme der Revolution. Das wußten ihre Feinde. Von den ersten Kriegswochen ab hielt man sie darum eingesperrt. Von Gefängnis zu Gefängnis musste sie den kleinen schwachen Körper schleppen. Sie ertrug stark und tapfer alle Kränkungen, alle Entbehrungen, im sicheren Vertrauen auf den Tag der Erlösung durch den Zusammenbruch der Militärherrschaft und durch den Aufstand des Volkes. Der Tag kam und die beiden Befreiten übernahmen miteinander die Führung der Revolution.

Und über ganz andere Reaktionen auf ihren Tod wird berichtet:

Wie viele Flüche sind den Toten in ganz Deutschland am Tage ihrer Ermordung nachgesandt worden! Wie viele hämische Freude an der schauervollen Tat ist laut geworden! An seinen selbstlosesten Befreiern, an den Heilanden seines Rechts und seiner Zukunft ist das deutsche Volk selbst zum Mörder und zum Verräter geworden. Die Schmach ist unnennbar groß.

In der spätexpressionistischen Zeitschrift Die Erde beschreibt der Herausgeber Walther Rilla im Juni 1919 ganz ähnlich unter dem Titel Der Bürger, welche Emotionen die Todesnachricht bei diesem Typus des Deutschen hervorrief:

Es ist der Bürger, der sich hier räuspert und spuckt; für den die Ermordung Liebknechts und der Rosa Luxemburg, ein Gott wohlgefälliges Werk ist, Revolution aber und Sozialismus Ausgeburten des Teufels, gemeine und tückische Verbrechen, für deren „Sühnung“ ihm kein Massacre zu blutig, keine Strafe teuflisch genug ist.

Das Pamphlet von Rilla gegen den deutschen „Bürger“ richtet sich ansonsten vorrangig gegen Thomas Mann und dessen eben erschienenen Betrachtungen eines Unpolitischen. Doch Thomas Mann hatte trotz seiner Distanz zu den Revolutionären von 1918/19 in einer Tagebuchaufzeichnung vom 17. Januar 1919 sein „Angewidert“-Sein von der Ermordung bekundet: „Die Erschießung Liebknechts, die Ermordung der Luxemburg durch Pöbel sind Thatsachen. Angewidert.“ Er reagierte damit auf damalige Pressseberichte ähnlich wie sein ihm zu dieser Zeit politisch noch ganz fern stehender Bruder. Heinrich Mann schrieb in seinem 1919 erschienenen Essay Kaiserreich und Republik: „Wo ist überzeugter Protest, wenn Revolutionäre unter Qualen getötet werden, vorgeblich, weil sie radikal, in Wahrheit einzig, weil sie Revolutionäre sind […] – indessen den schlimmsten Kriegsfurien niemand ein Haar krümmt.“

Frühe poetische Reaktionen revolutionsfreundlicher Expressionisten veröffentlichte Ende 1919 Kurt Pinthus in seiner Lyrik-Anthologie Menschheitsdämmerung. Vor dem kurzen Gedicht von Rudolf Leonhard Der tote Liebknecht steht hier die lange, neopathetische Hymne auf Rosa Luxemburg des damaligen Expressionisten Johannes R. Becher, in der zwei Verse die Ermordung so beschreiben: „Bürger! Würger! Faust und Kolben / Stampften kotwärz deinen Kopf.“ Die Hymne endet mit Versen, die ähnlich wie Erich Mühsams Kain die Ermordung Luxemburgs mit der Kreuzigungsgeschichte vergleichen:

Durch die Welten rase ich –:
Den geschundenen Leib
Abnehmend vom Kreuz,
In weichste Linne ihn hüllend
Triumph dir durch die Welten blase ich:
Dir, Einzige!! Dir, Heilige!! O Weib!!!

Zu den damaligen Expressionisten, die sich auch später noch wiederholt literarisch dem Tod Rosa Luxemburgs widmeten, gehört Ernst Toller. Ein Kondolenz-Telegramm des Vollzugsrats der Arbeitsräte Bayerns vom 17. Juni, das er mit anderen unterzeichnete, lautet: „Tieferschüttert von dem entsetzlichen Ende Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs neigen wir uns in Ehrfurcht vor den aufrechten Kämpfern der sozialistischen Idee“ (abgedruckt in Band 4 der Kritischen Ausgabe seiner Werke). Einige seiner späteren „Chorwerke“ (abgedruckt in Band 5) enthalten Szenarien ihrer Ermordung:

Chorgruppe:

Wer fängt Karl Liebknecht?
Wer fängt Rosa Luxemburg?
Hunderttausend Mark.
In barem Geld
Sind sein

[…]

Stimme:

Ich werde Euch sagen
Wo sie schlafen
des Nachts
Heimlich und wie Verbrecher.

Chronist:

Und führte die Soldaten
Zum Haus, darin
Liebknecht und Luxemburg
Schliefen den flüchtigen Schlaf
Des Gejagten.

[…]

Männergruppe:

Bist Du Karl Liebknecht?

Stimme:

Ich bin Karl Liebknecht.

Männergruppe:

Bist Du Rosa Luxemburg?

Stimme:

Ich bin Rosa Luxemburg.

Chor:

Ich sage Euch, wer diese
Totschlägt, tut ein gutes Werk
[…]

Chronist:

Sie beschimpften die Gefangenen
Und fragten höhnisch:

Chor (wechselnd):

Wo sind Eure Genossen?
Wo ist Euer Himmel auf Erden?

Chronist:

Und spien in ihre Gesichter
Und schlugen mit Kolben
Die Wehrlosen:
Und töteten heimlich
Rosa Luxemburg.
Und warfen ihren gefolterten Körper
In den Landwehrkanal.
Und im Dunkel des stillen Tiergartens
Mordeten sie
Karl Liebknecht.

[…]

Literarisch am ausführlichsten hat sich der ehemalige Expressionist Alfred Döblin später mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg auseinandergesetzt. Der dritte, im amerikanischen Exil zwischen 1941 und 1943 entstandene Teil seiner Roman-Trilogie November 1918 ist 1950 unter dem Titel Karl und Rosa erschienen (vgl. dazu den Beitrag von Helmuth Kiesel in der November-Ausgabe 2018 von literaturkritik.de). Die Seiten zum Tod Rosa Luxemburgs greifen hier auf den bekanntesten ihrer Briefe (im Dezember 1917 an Sophie Liebknecht geschrieben) aus dem Gefängnis zurück, der die geschundenen Büffel im Gefängnishof von Breslau beschreibt (siehe den Beitrag von Simone Frieling in dieser Ausgabe mit Hinweisen auch auf die Bedeutung, die Karl Kraus 1920 in der Fackel diesem Brief zuschrieb).

In Döblins Roman-Fiktion bzw. in der Phantasie, die der Roman Rosa Luxemburg zuschreibt, ist der Soldat, der im Gefängnishof die Büffel gequält hatte, identisch mit dem Soldat, der sie jetzt erschlägt.

Da standen draußen mehrere Soldaten, und rechts stand einer allein und vor den anderen, und auf den mußte sie den Blick richten. Magnetisch zog er sie an.
Denn – sie erkannte ihn.

Es folgt die fast wörtliche Wiederholung jenes Briefes, wie ihn der Roman-Teil schon im ersten Kapitel („Im Gefängnis“) in Anlehnung an den realen Brief Rosa Luxemburgs formuliert hatte:

Liebe Sonja, es waren schöne rumänische Büffel, sie waren an Freiheit gewöhnt, das eine Tier blutete und schaute vor sich hin wie ein verweintes Kind, das nicht weiß, wie der Qual entgehen. Aber so ist das Leben Sonja. Man muß es tapfer nehmen, trotz alledem.

Der Soldat sieht Rosa auf sich zukommen. „Und er hebt sein Gewehr beim Lauf und schwingt es hoch und läßt den Kolben wie einen Hammer auf ihren Schädel niederfallen.“ Rosa sieht ihn nur noch undeutlich, spuckt ihm ins Gesicht und schreit ihm entgegen: „Du hast keine Macht über mich.“

Da holt der Soldat, die Beine breit gestellt, schon zum zweiten wuchtigen Hieb aus. Er schwingt den Kolben über sich und schmettert ihn über ihren Schädel mit solcher Wucht, daß es kracht und sie wie ein gefälltes Tier zugleich mit dem Kolben zu Boden geht. Wie ein Sack liegt sie da und bewegt sich nicht mehr.

Er nimmt sein Gewehr wieder an sich, dreht es und prüft es, ob nicht das Holz gesprungen ist. Er nickt den beiden anderen zu, die sich über den schwarzen stummen Körper bücken, und sagt befriedigt: „Es hat gehalten.“

Sie packten die Leblose bei den Schultern und Beinen und warfen sie in den Wagen hinein. Soldaten und Offiziere stiegen nach.

Anmerkung:  Diese am 14. und 15. Januar verfasste, fragmentarische Zusammenstellung einiger Dokumente und literarischer Erinnerungen zum Tod Rosa Luxemburgs, die das in anderen Beiträgen des Themenschwerpunktes Ausgeführte ergänzt, wird im Laufe des Monats noch überarbeitet und erweitert. Anregungen und Hinweise dazu oder auch weitere Ergänzungen in Form von Leserbriefen sind willkommen.